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Sibelius solo

Wir kennen ihn als Nationalheroen schlechthin: Jean Sibelius. Finnische Musik ohne ihn? - Unvorstellbar! Einmalig sind seine schroffen orchestralen Naturschilderungen und wuchtigen sinfonischen Tondichtungen. Und doch: Auch ein Orchesterkomponist wie Sibelius hat für Klavier solo komponiert - und das nicht zu knapp! Das zeigt die CD, die ich Ihnen heute vorstellen möchte: Klaviermusik von Jean Sibelius, eingespielt von Henri Sigfridsson. Dazu begrüßt Sie Falk Häfner.

Von Falk Häfner |
    " Khadras Tanz aus "Belsazars Gastmahl" "Khadras Tanz" aus Belsazars Gastmahl, einer Schauspielmusik von Jean Sibelius. Wie bei vielen anderen Orchesterwerken hat Sibelius auch eine Fassung für Klavier erstellt. Und deutlicher als in der orchestralen Vorlage schillern darin Vorbilder durch die Musik: Zum einen exotisches Kolorit, so wie es auch bei Ravel vorkommt - dann aber auch Modulationen und Wiederholungen, wie sie in den Sonaten von Franz Schubert immer wieder auftauchen - und das in loser Folge sorglos gemischt. Solche salonnahen Stücke von Sibelius gibt es zuhauf (auch wenn sie, durchaus zu Recht - nicht besonders bekannt sind) Es sind Miniaturen á la Schumann, Mendelssohn oder Chopin, wie sie im 19. Jahrhundert üblich waren. - Sibelius also ein Epigone? Das wäre sicherlich übertrieben. Dennoch: Sibelius` Werken ist die Schule anzuhören, die der 1865 im südfinnischen Hämeenlina Geborene durchlaufen hat. Den ersten musikalischen Unterricht bekam Sibelius mit elf Jahren - seine Mutter hatte das musikalische Talent ihres Sprösslings erkannt und schickte ihn zum Geigenunterricht. Musik wurde fortan die Domäne des jungen Sibelius. So erklärt sich auch, warum er das folgende Jura-Studium 1885 abbrach und stattdessen ganz auf die Musik setzte. In Helsinki wurde der finnische Komponist Martin Wegelius sein Lehrer. Außerdem kamen Impulse von Ferrucio Busoni, der als junger Dozent an der Musikhochschule Helsinki unterrichte. Prominente Lehrer im Ausland zu finden, das gestaltete sich für Sibelius schwierig. Weder konnte er bei Rimski-Korsakow in St. Petersburg landen, noch reagierte Johannes Brahms in Wien. Stattdessen kam Sibelius zum Berliner Kontrapunktlehrer Albert Becker und später in Wien zu Karl Goldmark und Robert Fuchs. Somit studierte er bei soliden, aber keinesfalls der Avantgarde zugewandten Lehrern . Dies mag ein Grund dafür gewesen sein, dass auch Jean Sibelius selbst nie zu den umstürzlerischen Komponisten seiner Epoche zählte.

    " Musette aus Suite "König Christian II"

    Ungewohnt heiter begegnet uns Jean Sibelius in dieser Musette aus der Suite "König Christian II". Volksliedartig verarbeitet er hier eine nordische Melodie. Worin Sibelius aber als Sinfoniker so brillant ist, nämlich Stimmungen und Farben zu entwickeln, das will ihm in seinen Übertragungen für das Klavier nicht wirklich gelingen. Der Satz ist denkbar schlicht, die Begleitungen der linken Hand oft monoton und ungelenk. Sibelius war eben Geiger - und auch bei ihm scheint das Klavier nur ein Pflichtfach im Studium gewesen zu sein.

    Hier ist also ein guter Pianist gefragt, der mit der Raffinesse seines Spiels daraus wahre Kunst entstehen lässt. Und das ist Henri Sigfridsson ohne Zweifel. Es gelingt ihm, lange musikalische Bögen zu spielen, ohne die Spannung abfallen zu lassen. Sigfridsson setzt den teilweise naiven musikalischen Wendungen seinen vollmundigen, kräftigen, aber dennoch warmen und nie knalligen Ton entgegen: Er vertraut ganz auf seine akkurate Artikulation. Und auch dynamisch lotet er die Extreme zwischen zartestem Pianissimo und kraftvollem Fortissimo aus. Vor allem aber atmet Henri Sigfridsson! Statt mit übertriebener Agogik nachträglich Kunst machen zu wollen, zelebriert er die Schlichtheit der Stücke. Und das ist das Beste, was er mit dieser Art von Musik tun kann.

