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Sicher verwahrt oder menschenunwürdig weggesperrt?

Einfahrt in die Justizvollzugsanstalt Freiburg, 780 Menschen leben hier hinter Gittern. Freiburg ist auch die zentrale Stelle für die Sicherungsverwahrung in Baden-Württemberg. Das burgähnliche ehemals großherzoglich badische Landesgefängnis betreten Besucher durch eine neue Schleuse aus Stahltüren, von dort gelangt man in den Innenhof, im Schatten der stacheldrahtbewehrten Außenmauer.

Von Gudula Geuther | 04.02.2004
    Vollzugsbeamter: Die Mauerkronensicherung, die ist ringsum. Nicht überwindbar, wurde getestet.

    Noch eine Stahltür und man ist im Hauptgebäude. 42 Männer sitzen hier in Sicherungsverwahrung. Sie wurden für zu gefährlich befunden, um nach Verbüßung ihrer Haftstrafe in Freiheit zu kommen. Um 300 sind es in ganz Deutschland. Keine eigentliche Strafhaft also, sondern Unterbringung zum Schutz der Öffentlichkeit.

    Wer von der Justiz zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, verlässt das Gefängnis möglicherweise jahrzehntelang nicht. Andere, die als besonders gefährlich eingestuft werden, landen in der Psychiatrie und kommen vielleicht nie wieder heraus. Und dann ist da noch die schärfste Maßnahme des Strafrechts: Die Sicherungsverwahrung. Seit siebzig Jahren gibt es dieses Instrument. Und gerade in den vergangenen Jahren ist es noch mehrmals verschärft worden. Über zwei der Verschärfungen urteilt morgen und am kommenden Dienstag das Bundesverfassungsgericht.

    Auch wenn es vor allem schreckliche Morde an Kindern sind, die die Diskussion anfachen: Es sind nicht nur solche Täter, die in Sicherungsverwahrung kommen. Das erklärte auch der bayerische Innenminister Günther Beckstein bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe:

    Wenn jemand nicht messbar krank ist, sondern nur bösartig. Wenn jemand zum Beispiel einen so fanatischen Ausländerhass hat, dass er sagt: Ich werde immer Ausländerwohnheime anzünden, wenn ich nicht erwischt werde. Dann meine ich, dann wäre es falsch, so jemanden einfach auf die Allgemeinheit loszulassen, und damit Opfer zu riskieren.

    Jeder der Männer, die in Freiburg sitzen, hat eine Latte von Vorstrafen, denn Sicherungsverwahrung kamen bisher nur Wiederholungstäter. Schon deshalb liegt der Altersdurchschnitt der in der baden-württembergischen Anstalt Verwahrten bei über 50 Jahren. Jeder zweite ist wegen Sexualdelikten verurteilt: Vergewaltigung, versuchte Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Kindesmissbrauch. Viele wegen Gewalttaten bis hin zum Mord. Aber jeder fünfte sitzt wegen Straftaten, die man hier nicht erwartet: Diebstahl, Hehlerei, Betrug, Drogendelikte.

    Trotzdem sind es vor allem die Sexualdelikte, die eine sachliche Diskussion über die Sicherungsverwahrung schwierig machen. Und das schon seit längerer Zeit. Vor Jahren forderte Bundeskanzler Gerhard Schröder nach einem entsetzlichen Sexualdelikt an einem Kind: "Solche Leute sollte man wegschließen, und zwar für immer". Die Boulevardpresse startet regelmäßig Kampagnen. So wird gerade in diesen Tagen gegen Richter am Bundesgerichtshof gewettert: Sie seien persönlich verantwortlich dafür, dass ein Mann auf freiem Fuß sei, der nun wieder eine Vergewaltigung begangen habe. Die Richter hatten ein rechtlich nicht haltbares Urteil aufgehoben.

