Freitag, 29. März 2024

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Shortlist zum Deutschen Buchpreis
"Man müsste dringend dieses ganze Prozedere revidieren"

Die Shortlist zum zehnten Deutschen Buchpreis stellt nach Ansicht von DLF-Literaturredakteur Hubert Winkels keine ausgewogene Mischung dar. Seit geraumer Zeit leide die Auswahl darunter, dass in der Akademie Deutscher Buchpreis vorrangig Funktionäre des deutschen Buchbetriebs säßen. Die Akademie wählt jedes Jahr die Jury aus.

Hubert Winkels im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 16.09.2015
    Deutscher Buchpreis 2015 - Die Kandidaten der Shortlist: Jenny Erpenbeck ("Gehen, ging, gegangen"), Rolf Lappert ("Über den Winter"), Inger-Maria Mahlke ("Wie Ihr wollt"), Ulrich Peltzer ("Das bessere Leben"), Monique Schwitter ("Eins im Andern") und Frank Witzel ("Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969").
    Deutscher Buchpreis 2015 - Die Kandidaten der Shortlist. (Börsenverein / Petra Gass)
    Stefan Koldehoff: Wenn die Tage kürzer und die Leseabende wieder länger werden, dann nähert sich in jedem Herbst nicht nur die Frankfurter Buchmesse, sondern mit ihr auch die Vergabe des Deutschen Buchpreises. Im zehnten Jahr wird er inzwischen vergeben. Und wie es sich für einen ordentlichen Preis gehört, gibt es erst eine Longlist und dann die Shortlist mit den letzten sechs Kandidaten. Die wurde nun heute veröffentlicht, und mein Kollege Hubert Winkels aus unserer Literaturredaktion ist ins Studio gekommen, damit wir darüber sprechen können. An ihn die Frage: Dass wir jetzt über jeden einzelnen Titel sprechen, das werden wir nicht schaffen. Deshalb mal erst im Überblick: Eine gute Auswahl, wenn man die Produktion des Bücherjahres betrachtet?
    Hubert Winkels: Ich würde mal ein bisschen ausholen, weil das Problem bei der Beurteilung der Liste ist, dass sie von einer Jury unternommen wurde, deren Legitimation offiziell okay ist, aber die darunter leidet, dass die Akademie - es ist eine Abteilung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels - jedes Jahr die Jury neu festlegt, und in der Akademie sitzen eigentlich nur Funktionäre des deutschen Buchbetriebs, vom Messedirektor über den Goethe-Institutsleiter und so fort. Ich war in dieser Akademie selber Mitglied, deshalb weiß ich das.
    Mit allem Respekt vor den Herrschaften gesagt: Sie wissen nicht, worum es geht! Sie wissen nicht, wo gute Kritiker in welchen Zeitungen seit wann was wie und wie gut machen, und eine ausgewogene Mischung können die nicht herstellen. Darunter leidet seit geraumer Zeit die Auswahl der Juroren. Ohne dass ich einen einzelnen jetzt anschwärzen will oder seine Kompetenz infrage stellen will, ist diese Mischung ganz, ganz unglücklich, zumal in diesem Jahr zwei Buchhändler und ein Manager für allgemeine Kulturevents dabei ist, wo man sich fragt, warum. Kurzum: Man müsste dringend dieses ganze Prozedere revidieren. Ich bin nicht der Erste, der das sagt, aber ich finde, angesichts dieser Liste, die heute veröffentlicht wurde, muss man das noch mal ganz nachdrücklich sagen.
    "Mit allem Respekt vor den Herrschaften gesagt: Sie wissen nicht, worum es geht!"
    Die Liste selber enthält natürlich keine Bücher, von denen man sagen kann, die könnten auf keinen Fall auf dieser Liste sein, aber es fällt zum Beispiel auf, dass ein Buch wie das von Clemens Setz, "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre", ein tausendseitiges Werk, das in den letzten Wochen doch mit sehr, sehr viel Aufmerksamkeit, in der Regel auch größtem Wohlwollen besprochen worden ist, überhaupt nicht auftaucht darin, dafür aber Bücher wie der Roman von Jenny Erpenbeck, "Gehen, ging, gegangen", der meines Erachtens etwas sentimental das Flüchtlingsschicksal von heute ausbeutet, indem er die Flüchtlinge am Oranienplatz in Berlin thematisiert und deren Lebensgeschichten sozusagen in kurzen Spots integriert, etwas was mir überhaupt nicht gefällt als Verfahren.
