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Siamesische Zwillinge im Mäusekäfig

Biologie. - Für die medizinische Forschung wurden bis in die 60er Jahre Mäuse zu künstlichen Siamesischen Zwillingen verbunden, um etwa Fettleibigkeit zu ergründen. Im Zeitalter der Gentechnik erlebt die Methode eine Renaissance, um Krankheiten besser aufzuklären.

Von Michael Engel |
    Die Symbiose beschreibt das Zusammenleben von Organismen, die sich so gegenseitig im Überlebenskampf helfen. Bei der Parabiose indes liegt der Fall anders: hier leben zwar auch zwei Organismen zusammen, doch nur einer von beiden profitiert von der Gemeinschaft. Ein Beispiel sind Aasfresser in Steppen und Wüsten, die den großen Jägern folgen. Parabiose gibt es aber nicht nur in der Natur, sondern - künstlich induziert – in Laboratorien. Bis in die 60er Jahre wurden Mäuse unter anderem für die Adipositasforschung wie Siamesische Zwillinge zusammengenäht. Nach fast 40jähriger Abstinenz greifen mehr und mehr Stammzellforscher zu den radikal anmutenden Tierversuchen, um zu erkunden, wie sich adulte Stammzellen im Körper verteilen. In den USA laufen bereits einige dieser Parabiose-Experimente. Auch Wissenschaftler der Medizinischen Hochschule Hannover erwarten neue Einsichten in die Wirkung von Stammzellen – speziell mit Blick auf die Niere.

    Der Anblick ist gewöhnungsbedürftig. Zwei Mäuse, Siamesischen Zwillingen gleich, stolpern über die Hand von Dr. Ferdinand Bahlmann von der Abteilung für Nephrologie der Medizinischen Hochschule Hannover, der die Tiere seitlich zusammen genäht hat.

    "Diese Mäuse sind vor 13 Tagen miteinander verbunden worden. Es ist halt so, dass sich dann nach vier oder fünf Tagen dort eine entsprechend stabile Verbindung zwischen den Tieren ausbildet. "

    Beide Mäuse stammen aus transgener Nachzucht, sind genetisch identisch, und deshalb gibt es auch keine Abstoßungsreaktionen.

    "Es wurde halt viel diskutiert: Wie hoch ist die Belastung für die Tiere? Wenn man sich selber vorstellt, man wird mit einem Partner zusammengenäht, den man sich nicht ausgesucht hat, und bleibt dann eine Zeit lang zusammen, dann entsteht halt die Frage, streiten sich die Tiere, wie belastend ist das? Reißen die sich auseinander? Der eine springt nach links, der andere springt nach rechts. Halten diese Nähte. Gibt es dort dramatische Wundveränderungen? Es war einfach unbekannt!"

    Weil die zu erwarteten Erkenntnisse letztlich überwogen, wurde das Parabiose-Experiment von den Behörden erlaubt. Auch der Leiter des Instituts für Tierschutz und Tierverhalten – Professor Hansjoachim Hackbarth von der Tierärztlichen Hochschule Hannover – beobachtete die Mäuse täglich.

    "Man hat nicht den Eindruck, dass die Tiere dadurch belastet sind, dass sie zusammen genäht sind. Also Verhaltensänderungen in der Form sind nicht gravierend. Die Tiere haben zugenommen schon während der ersten Woche. Sie haben Futter- und Wasseraufnahme gezeigt, sie putzen sich und so weiter, so dass man davon ausgehen muss, dass das offensichtlich für die Mäuse nicht so belastend ist, wie wir von vornherein gedacht hatten."

    Bei den Parabiose-Experimenten geht es um die Frage, ob Stammzellen im Körper in der Lage sind, geschädigte Nieren wieder aufzubauen. Im kardiologischen Bereich – nach Herzinfarkt – gibt es sogar schon klinische Versuche beim Menschen. Bei der "Niere" indes tappen Wissenschaftler immer noch im Dunkeln, ob Stammzellen hier etwas bewirken können. So wurde bei der "Maus A" fast die komplette Niere entfernt, während die "Maus B" mit intakter Niere eine genetische Markierung trug.

    "Als Marker nimmt man das grün fluoreszierende Protein, was aus einer Alge entwickelt wurde. In diesem Fall ist es so, dass das Protein unter der transkriptionellen Kontrolle eines Gens steht, was nur in Endothelzellen, also den Zellen, die die Gefäße von innen auskleiden, aktiviert ist, und dementsprechend nur diese gefäßauskleidenden Zellen grün leuchten. Und wir können das jetzt in dem Tier mit Fluoreszenzmikroskopie nachweisen, indem wir schauen, gibt es in dem Gewebe grün leuchtende Zellen?"

    Sollten neu gebildete Gefäßzellen in der defekten Niere der Maus A grün leuchten, wäre dies ein Hinweis darauf, dass Stammzellen aus der Maus B beteiligt sind. Und darauf, dass Stammzelltherapie grundsätzlich sinnvoll sein könnte. Noch aber stecken die Wissenschafter in einer Phase von Vorversuchen. Beim ersten Mauspaar, das jetzt zusammen genäht wurde, ging es zunächst nur um die Frage, wie groß der Blutaustausch zwischen beiden Individuen war.

    "Es ist so, dass sich nach zwei Wochen etwa 1,7 Prozent des Herz-Zeit-Volumens von der einen Maus zur anderen Maus gegeben werden. Wir wollen versuchen, diesen Prozentsatz bis auf fünf Prozent zu steigern, weil uns das sozusagen als minimale Größe als wichtig erscheint."

    Sollten die Versuche am Ende zeigen, dass körpereigene Stammzellen an der Regeneration der defekten Niere beteiligt sind, werden im nächsten Schritt Medikamente erkundet, um die Stammzellproduktion gezielt anzukurbeln. Wie wichtig die Grundlagenforschung ist, zeigen epidemiologische Zahlen: 50.000 bis 60.000 Menschen erleiden allein in Deutschland jedes Jahr eine "terminale Niereninsuffizienz". Das Organ geht unwiederbringlich verloren – Patienten müssen zur Dialyse und hoffen auf ein Spenderorgan.