Der Vorwurf ist nicht neu. Beide Seiten streiten seit fast einer Dekade. Erbittert, mit allen Tricks und Finessen. Was darf Microsoft, was nicht? Ein Ende scheint nicht abzusehen. Ganz im Gegenteil. Denn Europas oberste Wettbewerbshüterin Neelie Kroes ist weiter unzufrieden. Ihr Vorwurf:
Microsoft missbrauche heute wie damals seine Marktmacht. Im Visier ist inzwischen auch das neue Betriebssystem Windows Vista. Der Sprecher von Kroes, Jonathan Todd, erklärt die Ausgangslage:
"Die Basis der Kommissionsentscheidung war, dass wir festgestellt haben, dass Microsoft seine beherrschende Stellung auf dem PC-Markt ausgenutzt hat, indem das Unternehmen Konkurrenten Informationen vorenthalten hat, die sie brauchen, um Produkte zu entwickeln, die mit Windows zusammengehen. Es wurde ein Media Player eingebaut, der alternative Anbieter von Medienprogrammen im Grunde aus dem Markt drängt. Die Tatsache, dass Microsoft eine derart marktbeherrschende Stellung besitzt - mehr als 90 Prozent des Software-Markts - bedeutete, dass sein Vorgehen äußerst negative Auswirkungen auf den Gesamtmarkt hatte."
Dreh- und Angelpunkt ist die Marktmacht von Microsoft. Hätte sie Apple, hätte Apple das Problem. Aber neun von zehn Computern laufen nun einmal auf Windows. Das ist aus Sicht der EU-Kommission eigentlich kein Problem - es sei denn, das Unternehmen nützt diese Macht aus. Genau das entschied der Vorgänger von Kroes, Mario Monti, im März 2004. Geerbt hatte der den Fall 1999 von seinem Vorgänger Karel Van Miert. Windows, entschied die Kommission, sei so angelegt, dass konkurriende Softwareprogramme keine Chance hätten. Informationen zu Software-Schnittstellen würden geheim gehalten, andere Programme könnten sich so nicht an Windows ankoppeln. Das sollte Microsoft ändern: Konkurrenten Quell-Codes verraten und eine Windows-Version ohne das Musik- und Videoprogramm "Media Player" anbieten.
Andere Software-Anbieter sollten so besser zum Zuge kommen, Nutzer nicht nur von Microsoft-Produkten abhängig sein.
Seither streiten sich beide Seiten um die Umsetzung. Klingt banal, ist es aber nicht. Denn Microsoft rücke die Software-Informationen nur scheibchenweise heraus, sagt der europäische Dachverband für Interoperabilität und Wettbewerb im IT-Sektor, ECIS, und der Konzern verlange dafür deutlich mehr Geld, als die Konkurrenten zahlen wollen.
Microsoft sagt, es sei nicht klar, was die Kommission eigentlich von dem Konzern wolle, und dass der verlangte Preis ok sei. Technisch dazu noch hoch komplex - es verwundert kaum, dass der Streit nicht enden will.
Microsoft sieht einen fundamentalen Einschnitt in sein Geschäftsmodell - der Konzern wehrt sich seither mit allen Mitteln, zu Recht, wie Tom Brookes, Sprecher von Microsoft in Brüssel meint:
"Aus der Sicht von Microsoft geht es im Grunde um zwei Dinge, und das gilt ja eigentlich für jedes Unternehmen. Erstens die Möglichkeit, unsere Produkte zu verbessern und neue Funktionen hinzufügen. Das ist ganz entscheidend für unser Geschäft und, um ehrlich zu sein, ist das ganz entscheidend für die meisten Unternehmen."
Und wenn die Konkurrenz schon aus den Tiefen von Microsofts Software-Quellen schöpfen und dessen geistiges Eigentum abschöpfen will - dann soll sie für die Lizenz wenigstens ordentlich zahlen, meint der Konzern. Denn auch darum wird gestritten - was ist ein "angemessener Preis" für Lizenzen und damit für die Preisgabe von Quell-Codes, damit sich konkurriende Software an die von Microsoft ankoppeln kann? Unternehmens-Sprecher Tom Brookes:
"Auf der anderen Seite des Falles steht das, was wir Interoperabilität nennen. Da geht es um das Rechts eines Unternehmen, etwas zu lizensieren oder die Erfindungen nicht zu lizensieren, die es wie das geistige Eigentum durch seine Forschung und Entwicklung geschaffen hat. Das ist es worum es im Grunde geht."