    Ich könnte jetzt weitergehen. Ich finde natürlich auch Ulrich Pelzer sehr gut und auch Frank Witzel mit seinem Buch "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion ..." hat alles Recht, darauf zu sein. Aber insgesamt finde ich die Mischung nicht gut. Auch Rolf Lappert, "Über den Winter", der Schweizer Kandidat, hat ein eher sentimentales, ein bisschen weiches Erzählfutter-Buch geschrieben. Mir gefällt diese Auswahl von sechsen insgesamt nicht.
    Koldehoff: Was entnehmen Sie dieser Auswahl? Sie haben gerade über die Fragwürdigkeit des Zustandekommens gesprochen, über die Zusammensetzung der Jury. Was folgert daraus? Warum ist die Liste so, wie sie ist?
    Winkels: Ja es wäre natürlich schön, wenn man einfach sagen könnte, sie ist quasi nach einem gewissen allgemeinen Publikumsgeschmack orientiert. Aber das gilt dann wieder nicht für ein Buch von Inger-Maria Mahlke, "Wie ihr wollt", eine äußerst filigrane Innenperspektive einer kleinen verwachsenen Hoffrau der Windsors im 16. Jahrhundert. Man fragt sich, wie dieses Glasperlenspiel, das ich schätze, das wir in der "Lesezeit" hatten im "Büchermarkt", auf diese Liste kommt. Ich freue mich darüber, aber das ist sehr seltsam. Die Tendenz eigentlich ist die nach viel Stoff, nach viel zeithistorischem Stoff, gut aufbereitet, aber auch diese Tendenz ist nicht absolut.
    Koldehoff: Herr Winkels, jetzt sind Sie ja im positiven Sinne voreingenommen. Der Deutschlandfunk vergibt selbst einen Literaturpreis, den Wilhelm-Raabe-Preis, unter Ihrer Ägide seit zahlreichen Jahren. Was läuft da anders? Welches Vorbild könnte das sein, ohne jetzt hier die große Werbetrommel fürs eigene Haus zu rühren?
    Winkels: Von neun Juroren sind wir, glaube ich, sieben Literaturkritiker. Man kann aber auch den Leipziger Buchpreis nehmen, der seit zehn Jahren existiert und ausschließlich Literaturkritiker hat, auch Sachbuchkritiker, immer renommierte Personen, die aus den eigenen Reihen im Grunde auch wieder weitergewählt werden, und dieses Verfahren ist sehr viel besser als dieses Auswahlverfahren beim Deutschen Börsenverein.
    Auswahlkriterien sollten strikt ästhetischer Natur sei
    Koldehoff: Weil keine kommerziellen Interessen dahinter stecken? Kann man es auf den einfachen Nenner bringen?
    Winkels: Ja, das wäre so die klassische ideologiekritische Kurzschlussfigur. Kann sein, kann nicht sein. Aber die Lesegewohnheiten, die Ansprüche, die Fragen an die Bücher, die Buchhändler oder die Verleger oder die Kulturmanager stellen, sind einfach andere. Die will ich nicht denunzieren, aber wenn man den wichtigsten deutschen Buchpreis hat, dann sollten die Kriterien meines Erachtens strikt ästhetischer Natur sein.
    Koldehoff: Jetzt haben Sie ein Buch schon genannt, das Ihnen fehlt. Gäbe es noch eins, das unbedingt auf diese Liste gehört hätte?
    Winkels: Na ja, da könnte man das nächste Problem zeigen: Ralf Rothmann, "Im Frühling sterben", nicht unbedingt mein Lieblingsbuch, aber im Moment das akklamierteste Buch sowohl vom Publikum, "Spiegel"-Bestsellerliste, als auch von den Kritikern. Kann nicht drauf sein, weil Herr Rothmann sagt, er kommt nicht zur Veranstaltung, also fällt er automatisch raus. Auch, finde ich, ein Manko, wenn man sagen will, was das beste Buch des Jahres ist. Wenn auch Peter Handke zum Beispiel in den vergangenen Jahren gesagt hätte, ich komme nicht, fällt der raus. Insofern ist das Bild, das dieser Preis denn am Ende abgibt - na ja, es ist, sagen wir vorsichtig, leicht verzerrt.
    Koldehoff: Hubert Winkels - vielen Dank - über die Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2015.