    " Intermezzo aus der Karelia Suite "

    Henri Sigfridsson mit dem - auf dem Klavier etwas anämisch wirkenden - Intermezzo aus Sibelius` Karelia Suite.
    Ein Meister des Klaviers ist Sibelius nicht gewesen. Seine über 100 Klavierstücke sind denkbar simpel. Und auch, wenn seine eigenen Transkriptionen schon anspruchsvoller daher kommen, so erreichen sie doch längst nicht die eigene sinfonische Meisterschaft. Die Klavierstücke sind eben ganz offensichtlich ein wichtiges Zubrot gewesen, mit dem er den Bedarf an einfacher Hausmusik abdeckte und so leicht Geld verdienen konnte. Sibelius selbst wusste um die Schwächen seiner Klavierkompositionen. Er, der das Klavier tatsächlich nur für pekuniäre Zwecke mit Kompositionen und Arrangements bedachte, versuchte sogar, deren Veröffentlichung im Ausland zu verhindern. Sibelius fürchtete um seinen guten Ruf als Sinfoniker. Denn vor allem seine sieben großen Sinfonien, aber auch das bis heute zu den Repertoirehits zählende Violinkonzert oder seine sinfonischen Dichtungen haben seinen Ruhm begründet.

    Andererseits muss man sich vergegenwärtigen, dass Sibelius in einer Zeit lebte, da Reproduktionsmittel von Musik - wie die Schallplatte - zunächst noch nicht im Einsatz waren. Musik fand ihre Verbreitung also vor allem in Arrangements, und Verleger waren vor allem interessiert an leicht gesetzten Klavierstücken für den Hausgebrauch.

    Insofern ist die Platte, die der finnische Pianist Henri Sigfridsson bei Hänssler classics eingespielt hat, eher musikhistorisch bedeutsam und als Referenz an den Landsmann zu verstehen, denn als Projekt, sich selbst als Virtuose zu profilieren. Das ist mutig für einen jungen Pianisten, der gerade dabei ist, sich fest am internationalen Markt zu etablieren. Im Jahr 2000 hat Henri Sigfridsson beim Géza-Anda-Wettbewerb in Zürich den 2. Preis errungen; 2005 folgte der 1. Preis beim Beethoven-Wettbewerb in Bonn. Auf den Konzertbühnen hat er schon eine beachtliche Karriere gemacht: unter anderem als Trio- Mitstreiter von Sol Gabetta und Patricia Kopatchinskaja; aber auch als Kammermusikpartner von Boris Pergamenschikov, Leonidas Kavakos oder Gidon Kremer.

    Statt sich nun mit Mainstream-Repertoire in die Herzen einer großen Hörerschaft zu spielen, hat sich Sigfridsson (nach der Einspielung der beiden Klavierkonzerte von Franz Xaver Mozart) wieder für eine musikalische Rarität entschieden. Dennoch hat der 1974 Geborene diese Nische geschickt genutzt: Er zeigt sich als versierter Interpret, der die richtigen Mittel einzusetzen weiß, um Kunst entstehen zu lassen. Das ist ein selbstbewusste und eine achtbare Haltung!

    " Mélisande am Spinnrad "

    "Mélisande am Spinnrad" und eine Zwischenaktmusik aus Sibelius "Pelléas und Mélisande" - es klingt wie ein nur mäßig gelungener Adaptionsmix aus Schuberts "Gretchen am Spinnrad" und Wagners "Spinnerlied" aus dem "Fliegenden Holländer". - Ja, es haben einige Kollegen Pate gestanden bei diesen Miniaturen von Jean Sibelius.

    Auf dem Cover der bei hänssler classics erschienenen CD, da schaut der Pianist Henri Sigfridsson etwas fragend hinauf zum Schriftzug des Komponisten und dem Titel der Platte "Piano Transcriptions". Henri Sigfridsson wird wissen warum - mutmaßt Falk Häfner, der sich damit verabschiedet.

    Jean Sibelius: Piano Transcriptions
    Henri Sigfridsson, Klavier
    hänssler classics; CD 98.261