Und dann geht es noch um richtig viel Geld. Die erste Geldstrafe, 497,2 Millionen Euro, sind auch für einen Konzern mit einem Milliardenumsatz keine Peanuts. Dabei sei Microsoft aber noch glimpflich weggekommen, erklärt der Sprecher der EU-Wettbewerbsbehörde Jonathan Todd:
"Der Grund für das so hohe Bußgeld war, dass die Kommission es als einen sehr schwerwiegenden Verstoß gegen die Kartellgesetze ansah, dazu kam die Größe des Marktes und die daraus resultierenden Auswirkungen des wettbewerbswidrigen Verhaltens des Unternehmens. Wir können einem Unternehmen eine Geldstrafe von bis zu zehn Prozent seines weltweiten Umsatzes auferlegen, und 497 Millionen Euro klingt nach einer Menge Geld aber verglichen mit dem weltweiten Umsatz von Microsoft ist das doch nur ein sehr sehr kleiner Prozentsatz."
Immerhin: noch nie zuvor und danach verhängte die Kommission gegen ein einzelnes Unternehmen eine so hohe Geldstrafe, weil es seine Markmacht ausgenutzt habe.
Die Geldstrafe mag sogar Microsoft weh tun, ist aber nicht das Entscheidende. Bill Gates überwies das Geld wie gefordert innerhalb von drei Monaten - und zog sofort vor den Europäischen Gerichtshof Erster Instanz in Luxemburg. Ziel: die Entscheidung der Kommission zu kippen. Mit einem ersten Versuch scheiterte Microsoft. Das Gericht ordnete an, dass die EU-Auflagen umzusetzen seien, bis das endgültige Urteil ergeht. So kam Windows ohne den Media-Player auf den Markt. Wo sich aber kaum ein Kunde für die abgespeckte Version interessiert habe. Einige zehntausend Kopien vielleicht, im Vergleich zu Millionen Vollversionen von Windows, sagt Microsoft nicht ohne Schadenfreude. Dies räumt auch die Kommission ein.
Wettbewerbshüterin Kroes geht es aber um mehr. Sie will, dass Konkurrenten anschlussfähige Betriebssysteme für Arbeitsgruppen-Server entwickeln können.
Genau darum dreht sich der eigentliche Streit: Legt Microsoft alle Informationen für Software-Schnittstellen offen, damit die Wettbewerber solche Programme entwickeln können, wie der Konzern behauptet oder eben nicht oder allenfalls scheibchenweise, wie die Kommission und Konkurrenten meinen. In der Zwischenzeit baue Microsoft seine Marktmacht munter aus, sagt Thomas Vinje, Anwalt der Microsoft-Konkurrenten im Verband ECIS und wirft Microsoft eine Verzögerungstaktik vor:
"Microsoft soll einfach der Entscheidung der Kommission nachkommen. Es soll eine adäquate vollständige Dokumentation liefern, so wie es das Unternehmen in vielen anderen Fällen auch gekonnt hat. Es scheint, dass es die Umsetzung der Entscheidung verzögern will um dadurch in der Zwischenzeit weitere Marktanteile zu gewinnen. "
Die Kommission sieht das genauso. Microsofts Marktanteil bei Software für Arbeitsgruppen-Server sei im Steilflug - von 60 Prozent 2004 auf 75 Prozent in diesem Jahr - und mit jedem Tag, an dem die Auflagen nicht umgesetzt werden, steige er weiter. Die EU-Kommission hat daher den Druck erhöht und in 2006 ein neuerliches Bußgeld von 280,5 Millionen Euro verhängt - mit der Aussicht auf ein weiteres mit jedem Tag, an dem Microsoft die Forderungen aus Brüssel nicht erfüllt. Im Gespräch: bis zu 3 Millionen täglich, bis Wettbewerbskommissarin Kroes zufrieden ist. Frage an ihren Sprecher Jonathan Todd: Warum ist die Dame nicht zufrieden?
"Es ist wirklich sehr einfach. Wir wollen, dass Microsoft den Vorgaben nachkommt wie sie in der Entscheidung von 2004 stehen. Warum sie das noch nicht gemacht haben, nun, sie behaupten, dass die Entscheidung nicht ausreichend klar sei. Das sehen wir anders."
Microsoft mag da nur milde lächeln. Die Auflagen seien ausreichend erfüllt. Die Kommission drücke sich nicht klar aus, was sie eigentlich von dem Konzern wolle, heißt es gebetsmühlenhaft aus Redmond, dem Sitz von Microsoft. Die Entscheidung umfasse 300 Seiten - wie Microsoft jedoch den Verstoß abstellen soll, nur einige Absätze auf 3 Seiten, kritisiert Microsoft-Sprecher Tom Brookes in Brüssel und spricht von Auslegungssache:
"Im ganzen Umsetzungsprozess ging es um die Frage der Klarheit. Um was Microsoft die ganze Zeit gebeten hat sind klare Informationen darüber, was es tun muss, um den Auflagen nachzukommen. Das wird nicht immer deutlich aus drei Seiten Text, daher gibt es ziemlich großen Raum für Interpretation und wo es Interpretation gibt, kann man natürlich zu unterschiedlichen Sichtweisen kommen. "
Bei solchen Aussagen lächeln Kommission und Konkurrenten. Microsoft wisse es ganz genau, wolle die Auflagen aber gar nicht umsetzen, zumindest nicht, bis das Gerichtsurteil vorliegt. Ein Mittel dazu: absichtlich überhöhte Lizenzgebühren für die Software-Informationen. Behauptet zumindest der Anwalt der Konkurrenz, Thomas Vinje.
