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Siamesischer Zwilling gegen Redmond

Die Microsoft-Allmächtigen Bill Gates und Steve Ballmer erleben derzeit schwere Zeiten gleich an mehreren Fronten: Während die Linux-Fraktion weltweit auf dem Vormarsch ist und die EU-Kommission mit Zwangsmaßnahmen zur Offenlegung der Programmierschnittstellen von Windows droht, erscheint dem Redmonder Unternehmen am Horizont weiteres Ungemach. Denn Entwickler, Softwarefirmen und Wissenschaftler aus gleich sechs asiatischen Staaten planen, ein Betriebssystem als Alternative zu Windows zu entwickeln. Zwar tauchten bereits in der Vergangenheit solche Ankündigungen häufiger auf, doch diesmal könnte dahinter mehr als nur Verhandlungstaktik stehen.

    Der Name für den möglichen Windows-Killer ist ''Nah-Taang'' und steht in Thai bezeichnenderweise für "Fenster". Wird die Betriebssystemalternative tatsächlich verwirklicht, dann könnte das Fernost-Windows Microsoft vermutlich in relativ kurzer Zeit den gesamten asiatischen Markt abspenstig machen. Und das wäre erst der Anfang, denn es sprechen bereits einige Indizien dafür, dass die Drahtzieher von Nah-Taang nicht nur den asiatischen Markt im Visier haben. Das sind sicherlich hoch gesteckte Ambitionen, die sich kaum leichterdings umsetzen lassen, doch zumindest im asiatischen Markt hätte Nah-Taang einen klaren Heimvorteil. Das sieht offenbar auch Bill Gates so und kündigte bereits an, dass Microsoft eine besonders aktive Rolle auf der Asia-Pacific Economic Cooperation-Konferenz, die im Oktober in Bangkok stattfindet, übernehmen wird. Damit soll vermutlich Kunden wie auch Regierungen der Region ein Signal gesetzt werden, das mehr Kooperationsbereitschaft des US-Konzerns etwa beim Aufbau besserer Kommunikationsinfrastrukturen im asiatischen Raum unterstreicht. Denn genau daran hapert es bislang vor allem in Malaysia, Thailand, Indonesien und China. So investierte allein Thailand in diesem Jahr rund 35 Millionen Euro in informationstechnische Infrastruktur, doch ein nicht unbeträchtlicher Teil davon entfielen auf Lizenzkosten für Windows. Die Pläne eines asiatischen Gegenentwurfs zu Windows waren indes bereits vor einem halben Jahr um den Globus gezogen.

    Neue Brisanz erhielt das Vorhaben jetzt aber, weil führende Forschungseinrichtungen konkrete Schritte zu seiner Realisierung einleiten. So trafen sich an der naturwissenschaftlichen Fakultät der Chulalongkorn-Universität Experten aus sechs asiatischen Staaten, darunter auch aus Japan und China, um über alternative Betriebssystementwicklungen zu diskutieren. Zeitgleich dazu fand auf der Konferenzetage des nahen Pathumwan Princess Hotel entfernt ein weiteres Treffen von Softwareentwicklern und -unternehmen eben jener sechs asiatischen Staaten statt. Die Koordinierung von wissenschaftlich-technischen und kommerziellen Aspekten dieses Entwicklungsprogramms deutet eine gewisse Ernsthaftigkeit an, denn etwa an der angesehenen Chulalongkorn-Universität wurden in der Vergangenheit alle wichtigen technischen Innovationen, an denen Thailand beteiligt war, mitentwickelt. Motivation für einen Gegenentwurf zum marktbeherrschenden Windows bezieht die Schar der Betriebssystemrebellen gleich aus mehreren Quellen. So weigert sich Microsoft nach wie vor, Windows-Schnittstellen sämtlich offen zu legen. Insbesondere Japan, Südkorea und Thailand fürchten aber, dahinter könnten Mechanismen stecken, mit denen Industriespionage betrieben werden könnte. Gerade angesichts Thailands Bestreben, sich als Standort für europäische Softwareunternehmen zu etablieren, dürfte dies eine wichtige Rolle spielen. Ein zweiter Aspekt sind die hohen Lizenzkosten für Windowskopien, die vor allem in Thailand, Indonesien und Singapur den Staatshaushalt relativ hoch belastend. Drittens sind gerade Entwickler und Wissenschaftler schlicht mit der Stabilität von Microsofts Windows unzufrieden. "Was unser Laborsystem angeht, so denken wir, dass wir dem Computer nicht immer trauen können. Wenn wir also Messungen berechnen lassen, müssen wir die Ergebnisse des Computers noch einmal bestätigen lassen. Zur Bestätigung nehmen wir einen Crosscheck vor", erklärt Thanang Leelawatanasuk, Geologe und Softwarespezialist an der naturwissenschaftlichen Fakultät der Chulalongkorn-Universität. Diese Gegenprüfung finde derzeit unter Unix statt. Aber weder Unix auf der Grundlage von System V oder Linux sind hier eine wirkliche Alternative, weil die meisten eingekauften Laborssyteme Programmierschnittstellen von Windows voraussetzen. Der Aufwand, das unter Unix zu realisieren, ist sehr groß, andererseits Windows aber zu instabil.

    Die Schlussfolgerung der Forscher ist also die Entwicklung eines eigenen Betriebssystems nach Angaben der Laborsyteme-Hersteller, um so die Unzulänglichkeiten des Microsoft Produkts nicht länger fürchten zu müssen. Dazu könnten von Linux einige Programmroutinen übernommen werden, die allerdings um Datenformate und Features typischer Anwendungsprogrammierschnittstellen von Windows erweitert werden müssen. Damit ist auch klar, dass asiatische Softwareentwickler nicht einfach von Windows auf Linux umsteigen wollen, sondern wirklich ein eigenständiges Produkt entwickeln wollen. Doch vor allem soll das Open-Source-Modell für das asiatische Windows übernommen werden, um eine offene und Microsoft unabhängige Weiterentwicklung zu forcieren.

    [Quelle: Peter Welchering]