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Sich selbst beweisen in einer Männerdomäne

Einmal im Jahr startet eines der härtesten Mehretappenrennen der Welt, seit 1979 gibt es die Ralley Paris-Dakar. Am 21. Januar 2001 gewinnt Jutta Kleinschmidt als erste Frau dieses Rennen.

Von Thomas Jaedicke | 21.01.2011
    Die Sonne steht auf dem höchsten Punkt, als der Showdown beginnt. Die Zuschauer suchen den kostbaren Schatten, den ein paar Palmen spenden. Sonst nichts als Staub, Geröll und Hitze.

    Bericht: "Die 23. Rallye Paris-Dakar hatte über 10.739 Kilometer von Paris durch die Wüsten Marokkos, Mauretaniens und die Savanne des westafrikanischen Senegal geführt. 21 Tage dauerte die anstrengende Tour. Sie war überschattet durch Anschlagsdrohungen der Befreiungsfront des sahauischen Volkes, Polisario."

    Jutta Kleinschmidt: "Das war, glaube ich, dieses Jahr ein ziemlich verrücktes Rennen und sehr interessant, weil es eigentlich bis zum Schluss offen war."

    Jutta Kleinschmidt ist erleichtert. Am 21. Januar 2001 geht ihr großer Traum endlich in Erfüllung. Als erste Frau gewinnt die 38-jährige Kölnerin - zusammen mit ihrem Beifahrer Andreas Schulz - die mörderische Wüstenrallye Paris-Dakar. Im Ziel am Lac Rosé, 30 Kilometer vor der senegalesischen Hauptstadt Dakar, hat sie gut zweieinhalb Minuten Vorsprung vor ihrem Teamkollegen Hiroshi Masuoka.

    Jutta Kleinschmidt: "Ja, wir persönlich haben auch sehr viel Spaß dabei gehabt eigentlich, weil es eine sehr, sehr harte und anstrengende Rallye war, wie wir sie uns eigentlich gewünscht haben."


    Wie immer ist auch die 23. Dakarralley wieder ein gigantischer Tross. 123 Motorräder und 93 Autos, 34 Lastwagen und 62 Begleitfahrzeuge nehmen das Abenteuer in Angriff. Die Anforderungen an Mensch und Material sind brutal: abgerissene Achsen, defekte Motoren, geplatzte Reifen. Sengende Sonne und endlose Dünen rauben manchem Fahrer Orientierung und Verstand.

    Masuoka zum Beispiel: Vor der letzten Etappe im Klassement besser als Kleinschmidt platziert, riskiert der Japaner kurz vor Schluss bei einem verzweifelten Überholmanöver zu viel - und verliert in einer Bodenwelle die Radaufhängung. Aus. Der Sieg ist verschenkt. Jutta Kleinschmidt fährt dagegen so gefühlvoll, dass sie in den drei Wochen in Geröll und Sand nur drei platte Reifen wechseln muss.

    Jutta Kleinschmidt: "Unser Erfolg war hauptsächlich, weil wir uns von Anfang an vorgenommen haben, wirklich konstant zu fahren, von vorne nach hinten. Jeden Tag zu versuchen, vorne mit dabei zu sein. Aber nicht unbedingt zu versuchen, Tagesetappensiege mit Gewalt herauszufahren. Und das ist uns auch gelungen. Ich glaube, wir waren auch die Einzigen, die kein einziges Mal schlechter als nur Achter in den Tageswertungen waren und meistens waren wir unter den ersten fünf in den Tageswertungen. Und das hat sich halt am Ende ausgezahlt."

    "Mein Vater wanderte nach Amerika aus, der genaue Ort war uns nicht bekannt", schreibt die 1972 geborene Jutta Kleinschmidt in ihrem Buch "Mein Sieg bei der Dakar". "Ohne Vater aufzuwachsen, hatte durchaus etwas Gutes: So lebte ich in einem reinen Frauenhaushalt. Dies trug wesentlich dazu bei, dass ich, seit ich denken kann, die Dinge selbst in die Hand genommen und mich nicht darauf verlassen habe, dass andere für mich Entscheidungen treffen."

    Jutta Kleinschmidt besuchte mit einer Sondergenehmigung eine Knabenrealschule, machte Abitur auf einer technischen Fachoberschule, jobbte während ihres Physikstudiums auf dem Bau. 1992 gab sie einen gut bezahlten Job als Systemanalytikerin bei BMW auf und wurde Profirennfahrerin. Das sei die beste Entscheidung ihres Lebens gewesen. Sie wollte sich in dieser Männerdomäne beweisen.

    Am 21. Januar 2001 triumphiert Jutta Kleinschmidt nicht nur als erste Frau bei der Rallye Paris-Dakar. Sie lässt auch den Topfavoriten und ehemaligen Partner Jean-Louis Schlesser hinter sich. Der 55-jährige Rallye-König erhielt nach einer groben Unsportlichkeit vor der letzten Etappe eine 60-minütige Zeitstrafe und wird nur Dritter.
    Bisher ist Jutta Kleinschmidt die einzige Frau, die die berühmte Wüstenrallye gewinnen konnte.
    Jutta Kleinschmidt: "Und ich denke, es hat sich auch ausgezahlt, dass die Jungs irgendwann mal die Nerven verloren haben. Und wir haben sie halt behalten."

    Das seit 1970 jährlich ausgetragene Rennen wird nach einer Terrorwarnung seit drei Jahren in Südamerika gefahren. Es ist eines der härtesten Mehretappenrennen der Welt und äußerst umstritten. Gegner werfen den Veranstaltern ökologische Aggression und Verachtung der einheimischen Bevölkerung vor. In den vergangenen drei Jahrzehnten kamen mindestens 60 Menschen im Umfeld des Rennens ums Leben.