Kroes sieht das genauso. Weil Microsoft Konkurrenten einen unverhältnismäßig hohen Preis für die Quell-Quodes in Rechnung stelle, hat sie kürzlich ein zweites formelles Verfahren gegen den Konzern eröffnet.
Microsoft sieht sich zu Unrecht am Pranger. Microsoft-Sprecher Tom Brookes:
"Die jüngsten Geldstrafen in Höhe von mehreren hundert Millionen und zwei Jahre Diskussionen gingen im Grunde um das Wort "angemessen". Microsoft hat bei mehreren Gelegenheiten Preise vorgeschlagen, die Konkurrenten für die Lizenzen für die Protokoll-Technologien zahlen sollen und die liegen deutlich niedriger als die Markpreise für ähnliche Technologien anderer Unternehmen. Die Kommission sagt aber, sie seien nicht niedrig genug, Zitat: nicht "angemessen" und Microsoft sollte sie weiter senken. Und so geht Microsoft hin und senkt sie ein wenig mehr und dann sagt die Kommission, tja, das ist noch nicht weit genug und dann senken wir sie noch etwas weiter."
Nun, das hört sich nach "Salami-Taktik" an - eben genau das, was Kritiker monieren. So geht der Streit in‘s neunte Jahr. Für Microsoft gehe es aber um sehr Grundsätzliches, verteidigt Brookes das Vorgehen:
"Die Fragen, um die es hier geht, sind tatsächlich sehr fundamental. Um eine englische Redewendung zu benutzen: der Teufel steckt im Detail. Und die technische Details sind in diesem Fall unglaublich komplex und es gibt eine riesige Zahl von Ingenieuren, die in den vergangenen Jahren darüber diskutiert haben und sich dabei sehr sehr tief in die technische Komplexität reingekniet haben. "
Eine solche Ahnung muss wohl auch Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes beschlichen haben. Wollte sie nicht von den Software-Spezialisten jenseits des Atlantiks über den Tisch gezogen werden, dann musste externe Expertise her. Die Kommissarin beauftragte einen Computer-Wissenschaftler, den Briten Neil Barret, als Treuhänder von unabhängiger Seite, über den Fall zu wachen und sie zu beraten. Dass Microsoft aber nicht wisse, was sie verlange - das kauft Kroes Bill Gates nicht ab. Ihr Sprecher Jonathan Todd:
"Wir sind der Ansicht, dass die Entscheidung von März 2004 glasklar ist dahingehend, was Microsoft machen muss und dieser Ansicht sind auch andere Computer-Unternehmen. Wir widersprechen entschieden der Auffassung, dass Microsoft nicht in der Lage ist, unserer Entscheidung zu entsprechen, weil sie nicht ausreichend klar sei."
An Klarheit hatten es auch amerikanische Konkurrenten von Microsoft nicht missen lassen. Ausgerechnet sie hatten den Stein ins Rollen gebracht mit einer Beschwerde 1998 in Brüssel. Ergebnis: jetzt fechten US-Unternehmen auf europäischem Boden einen Streit aus, den sie seinerzeit daheim nicht lösen konnten. Dazu passt, dass sich im März vergangenen Jahres die Vertretung der US-Regierung bei der EU in den Streit eingeschaltete. In einem Brief an Kroes griff sie die Sorge von Microsoft auf, dass die EU-Entscheidungen weder fair noch transparent seien. Für die US-Streithähne zuständig ist die Kommission durchaus. EU-Wettbewerbssprecher Jonathan Todd:
"Die europäischen Kartellregeln beziehen sich auf alle Unternehmen, die auf dem europäischen Markt Geschäfte machen. Wenn man sich dazu entschließt, in Europa Geschäfte zu betreiben, dann ist man verpflichtet, sich an die Regeln zu halten, die in Europa gelten. Wir haben nicht speziell nicht-europäische Unternehmen im Visier, aber wenn nicht-europäische Unternehmen illegal handeln, dann drohen ihnen die gleichen Strafen wie europäischen Unternehmen."
