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Shuttle-Flug unter einem schlechten Stern

Raumfahrt. - In der Nacht zum vergangenen Donnerstag ist das Spaceshuttle "Endeavour" zur Internationalen Raumstation gestartet. Dort angekommen, stellten die Astronauten einen Defekt am Hitzeschild der Fähre fest. Auf der Erde suchen Ingenieure jetzt nach Reparaturmöglichkeiten. Der Wissenschaftsjournalist Dirk Lorenzen berichtet im Gespräch mit Gerd Pasch darüber.

13.08.2007
    Gerd Pasch: Was genau ist denn am Shuttle kaputt?

    Dirk Lorenzen: Wieder einmal bereitet der Hitzeschild der Nasa sorgen. Dieser Schild besteht aus gut 30.000 Keramikkacheln, im Schnitt etwa so groß wie ein Bierdeckel. Zwei Kacheln am Bauch des Shuttle sind während des Starts beschädigt worden: Da klafft ein Loch, neun mal sechs Zentimeter groß, gut zwei Zentimeter tief. Das sieht aus, als habe da jemand mit einem großen Löffel was heraus geschabt. Beim Start des Shuttle war ein etwa Tennisball großes Stück Isoliermaterial des Haupttanks abgerissen, gegen eine Strebe geprallt und hatte dann das Shuttle am Bauch getroffen. Zwar ist das Isoliermaterial Schaumstoff, der eine Konsistenz etwa wie Moosgummi hat. Aber wenn dieses Material mit hoher Geschwindigkeit aufprallt, kann es eben großen Schaden anrichten.

    Pasch: Wie gefährlich ist der Schaden?

    Lorenzen: Das weiß die Nasa selbst noch nicht. Man redet sich auch kurios heraus: An sich sei das gar nicht schlimm, meinte Missionsmanager John Shannon. Sollte aufgrund irgendeiner Notlage eine sofortige Rückkehr zur Erde nötig sein, würde man die "Endeavour" auch zurückkehren lassen. Gleichzeitig untersucht man fieberhaft, was beim Wiedereintritt in die Atmosphäre an diesem Loch im Hitzeschild passieren könnte. Da gibt es zum einen Simulationsrechnungen. Zum anderen bauen die Ingenieure das Loch auf einem Stück Shuttle-Außenhaut im Labor am Boden nach - und setzen diese Fläche in einem speziellen Windkanal ähnlichen Bedingungen aus, wie sie beim Wiedereintritt herrschen. Dann sieht man, ob es gefährlich werden könnte. Das Loch ist an einer Stelle, die sich beim Wiedereintritt der Endeavour auf mehr als 1200 Grad Celsius aufheizt.

    Pasch: Lässt sich der Schaden im All reparieren?

    Lorenzen: Ja, vielleicht. Seit dem Unglück der Raumfähre "Columbia", die 2003 beim Wiedereintritt verglüht ist, haben alle Shuttle-Crews "Flickzeug" dabei. Das reicht von einfacher Hitze abweisender Farbe, mit der man die beschädigte Stelle streichen könnte. Dann könnte man das Loch mit einer Art Fensterkitt zuspachteln. Und im schlimmsten Fall könnte man ein zu großes Loch mit einer Kohlefaser-Platte abdecken, die man an die Kacheln schraubt. Soweit die Theorie: Ob solches Flickwerk wirklich halten würde, müsste man dann sehen. Die Crews sind jedenfalls für solche Fälle trainiert. Ob das aber mehr als Psychologie ist, weiß man schlicht nicht. Denn kein Windkanal kann die ganz besonderen Bedingungen eines Wiedereintritts perfekt simulieren.

    Pasch: Hätte die Nasa denn genug Zeit zur Reparatur?

    Lorenzen: Ja. Man hat den Flug der "Endeavour" schon mal vorsorglich um drei Tage verlängert. Das ist auch kein Problem. Zum ersten Mal ist es bei diesem Flug möglich, dass der Shuttle sich an das Stromnetz der Raumstation hängt - das ging bisher nicht. Damit halten die Batterien und Brennstoffzellen des Shuttles viel länger. Die "Endeavour" soll nun bis zum kommenden Montag an der ISS angedockt bleiben.

    Pasch: Das ist jetzt der sechste Shuttle-Flug seit dem Columbia-Unglück - und immer noch gibt es Probleme mit dem Isoliermaterial am Haupttank. Hat die Nasa nichts dazu gelernt?

    Lorenzen: Die Nasa hat gelernt und sie hat vor allem bisher viel Glück gehabt. Gelernt hat sie, dass sie jetzt anderes Isoliermaterial verwendet als beim Columbia-Unglück. Der Tank ist soweit optimiert worden, dass möglichst wenig Material abreißen kann. Man fliegt zudem in den unteren 20 Kilometern der Atmosphäre bewusst etwas langsamer, um den Fahrtwind nicht zu stark zu haben. Das alles kann aber nicht verhindern, dass zumindest ein paar Schaumstofffetzen abreißen. Bei den letzten drei Flügen war sehr wenig abgerissen - das war schlicht Glück. Da dachten wohl manche, das Problem habe sich erledigt. Ganz und gar nicht.

    Pasch: Reißt nur beim Space Shuttle Material während der Startphase ab?

    Lorenzen: Nein, bei jedem Raketenstart passiert so etwas. Es reißt immer Material ab, ob nun Eis, das sich an den Tanks voller tiefgekühltem flüssigem Wasserstoff und Sauerstoff bildet oder eben Isolierschaum wie beim Shuttle. Bei einer normalen Rakete macht das auch nichts, denn da sitzt die wertvolle Fracht oben auf der Spitze. Der Shuttle aber sitzt hinten auf dem Haupttank. Dem fliegt sozusagen sein eigener Dreck ins Gesicht.

    Pasch: Kann dieser Schaden Auswirkungen auf das gesamte Shuttle-Programm haben?

    Lorenzen: Das ist durchaus möglich, auch wenn man darüber derzeit nur spekulieren kann. Nasa-intern war immer klar, dass man am Haupttank des Shuttles noch arbeiten muss. Nasa-Boss Michael Griffin hat erst kurz vor dem "Endeavour"-Start noch einmal bekräftigt, dass ein Team an der Verbesserung der Schaumstoffisolierung arbeitet. Genau der Bereich des Tanks, von dem jetzt das Material abgerissen ist, soll verändert werden. Bisher war geplant, den veränderten Tank erst beim dritten Shuttle-Flug nach dem jetzigen einzusetzen. Sollte man diesen Schaden jetzt für äußerst ernst erachten, dann könnte es durchaus sein, dass man die beiden kommenden Shuttle-Flüge aussetzt beziehungsweise ins Jahr 2008 verschiebt. Dann wäre der neue Tank verfügbar. Bisher ist geplant, im Oktober und im Dezember noch einmal einen Shuttle fliegen zu lassen. Im Dezember wäre dann Europas Raumlabor "Columbus" dabei. Mal sehen, ob es wirklich dabei bleibt.