    Die Diskussion am Bundesverfassungsgericht verlief dagegen in einer wohltuend sachlichen Atmosphäre. Bei der mündlichen Verhandlung diskutierten im Oktober in Karlsruhe Juristen und Politiker, Gutachter und Gefängnispraktiker über die erste der beiden Verschärfungen: Darf ein Täter, für den zum ersten Mal Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, ohne zeitliche Begrenzung festgehalten werden? Bis 1998 kamen solche – tatsächlich fast immer: - Männer nach 10 Jahren frei. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries verteidigt das Gesetz, mit dem ihre Vorgängerin Herta Däubler-Gmelin diese Beschränkung gestrichen hatte:

    Es gibt inzwischen gesicherte Erkenntnisse, dass manche Täter so gefährlich sind, dass man sie auch in höherem Alter nicht wieder freilassen kann. Das sind zugegebenermaßen Einzelfälle, und im Grundsatz gehen wir immer noch von der Resozialisierung der Täter aus. Aber diese Einzelfälle gibt es eben, und darauf muss der Gesetzgeber adäquat reagieren können und müssen dann Gerichte auch im Vollzug adäquat reagieren können. Deswegen muss es die Möglichkeit geben, bestimmte Menschen eben nicht wieder freizulassen.

    Anlass für die Verhandlung war die Verfassungsbeschwerde eines heute 46-jährigen Mannes, der seit seinem 15. Lebensjahr nur wenige Wochen in Freiheit war. Von Diebstählen angefangen, hatte er schließlich Gewalttaten bis hin zum versuchten Mord begangen. Verfassungsrechtlich verwies sein Anwalt auf die Menschenwürde. Darf dem Eingesperrten jede Perspektive genommen werden, einmal wieder in Freiheit zu kommen? Im Fall der lebenslangen Freiheitsstrafe hatten die Verfassungsrichter das schon einmal verneint. 1977 entschieden sie:

    Zu den Voraussetzungen eines menschenwürdigen Strafvollzuges gehört es, dass dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten grundsätzlich eine Chance verbleibt, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden. Die Möglichkeit der Begnadigung allein ist nicht ausreichend; vielmehr gebietet das Rechtsstaatsprinzip, die Voraussetzungen, unter denen die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ausgesetzt werden kann, und das dabei anzuwendende Verfahren gesetzlich zu regeln.

    Im Fall der Sicherungsverwahrung ist diese Forderung seitdem die 10-Jahres-Grenze gestrichen worden ist, kaum noch erfüllt. Entsprechend aussichtslos erscheint die Perspektive und der Alltag der Menschen, die in Sicherungsverwahrungen leben.

    Die Männer in der Freiburger Anstalt wohnen auf eineinhalb Stockwerken in einem der fünf Gebäudeflügel, die abgehen von der zentralen Halle mit dem gläsernen Wachhaus. Im Gefängnis, und doch nicht zusammen mit den Strafgefangenen, das verlangt das Gesetz im Interesse der Untergebrachten. Das Stockwerk wird zum Lebensraum.
    Günther Lefering arbeitet hier als Sozialarbeiter.

    Im Gegensatz zu den Stockwerken für die Strafgefangenen ist es so, dass wir hier zwei Freizeiträume haben, die mehr oder weniger intensiv dann auch genutzt werden.

    Eine Drachenpalme steht in dem sonst eher kargen Raum. Die Männer tragen eigene Kleidung statt Anstaltskluft. Mit zeitlichem Vorlauf und gewissen Einschränkungen dürfen sie Lebensmittel bestellen, jeden Tag steht irgendeiner der Männer am gemeinsamen Herd zwischen Stahlmöbeln, so auch jetzt. Und kocht für sich. Es gibt kaum gemeinsame Aktivitäten.

    Das ist ein großes Problem. Das hat was mit den Straftaten als solches zu tun, auch die Wahrnehmung hier intern ist natürlich entsprechend wie draußen. Ein Sexualstraftäter wird anders gesehen wie jemand mit einem Totschlagsdelikt oder mit einer Körperverletzung. Also es ist ja so ein Konglomerat an Charakteren auch. Es ist nicht so, dass ich ableiten kann, der hat den Charakter, also hat er die Straftat begangen. Auf keinen Fall. Aber eine Betrugsstruktur ist eine ganz andere Struktur wie eine gewalttätige Struktur.