Wenig erstaunlich - über die Handhabung des Falles durch die EU-Kommission in all den Jahren gehen die Meinungen auseinander. Die Protagonisten halten sich zurück. Sie wissen, dass jede unbesonnene Aussage von spitzfindigen Anwälten gegen sie verwandt werden kann. Jede Äußerung wird daher auf die Goldwaage gelegt. Lob und Kritik kommt derweil von Außenstehenden. Der Anwalt der Microsoft-Konkurrenten Thomas Vinje dazu:
"Ich glaube, die Kommission handhabt den Fall sehr gewissenhaft unter schwierigen Umständen, weil Microsoft auf jede denkbare Art versucht hat, die Kommission daran zu hindern, den Fall schnell abzuschließen. Die Kommission ist in einer sehr schwierigen Position."
Kritik kommt aus dem Europäischen Parlament. Für den FDP-Europaabgeordneten Jorgo Chatzimarkakis spricht allein die Dauer der Untersuchung "nicht gerade für den Wirtschaftsstandort Europa". Sein Vorwurf: Kroes komme nicht voran, ja wisse kaum mehr weiter. So wäre vielleicht eine Einigung außerhalb der Gerichte besser gewesen, wie sie Kroes‘ Vorgänger Mario Monti einmal angedacht hatte. Chatzimarkakis aber geht noch weiter: er sieht in dem Microsoft-Streit einen Beweis dafür, dass das Wettbewerbssystem der EU dringend auf den Prüfstand gehört:
"Allein die Tatsache, dass sich ein Fall neun Jahre zieht, zeigt schon, dass da an dem System etwas nicht stimmt. In unserem System, wo ja die Generaldirektion Wettbewerb zuständig ist für diese Fälle, haben wir die Konzentration von Macht bei einer Kommissarin, die dann gleichzeitig die Funktion der Staatsanwaltschaft, des Richters und des Vollstreckers übernimmt. Das ist eigentlich in einem modernen rechtsstaatlichen System eigentlich untypisch. Mit einer solchen Machtfülle muss man mal schauen, ob man sich nicht außergerichtlich einigen kann. "
Tatsächlich hatte Monti eine einvernehmliche Lösung zumindest zeitweilig ins Auge gefasst - bis eine Woche vor der Entscheidung. Dann, am 18. März 2004, erklärte er die Verhandlungen für gescheitert. Sogar hohe Beamte seiner Abteilung, so wird noch heute in Brüssel erzählt, hätten ihm zu einer außergerichtlichen Lösung geraten. Doch wollte Monti einen "Präzedenzfall" herbeiführen. Auch ging Microsoft nicht auf seine Forderung ein, das künftige Geschäftsgebaren festzuschreiben.
Dass der Streit tatsächlich weitreichende Konsquenzen hat, zeigt sich an dem neuen Windows-Betriebssystem "Vista". Hier tut sich womöglich nach dem Streit um Schnittstellen-Informationen und Lizenzgebühren Front Nummer 3 auf. Denn schon wieder haben sich Konkurrenten in Brüssel beschwert. Noch ist keine Entscheidung gefallen, Microsoft sieht sich auf der sicheren Seite, weil es alte und neue Kritikpunkte der Kommission in "Vista" berücksichtigt habe. Aber Kritiker monieren, dass Microsoft ein Monopol bei der Verwertung von digitalen Medien auf dem PC bekommen könnte. Auch könnte der Konzern seine Marktmacht auf das Internet ausdehnen. Die Kommission hält sich derweil bedeckt. Kroes-Sprecher Jonathan Todd:
"Zunächst muss man sagen, dass sich die Entscheidung von März 2004 auch auf "Vista" bezieht und daher ist Microsoft verpflichtet, die Informationen zur Interoperabilität für Arbeitsgruppen-Server auch bei "Vista" zugänglich zu machen. So gesehen ist "Vista" abgedeckt. Wir haben eine Beschwerde erhalten, die sich neben anderen Aspekten auf "Vista" erstreckt. Dies wird derzeit geprüft und wir sind noch zu keinem Ergebnis gekommen, ob wir auch tatsächlich eine komplette Untersuchung eröffnen oder nicht. Das Urteil dazu steht noch aus."
Und was hat nun der Verbraucher von alledem? Wenig, sagt Microsoft, viel sagen Kommission und Konkurrenz, weil mehr Wettbewerb bedeute mehr Auswahl mehr Gegenwert und mehr Innovationen. So schauen alle Beteiligten gespannt nach Luxemburg. Womöglich noch in diesem Jahr, so die allgemeine Erwartung, könnte dort Recht gesprochen werden. Ein "schwarz-weiß-Urteil" ist nicht zu erwarten. Beide geben sich zuversichtlich, im Grundsatz zu siegen. Der Ausgang jedenfalls, soviel ist klar, wird weitreichende Konsequenzen auf das haben, was ein marktbeherrschender Konzern im IT-Sektor darf und was nicht.
