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Sibirische Eisfabrik

Polarforschung. – In Kiel findet derzeit die 21. internationale Polartagung statt. Ein Thema war unter anderem die Eisfabrik des Nordpols, die Laptewsee vor der Nordküste Sibiriens. Ein deutsch-russisches Forscherteam hat die Funktion dieses Gebietes näher erkundet, denn Sibirien ist wohl eine der wichtigsten Klimaküchen der Welt.

    Von Frank Grotelüschen

    Sie liegt vor Sibirien – dort, wo sich der riesige Lenastrom in den Ozean ergießt. Die Laptewsee ist ein Randmeer des Nordpolarmeeres, und sie ist nur wenige Monate im Jahr eisfrei. Dass die Laptewsee für Meeresgeologen wie Heidi Kassens vom Kieler Forschungszentrum Geomar so interessant ist, hat einen guten Grund.

    Hier wird ein Großteil des Meereises für den arktischen Ozean produziert. Und deswegen heißt die Laptewsee auch die Eisfabrik des arktischen Ozeans.

    Gespeist wird diese Eisfabrik durch die riesigen sibirischen Flüsse - wie eben die Lena. Die Flüsse bringen gewaltige Mengen an Süßwasser in die Laptewsee, wo das Wasser wegen seines geringen Salzgehalts schnell gefriert. Nur bleibt das Eis nicht dort, wo es entsteht. Kassens:

    Das Eis, das hier gebildet wird, wird in zwei bis drei Jahren in das europäische Nordmeer gedriftet, es treibt dort hin. Und dort beeinflusst es weitgehend auch unser Klimageschehen hier in Nordeuropa. Es hängt direkt mit dem Golfstrom zusammen. Sodass man hier eine ganz wichtige Schnittstelle für unser Klima hat - eventuell sogar den Anfang des globalen Ozean-Zirkulationssystems.

    Um nun diese sibirische Klimaküche genauer zu untersuchen, initiierte Heidi Kassens gemeinsam mit russischen Forschern ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, das nun erst einmal abgeschlossen ist. Und tatsächlich: Der Verdacht der Experten hat sich bestätigt. Kassens:

    Wir haben rausgekriegt, dass es sich bei der Laptewsee um ein wichtiges Schlüsselgebiet für unser Erdklima handelt, und dass geringe Änderungen dort sich kurzfristig auch in unserem Klima widerspiegeln können.

    Fast 30 Expeditionen unternahmen die Wissenschaftler insgesamt. Zum Teil waren es Ausfahrten mit Forschungsschiffen, zum Teil aber auch Exkursionen ins sibirische Hinterland. Und gerade die entpuppten sich als durchaus strapaziös. Kassens:

    Es ist ja doch ein sehr weit entlegenes Arbeitsgebiet. Man braucht bis zu zwei Monate, um überhaupt dort hinzukommen.

    Kassens und ihre Kollegen nahmen Bodenproben, zogen Sedimentkerne, untersuchten das Eis, studierten die sibirische Fauna und setzten spezielle Observatorien auf dem Meeresgrund aus, die kontinuierlich Größen wie Salzgehalt oder Wassertrübung erfassen. Kassens:

    Und das hat uns sehr viel Aufschluss gegeben darüber: Wie ist das Leben überhaupt in der Arktis? Was passiert in der Polarnacht, was passiert am Polartag? Und witzigerweise haben wir herausgefunden, dass die Organismen sich da gar nicht so richtig drum kümmern. Die haben ihren 12-Stunden-Tag. Das haben sie letztendlich hier in der Ostsee auch. Das war für uns sehr überraschend.

    Ebenso überraschend war auch das Resultat einer Bohrung mit einem russischen Spezialschiff. Kassens:

    Ein ganz phantastisches Ergebnis: Wir haben herausgefunden, dass der Meeresboden in der Laptewsee gefroren ist. Weltweit eine einzigartige Region: So was haben wir sonst noch nie gefunden, dass weit entfernt von den Küsten, 500 bis 600 km, der Meeresboden tiefgefroren ist.

    Bis zu 800 Meter tief - so schätzen die Forscher – ist der Meeresboden gefroren, und zwar bei Temperaturen von minus fünf bis minus sechs Grad. Und noch etwas fanden Kassens und Co. heraus: Und zwar fungiert der Permafrost-Boden als riesiges Kühllager für Methan – will heißen, der ewige Frost hält gewaltige Gasmengen gespeichert. Methan aber ist ja bekanntlich ein hochwirksames Treibhausgas. Und sollte in Zukunft die globale Temperatur durch den sich abzeichnenden Klimawandel tatsächlich steigen, dann wirft das neue Fragen auf. Kassens:

    Kann es sein, dass der gefrorene Meeresboden auftaut? Und kann es sein, dass dann Gase in die Atmosphäre freigesetzt werden, die wiederum unser Klima verändern können?

    Das Resultat wäre ein Effekt, der sich selber verstärkt: Eine globale Erwärmung würde jede Menge Methan aus dem Boden lösen; dieses Methan wiederum würde die Erdatmosphäre dann noch weiter aufheizen. Wie wahrscheinlich dieses Szenario ist, das wollen Kassens und ihre Kollegen nun in der nächsten Phase ihres Projekts untersuchen.