    Sicherungsverwahrter: Unter 30 Leuten fast sind halt wenig zu finden, die wo was zusammen machen. Da sind viele Eigenbrötler drin, das hängt vielleicht auch mit der langen Haftzeit zusammen.

    Günther Lefering: Zum Teil ist es einfach verständlich, dass die Leute frustriert sind, weil die Perspektive zum Teil sehr, sehr bescheiden ist, wenn man überhaupt von einer Perspektive sprechen kann. Eben das ist natürlich auch hier eine sehr gespannte Erwartungshaltung, was die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes angeht.

    Die meisten arbeiten zusammen mit den Strafgefangenen in den Anstaltsbetrieben. Die Freizeitangebote für die Strafhäftlinge stehen auch ihnen offen, Sprachkurse, Bastelgruppen, einer geht ins Berufskolleg, einer studiert sogar an der Fernuniversität. Einige sitzen vor allem in der Zelle, acht Quadratmeter mit Nasszelle, eigenen Möbeln, mit einem Vorhang vor der tagsüber offenen Tür, und einem Fernseher, der fast immer läuft.

    Sicherungsverwahrter: So ist das ja, es ist doch so. Und die Leute, die verzweifeln halt. Ja, das kriegt eh keiner mit. Ey, willst du eine Therapie machen? Aber das bringt ja auch nichts. Wir unterliegen ja keinem Strafübel, sondern wir sollen nur untergebracht werden. Sicher. Trotzdem haben wir nicht mehr als woanders die Anstalt auch. Arbeiten, ruhig sein, dann kann man Drogen nehmen, man kann sich besaufen, man kann alles machen. Nur man muss ruhig sein. Das ist das Hauptproblem.

    Günther Lefering: Diese Oppositionshaltung, ich muss sie natürlich aufrecht erhalten. Wenn ich irgendwann mal sage, also ich fühle mich hier wohl und mache einfach, dann habe ich resigniert. Ist auch was völlig anderes bei Untergebrachten als bei Strafgefangenen. Und dass eine gewisse Resignation auch schon mit der Verlegung nach Freiburg einhergeht, ist auch relativ klar. Weil plötzlich ist es da. Plötzlich ist man in der Sicherungsverwahrung. Ein Jahr vorher, das ist auch wieder eine Erfahrung, ist es gar nicht so präsent.

    Der etwa 50-jährige Mann in der Küche trägt demonstrativ Anstaltskleidung. Manche ziehen für die Treffen im Besuchsraum ihren Anzug aus dem Schrank.

    Günther Lefering: Wir haben natürlich einen sehr hohen Anteil, die kaum noch Kontakte haben, wobei wir diesbezüglich auch auf das Medium der ehrenamtlichen Betreuer zurückgreifen. Wo man dann auch einfach schaut, wer passt, und wo das dann auch der Kontakt nach außen ist.

    An sich soll auch die Entlassung nach 10 Jahren weiterhin die Regel sein. Das bekräftigte bei der mündlichen Verhandlung auch Justiz-Staatssekretär Hansjörg Geiger:

    Die heutige Verhandlung hat ergeben, dass – bei aller Schwierigkeit der Prognoseentscheidungen – es aber einen Teil von Straftätern gibt, die andauernd gewalttätig angesehen werden. Das relativiert sich zwar mit zunehmendem Lebensalter, ist uns gesagt worden. Aber immerhin: Der Sachverständige sprach von 18 Prozent der Personen. Um diesen Personenkreis geht es, wenn man die Gefährlichkeit berücksichtigt, und nicht zu einer automatischen Entlassung nach einer Mindestanzahl von Jahren der Sicherungsverwahrung kommen will.