Microsoft missbrauche heute wie damals seine Marktmacht. Im Visier ist inzwischen auch das neue Betriebssystem Windows Vista. Der Sprecher von Kroes, Jonathan Todd, erklärt die Ausgangslage:
"Die Basis der Kommissionsentscheidung war, dass wir festgestellt haben, dass Microsoft seine beherrschende Stellung auf dem PC-Markt ausgenutzt hat, indem das Unternehmen Konkurrenten Informationen vorenthalten hat, die sie brauchen, um Produkte zu entwickeln, die mit Windows zusammengehen. Es wurde ein Media Player eingebaut, der alternative Anbieter von Medienprogrammen im Grunde aus dem Markt drängt. Die Tatsache, dass Microsoft eine derart marktbeherrschende Stellung besitzt - mehr als 90 Prozent des Software-Markts - bedeutete, dass sein Vorgehen äußerst negative Auswirkungen auf den Gesamtmarkt hatte."
Dreh- und Angelpunkt ist die Marktmacht von Microsoft. Hätte sie Apple, hätte Apple das Problem. Aber neun von zehn Computern laufen nun einmal auf Windows. Das ist aus Sicht der EU-Kommission eigentlich kein Problem - es sei denn, das Unternehmen nützt diese Macht aus. Genau das entschied der Vorgänger von Kroes, Mario Monti, im März 2004. Geerbt hatte der den Fall 1999 von seinem Vorgänger Karel Van Miert. Windows, entschied die Kommission, sei so angelegt, dass konkurriende Softwareprogramme keine Chance hätten. Informationen zu Software-Schnittstellen würden geheim gehalten, andere Programme könnten sich so nicht an Windows ankoppeln. Das sollte Microsoft ändern: Konkurrenten Quell-Codes verraten und eine Windows-Version ohne das Musik- und Videoprogramm "Media Player" anbieten.
Andere Software-Anbieter sollten so besser zum Zuge kommen, Nutzer nicht nur von Microsoft-Produkten abhängig sein.
Seither streiten sich beide Seiten um die Umsetzung. Klingt banal, ist es aber nicht. Denn Microsoft rücke die Software-Informationen nur scheibchenweise heraus, sagt der europäische Dachverband für Interoperabilität und Wettbewerb im IT-Sektor, ECIS, und der Konzern verlange dafür deutlich mehr Geld, als die Konkurrenten zahlen wollen.
Microsoft sagt, es sei nicht klar, was die Kommission eigentlich von dem Konzern wolle, und dass der verlangte Preis ok sei. Technisch dazu noch hoch komplex - es verwundert kaum, dass der Streit nicht enden will.
Microsoft sieht einen fundamentalen Einschnitt in sein Geschäftsmodell - der Konzern wehrt sich seither mit allen Mitteln, zu Recht, wie Tom Brookes, Sprecher von Microsoft in Brüssel meint:
"Aus der Sicht von Microsoft geht es im Grunde um zwei Dinge, und das gilt ja eigentlich für jedes Unternehmen. Erstens die Möglichkeit, unsere Produkte zu verbessern und neue Funktionen hinzufügen. Das ist ganz entscheidend für unser Geschäft und, um ehrlich zu sein, ist das ganz entscheidend für die meisten Unternehmen."
Und wenn die Konkurrenz schon aus den Tiefen von Microsofts Software-Quellen schöpfen und dessen geistiges Eigentum abschöpfen will - dann soll sie für die Lizenz wenigstens ordentlich zahlen, meint der Konzern. Denn auch darum wird gestritten - was ist ein "angemessener Preis" für Lizenzen und damit für die Preisgabe von Quell-Codes, damit sich konkurriende Software an die von Microsoft ankoppeln kann? Unternehmens-Sprecher Tom Brookes:
"Auf der anderen Seite des Falles steht das, was wir Interoperabilität nennen. Da geht es um das Rechts eines Unternehmen, etwas zu lizensieren oder die Erfindungen nicht zu lizensieren, die es wie das geistige Eigentum durch seine Forschung und Entwicklung geschaffen hat. Das ist es worum es im Grunde geht."
Und dann geht es noch um richtig viel Geld. Die erste Geldstrafe, 497,2 Millionen Euro, sind auch für einen Konzern mit einem Milliardenumsatz keine Peanuts. Dabei sei Microsoft aber noch glimpflich weggekommen, erklärt der Sprecher der EU-Wettbewerbsbehörde Jonathan Todd:
"Der Grund für das so hohe Bußgeld war, dass die Kommission es als einen sehr schwerwiegenden Verstoß gegen die Kartellgesetze ansah, dazu kam die Größe des Marktes und die daraus resultierenden Auswirkungen des wettbewerbswidrigen Verhaltens des Unternehmens. Wir können einem Unternehmen eine Geldstrafe von bis zu zehn Prozent seines weltweiten Umsatzes auferlegen, und 497 Millionen Euro klingt nach einer Menge Geld aber verglichen mit dem weltweiten Umsatz von Microsoft ist das doch nur ein sehr sehr kleiner Prozentsatz."
Immerhin: noch nie zuvor und danach verhängte die Kommission gegen ein einzelnes Unternehmen eine so hohe Geldstrafe, weil es seine Markmacht ausgenutzt habe.
Die Geldstrafe mag sogar Microsoft weh tun, ist aber nicht das Entscheidende. Bill Gates überwies das Geld wie gefordert innerhalb von drei Monaten - und zog sofort vor den Europäischen Gerichtshof Erster Instanz in Luxemburg. Ziel: die Entscheidung der Kommission zu kippen. Mit einem ersten Versuch scheiterte Microsoft. Das Gericht ordnete an, dass die EU-Auflagen umzusetzen seien, bis das endgültige Urteil ergeht. So kam Windows ohne den Media-Player auf den Markt. Wo sich aber kaum ein Kunde für die abgespeckte Version interessiert habe. Einige zehntausend Kopien vielleicht, im Vergleich zu Millionen Vollversionen von Windows, sagt Microsoft nicht ohne Schadenfreude. Dies räumt auch die Kommission ein.
Wettbewerbshüterin Kroes geht es aber um mehr. Sie will, dass Konkurrenten anschlussfähige Betriebssysteme für Arbeitsgruppen-Server entwickeln können.
Genau darum dreht sich der eigentliche Streit: Legt Microsoft alle Informationen für Software-Schnittstellen offen, damit die Wettbewerber solche Programme entwickeln können, wie der Konzern behauptet oder eben nicht oder allenfalls scheibchenweise, wie die Kommission und Konkurrenten meinen. In der Zwischenzeit baue Microsoft seine Marktmacht munter aus, sagt Thomas Vinje, Anwalt der Microsoft-Konkurrenten im Verband ECIS und wirft Microsoft eine Verzögerungstaktik vor:
"Microsoft soll einfach der Entscheidung der Kommission nachkommen. Es soll eine adäquate vollständige Dokumentation liefern, so wie es das Unternehmen in vielen anderen Fällen auch gekonnt hat. Es scheint, dass es die Umsetzung der Entscheidung verzögern will um dadurch in der Zwischenzeit weitere Marktanteile zu gewinnen. "
Die Kommission sieht das genauso. Microsofts Marktanteil bei Software für Arbeitsgruppen-Server sei im Steilflug - von 60 Prozent 2004 auf 75 Prozent in diesem Jahr - und mit jedem Tag, an dem die Auflagen nicht umgesetzt werden, steige er weiter. Die EU-Kommission hat daher den Druck erhöht und in 2006 ein neuerliches Bußgeld von 280,5 Millionen Euro verhängt - mit der Aussicht auf ein weiteres mit jedem Tag, an dem Microsoft die Forderungen aus Brüssel nicht erfüllt. Im Gespräch: bis zu 3 Millionen täglich, bis Wettbewerbskommissarin Kroes zufrieden ist. Frage an ihren Sprecher Jonathan Todd: Warum ist die Dame nicht zufrieden?
"Es ist wirklich sehr einfach. Wir wollen, dass Microsoft den Vorgaben nachkommt wie sie in der Entscheidung von 2004 stehen. Warum sie das noch nicht gemacht haben, nun, sie behaupten, dass die Entscheidung nicht ausreichend klar sei. Das sehen wir anders."
Microsoft mag da nur milde lächeln. Die Auflagen seien ausreichend erfüllt. Die Kommission drücke sich nicht klar aus, was sie eigentlich von dem Konzern wolle, heißt es gebetsmühlenhaft aus Redmond, dem Sitz von Microsoft. Die Entscheidung umfasse 300 Seiten - wie Microsoft jedoch den Verstoß abstellen soll, nur einige Absätze auf 3 Seiten, kritisiert Microsoft-Sprecher Tom Brookes in Brüssel und spricht von Auslegungssache:
"Im ganzen Umsetzungsprozess ging es um die Frage der Klarheit. Um was Microsoft die ganze Zeit gebeten hat sind klare Informationen darüber, was es tun muss, um den Auflagen nachzukommen. Das wird nicht immer deutlich aus drei Seiten Text, daher gibt es ziemlich großen Raum für Interpretation und wo es Interpretation gibt, kann man natürlich zu unterschiedlichen Sichtweisen kommen. "
Bei solchen Aussagen lächeln Kommission und Konkurrenten. Microsoft wisse es ganz genau, wolle die Auflagen aber gar nicht umsetzen, zumindest nicht, bis das Gerichtsurteil vorliegt. Ein Mittel dazu: absichtlich überhöhte Lizenzgebühren für die Software-Informationen. Behauptet zumindest der Anwalt der Konkurrenz, Thomas Vinje.