    In Freiburg zumindest hat sich dieses angestrebte Verhältnis von Regel und Ausnahme umgekehrt. Seit die 10-Jahres-Frist aufgehoben wurde, gibt es zumindest für die wegen Gewalt- und Sexualdelikten Verurteilten nur noch eine Möglichkeit, hier wieder herauszukommen: Dass ein Gutachter ihnen bescheinigt, dass sie voraussichtlich in Freiheit keine Straftaten mehr begehen werden. Und wer eine Therapie erfolgreich absolviert hat, hat gute Chancen. Alle Freiburger Sicherungsverwahrten hatten Sozial- oder Psychotherapien, irgendwann im Lauf ihrer Knast- oder Unterbringungskarriere. Geglückt ist keine, sagt der Anstaltsleiter Thomas Rösch. Keiner der Männer ist heute noch in Behandlung.

    Da wurden natürlich Gutachten jeweils eingeholt, ganz dem Gesetz natürlich entsprechend. Die Gutachten waren von der Prognose her negativ. In allen Fällen, die bisher zur Überprüfung kamen, wurde verlängert, das ist richtig.

    Diese Entwicklung entspricht einer allgemeinen Tendenz.

    Und das liegt nicht nur an der Vollzugsanstalt. Eine wesentliche Rolle spielen hier die Gutachter. Sie haben wesentlichen Einfluss darauf, wer sich wie auf ein mögliches Leben in Freiheit vorbereiten darf - durch Freigang oder andere Lockerungen. Die zur Karlsruher Verhandlung geladenen Experten waren sich einig: Es gibt nur wenige Gutachter, die sich schon seit längerem auf dieses Feld spezialisiert haben. Das Ergebnis geht zu Lasten der Verwahrten. Das glaubt auch der Münchner Professor für forensische Psychiatrie, Norbert Nedopil:

    Es gibt viel mehr Gutachtenaufträge als sie von den kompetenten Sachverständigen gemacht werden können, die auch genügend Erfahrung und ein breit genuges Rückgrat haben, um in schwierigen Situationen zu ihren Entscheidungen zu stehen. Wer eine Prognose abgibt, dass Gefährlichkeit weiter besteht, der geht kein Risiko ein. Weil jemand, der in der Haftanstalt verbleibt, der kann den Gutachter nie als falsch bestrafen, sozusagen. Unsichere Gutachter, Berufsanfänger, werden aufgrund ihrer eigenen Sicherheit, nicht in der Zeitung stehen zu müssen mit einem negativen Ergebnis, eher dazu tendieren, jemand drin zu lassen. Obwohl die Chancen, dass er draußen ohne Rückfall leben könnte, relativ gut sind.

    Je negativer die Stimmung ist, je mehr ein Gutachter Kampagnen der Boulevardpresse auch echte Empörung fürchten muss, desto weniger Psychiater werden sich auf dieses unangenehme Arbeitsfeld einlassen. Dies erst recht, als auch der Druck von Seiten der Politik und der Behörden wächst: Die Fristen für Gutachten würden immer kürzer, sagten die Fachleute.

    Zu diesen praktischen Problemen können die Verfassungsrichter Stellung nehmen, sie müssen es aber nicht.

    Dagegen müssen sie entscheiden über die Frage, welche Perspektive die Menschenwürde verlangt. Dass die Grundsätze der lebenslangen Strafhaft aber genauso für die Sicherungsverwahrung gelten, ist nicht gesagt, denn schließlich kommt die Notwendigkeit hinzu, mögliche Opfer zu schützen.