Kroes sieht das genauso. Weil Microsoft Konkurrenten einen unverhältnismäßig hohen Preis für die Quell-Quodes in Rechnung stelle, hat sie kürzlich ein zweites formelles Verfahren gegen den Konzern eröffnet.
Microsoft sieht sich zu Unrecht am Pranger. Microsoft-Sprecher Tom Brookes:
"Die jüngsten Geldstrafen in Höhe von mehreren hundert Millionen und zwei Jahre Diskussionen gingen im Grunde um das Wort "angemessen". Microsoft hat bei mehreren Gelegenheiten Preise vorgeschlagen, die Konkurrenten für die Lizenzen für die Protokoll-Technologien zahlen sollen und die liegen deutlich niedriger als die Markpreise für ähnliche Technologien anderer Unternehmen. Die Kommission sagt aber, sie seien nicht niedrig genug, Zitat: nicht "angemessen" und Microsoft sollte sie weiter senken. Und so geht Microsoft hin und senkt sie ein wenig mehr und dann sagt die Kommission, tja, das ist noch nicht weit genug und dann senken wir sie noch etwas weiter."
Nun, das hört sich nach "Salami-Taktik" an - eben genau das, was Kritiker monieren. So geht der Streit in‘s neunte Jahr. Für Microsoft gehe es aber um sehr Grundsätzliches, verteidigt Brookes das Vorgehen:
"Die Fragen, um die es hier geht, sind tatsächlich sehr fundamental. Um eine englische Redewendung zu benutzen: der Teufel steckt im Detail. Und die technische Details sind in diesem Fall unglaublich komplex und es gibt eine riesige Zahl von Ingenieuren, die in den vergangenen Jahren darüber diskutiert haben und sich dabei sehr sehr tief in die technische Komplexität reingekniet haben. "
Eine solche Ahnung muss wohl auch Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes beschlichen haben. Wollte sie nicht von den Software-Spezialisten jenseits des Atlantiks über den Tisch gezogen werden, dann musste externe Expertise her. Die Kommissarin beauftragte einen Computer-Wissenschaftler, den Briten Neil Barret, als Treuhänder von unabhängiger Seite, über den Fall zu wachen und sie zu beraten. Dass Microsoft aber nicht wisse, was sie verlange - das kauft Kroes Bill Gates nicht ab. Ihr Sprecher Jonathan Todd:
"Wir sind der Ansicht, dass die Entscheidung von März 2004 glasklar ist dahingehend, was Microsoft machen muss und dieser Ansicht sind auch andere Computer-Unternehmen. Wir widersprechen entschieden der Auffassung, dass Microsoft nicht in der Lage ist, unserer Entscheidung zu entsprechen, weil sie nicht ausreichend klar sei."
An Klarheit hatten es auch amerikanische Konkurrenten von Microsoft nicht missen lassen. Ausgerechnet sie hatten den Stein ins Rollen gebracht mit einer Beschwerde 1998 in Brüssel. Ergebnis: jetzt fechten US-Unternehmen auf europäischem Boden einen Streit aus, den sie seinerzeit daheim nicht lösen konnten. Dazu passt, dass sich im März vergangenen Jahres die Vertretung der US-Regierung bei der EU in den Streit eingeschaltete. In einem Brief an Kroes griff sie die Sorge von Microsoft auf, dass die EU-Entscheidungen weder fair noch transparent seien. Für die US-Streithähne zuständig ist die Kommission durchaus. EU-Wettbewerbssprecher Jonathan Todd:
"Die europäischen Kartellregeln beziehen sich auf alle Unternehmen, die auf dem europäischen Markt Geschäfte machen. Wenn man sich dazu entschließt, in Europa Geschäfte zu betreiben, dann ist man verpflichtet, sich an die Regeln zu halten, die in Europa gelten. Wir haben nicht speziell nicht-europäische Unternehmen im Visier, aber wenn nicht-europäische Unternehmen illegal handeln, dann drohen ihnen die gleichen Strafen wie europäischen Unternehmen."
Wenig erstaunlich - über die Handhabung des Falles durch die EU-Kommission in all den Jahren gehen die Meinungen auseinander. Die Protagonisten halten sich zurück. Sie wissen, dass jede unbesonnene Aussage von spitzfindigen Anwälten gegen sie verwandt werden kann. Jede Äußerung wird daher auf die Goldwaage gelegt. Lob und Kritik kommt derweil von Außenstehenden. Der Anwalt der Microsoft-Konkurrenten Thomas Vinje dazu:
"Ich glaube, die Kommission handhabt den Fall sehr gewissenhaft unter schwierigen Umständen, weil Microsoft auf jede denkbare Art versucht hat, die Kommission daran zu hindern, den Fall schnell abzuschließen. Die Kommission ist in einer sehr schwierigen Position."
Kritik kommt aus dem Europäischen Parlament. Für den FDP-Europaabgeordneten Jorgo Chatzimarkakis spricht allein die Dauer der Untersuchung "nicht gerade für den Wirtschaftsstandort Europa". Sein Vorwurf: Kroes komme nicht voran, ja wisse kaum mehr weiter. So wäre vielleicht eine Einigung außerhalb der Gerichte besser gewesen, wie sie Kroes‘ Vorgänger Mario Monti einmal angedacht hatte. Chatzimarkakis aber geht noch weiter: er sieht in dem Microsoft-Streit einen Beweis dafür, dass das Wettbewerbssystem der EU dringend auf den Prüfstand gehört:
"Allein die Tatsache, dass sich ein Fall neun Jahre zieht, zeigt schon, dass da an dem System etwas nicht stimmt. In unserem System, wo ja die Generaldirektion Wettbewerb zuständig ist für diese Fälle, haben wir die Konzentration von Macht bei einer Kommissarin, die dann gleichzeitig die Funktion der Staatsanwaltschaft, des Richters und des Vollstreckers übernimmt. Das ist eigentlich in einem modernen rechtsstaatlichen System eigentlich untypisch. Mit einer solchen Machtfülle muss man mal schauen, ob man sich nicht außergerichtlich einigen kann. "
Tatsächlich hatte Monti eine einvernehmliche Lösung zumindest zeitweilig ins Auge gefasst - bis eine Woche vor der Entscheidung. Dann, am 18. März 2004, erklärte er die Verhandlungen für gescheitert. Sogar hohe Beamte seiner Abteilung, so wird noch heute in Brüssel erzählt, hätten ihm zu einer außergerichtlichen Lösung geraten. Doch wollte Monti einen "Präzedenzfall" herbeiführen. Auch ging Microsoft nicht auf seine Forderung ein, das künftige Geschäftsgebaren festzuschreiben.
Dass der Streit tatsächlich weitreichende Konsquenzen hat, zeigt sich an dem neuen Windows-Betriebssystem "Vista". Hier tut sich womöglich nach dem Streit um Schnittstellen-Informationen und Lizenzgebühren Front Nummer 3 auf. Denn schon wieder haben sich Konkurrenten in Brüssel beschwert. Noch ist keine Entscheidung gefallen, Microsoft sieht sich auf der sicheren Seite, weil es alte und neue Kritikpunkte der Kommission in "Vista" berücksichtigt habe. Aber Kritiker monieren, dass Microsoft ein Monopol bei der Verwertung von digitalen Medien auf dem PC bekommen könnte. Auch könnte der Konzern seine Marktmacht auf das Internet ausdehnen. Die Kommission hält sich derweil bedeckt. Kroes-Sprecher Jonathan Todd:
"Zunächst muss man sagen, dass sich die Entscheidung von März 2004 auch auf "Vista" bezieht und daher ist Microsoft verpflichtet, die Informationen zur Interoperabilität für Arbeitsgruppen-Server auch bei "Vista" zugänglich zu machen. So gesehen ist "Vista" abgedeckt. Wir haben eine Beschwerde erhalten, die sich neben anderen Aspekten auf "Vista" erstreckt. Dies wird derzeit geprüft und wir sind noch zu keinem Ergebnis gekommen, ob wir auch tatsächlich eine komplette Untersuchung eröffnen oder nicht. Das Urteil dazu steht noch aus."
Und was hat nun der Verbraucher von alledem? Wenig, sagt Microsoft, viel sagen Kommission und Konkurrenz, weil mehr Wettbewerb bedeute mehr Auswahl mehr Gegenwert und mehr Innovationen. So schauen alle Beteiligten gespannt nach Luxemburg. Womöglich noch in diesem Jahr, so die allgemeine Erwartung, könnte dort Recht gesprochen werden. Ein "schwarz-weiß-Urteil" ist nicht zu erwarten. Beide geben sich zuversichtlich, im Grundsatz zu siegen. Der Ausgang jedenfalls, soviel ist klar, wird weitreichende Konsequenzen auf das haben, was ein marktbeherrschender Konzern im IT-Sektor darf und was nicht.