    Je weniger Aussicht die Menschen aber haben, wieder in Freiheit zu leben, desto wichtiger ist die Form, in der die Unterbringung gestaltet wird. Dabei ist an sich klar: Weil die Täter ihre Schuld, wenn man so will, ja schon abgetragen haben, muss sich die Unterbringung von der Strafhaft unterscheiden. Manchmal tut sie das gar nicht. Wie bei einem der Verfassungsbeschwerdeführer, für den sich in der Sicherungsverwahrung buchstäblich gar nichts änderte, er verließ noch nicht einmal seine Zelle. In Freiburg gibt es zwar Unterschiede: Von der Kleidung zur Einkaufsmöglichkeit, vom Freizeitraum bis zur räumlichen Trennung der Stockwerke. Trotzdem: Hier müsse viel mehr für die Verwahrten getan werden, kritisierte der Amtsrichter und frühere Gefängnis-Praktiker Thomas Ullenbruch.

    Die unterscheidet sich sehr, sehr wenig. Wenn Sie grad jetzt den Bereich Arbeit ansprechen zum Beispiel: Da gibt’s für Sicherungsverwahrte und – in Anführungszeichen – normale Strafgefangene eine Arbeitspflicht. Das heißt: wenn ein Sicherungsverwahrter sich weigert, eine Arbeit anzunehmen, dann kann er diszipliniert werden. Es gibt aber auch noch viele andere Bereiche, die man anschauen kann, man kommt immer wieder zu dem Ergebnis: Die Unterscheidungen sind minimal.

    Was der Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Hansjörg Geiger, zwar einräumte. Aber gleichzeitig rechtfertigte er manche Ähnlichkeiten:

    Es sind heute einige Hinweise gegeben worden, was man tun kann, die Sicherungsverwahrung noch deutlicher abzugrenzen in ihrer Auswirkung und in der Art der Durchführung von der Strafhaft, das ist richtig. Wir haben andererseits aber auch gehört, dass zum Teil es deshalb eine Annäherung gegeben hat, weil die Strafgefangenen zunehmend einen Teil der Vergünstigungen bekommen, ohne dass das Gesetz das vorsieht, die man bisher nur für die Sicherungsverwahrten vorgesehen hatte.

    Der Anwalt des Beschwerdeführers hatte außerdem auf eine weitere verfassungsrechtliche Schwierigkeit des neuen Gesetzes hingewiesen, die sich für seinen Mandanten ganz konkret stellt: Er hatte mit seiner Entlassung nach zehn Jahren gerechnet. Kurz vor dem Termin trat das Gesetz in Kraft. Sein Anwalt argumentiert, mit einem Schlag sei seinem Mandanten die Grundlage für seine Lebensplanung genommen worden – und das, ohne dass er selbst einen Anlass dafür geboten hätte. Strafgesetze dürfen nicht rückwirkend angewandt werden. Aber gilt das auch bei der Sicherungsverwahrung? Immerhin knüpft sie an eine Straftat an, aber es geht eben vor allem um die Sicherheit.

    Dieses Problem der Rückwirkung stellt sich genauso bei der politisch umstrittenen Form der Sicherungsverwahrung, über die der zweite Senat in der kommenden Woche urteilen will. Dort geht es um Ländergesetze. Der 69-jährige Verfassungsbeschwerdeführer aus dem bayerischen Wald, der wegen Vergewaltigung Minderjähriger zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden war, erfuhr drei Tage vor der geplanten Entlassung, dass er nicht nach Hause zurückkehren dürfte. Das Gesetz, das dies ermöglicht, soll die Frage klären: Was, wenn sich erst im Gefängnis herausstellt, wie gefährlich ein Täter ist? Bis vor kurzem konnte nur der Tatrichter, also der, der schon die Gefängnisstrafe verhängt, auch die Sicherungsverwahrung anordnen. Inzwischen gibt es im Bund zwar ein Gesetz, nach dem diese Verwahrung auch unter Vorbehalt ausgesprochen werden kann, der Delinquent kann sich also noch in der Haft bewähren. Aber das gilt eben erst für die, die jetzt solche Urteile bekommen. Zu mehr konnten sich die Justizpolitiker im Bund nicht durchringen, wegen rechtsstaatlicher Bedenken. Vor allem, weil man für dieselbe Tat nicht zweimal bestraft werden darf, hier sehen viele ein Problem. Die frühere Justizministerin Herta Däubler-Gmelin forderte schließlich die Länder auf, selbst tätig zu werden – was Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und inzwischen Niedersachsen auch getan haben. Hessen und Sachsen wollen nachziehen. In der mündlichen Verhandlung war mehreren Verfassungsrichtern anzumerken, dass sie das für fragwürdig halten, wieder geht es um die Frage: Geht es ums Strafrecht oder um Sicherheit? Nur für die Sicherheit sind die Länder zuständig. Sachsen-Anhalts Innenminister Klaus-Jürgen Jeziorsky sieht hier kein Problem:

    Wir sind hier in dem Bereich der Gefahrenabwehr. Wir machen eine Prognose: Gefährdung der Allgemeinheit, und zwar schwere Gefährdung, und deswegen ist es Polizeirecht.

    Während sein bayerischer Kollege Günther Beckstein einen erstaunlich pragmatischen Ansatz wählt:

    Die beste Lösung wäre, dass der Bund eine Regelung macht.

    So sahen das wohl auch die Richter. Zusätzlich hinterfragten sie aber auch die Kriterien des bayerischen Gesetzes, dem die anderen Ländergesetze ähneln: Ein Grund, warum Gutachter den Mann als gefährlich angesehen hatten, war, dass er keine Therapie machen wollte. Weil er die Tat bestritt. Gehört das aber nicht zum Recht auch eines Verurteilten? Und wie passen solche strafrechtlichen Fragen hier hinein? Ein anderer Grund war der, dass der Mann inzwischen älter geworden war und sich nach Ansicht des Gutachters gefährliche sexuelle Tendenzen bei Pädophilen im Alter verstärken. Andere Gutachter hingegen sehen gerade bei jüngeren Sexualstraftätern besondere Gefahren. Bedarf es hier nicht definierterer Maßstäbe, fragten die Richter.

    In Freiburg sitzt niemand aufgrund eines solchen Landesgesetzes. Baden-Württemberg gehört zwar zu den Ländern, dessen Verantwortliche diese Form der Unterbringung politisch besonders engagiert vertreten hatten, bisher hat aber kein Gericht im Land eine solche Anordnung bestehen lassen. Aber egal, aufgrund welchen Gesetzes die Menschen in Sicherungsverwahrung sind: Bei allen stellt sich die Frage: Wie geht es weiter?

    Acht der Männer in Freiburg sind von der Aufhebung der 10-Jahres-Grenze betroffen. Ihnen bleibt die Hoffnung auf das Verfassungsgericht. Den anderen bleibt, dass in der Regel mit dem Alter Aggression oder Trieb nachlassen und sich so die Prognose verbessert, irgendwann. Dann können sie entlassen werden, in eine Freiheit, in der sich viele nicht mehr zurechtfinden.

    Wir brauchen bei den Leuten eine betreuende, beschützende zum Teil Einrichtung, die weniger die Außenstehenden schützt, sondern viel mehr den Untergebrachten schützt, in ein Leben entlassen zu werden, mit dem er nicht zurecht kommt. Ich nehme jetzt ein Beispiel raus, was wir dieses Jahr erfolgreich dann auch abschließen konnten mit einer Entlassung. Eine Alkohol-Aggressions-Problematik, die man auch trotz eines hohen Lebensalters nicht gänzlich ausschließen konnte. Wir haben so eine Einrichtung gefunden, die dann zu allem Überfluss auch noch bereit war, sich mit der Thematik auseinander zu setzen. Und man kann sich den Aufwand ein bisschen vor Augen führen: Die Einrichtung liegt im Fränkischen. Weil wir in Baden-Württemberg schlichtweg keine Einrichtung gefunden haben, die dazu bereit war überhaupt.

    Thomas Rösch: Grundsätzlich kann man sagen, wirklich verstorben bei uns, weil die Sicherungsverwahrung angedauert hat, ist bisher noch keiner.