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Sicherheit auf Kosten der Bürgerrechte

Eingriffe in Bürgerrechte lassen den Streit um die strengen Antiterrorgesetze in den Niederlanden nicht enden. Erstmals angewendet wurden sie im Prozess gegen die so genannte Hofstadt-Gruppe. Die niederländische Terrorzelle soll Anschläge geplant haben auf Politiker und Gebäude. Als ihr Anführer gilt der Mörder des Amsterdamer Regisseurs Theo van Gogh, der bereits zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Kerstin Schweighöfer berichtet.

    Thema Nummer eins derzeit in den niederländischen Medien: der Prozess gegen die so genannte Hofstadgruppe. Diese mutmaßliche Terrororganisation soll Anschläge gegen Politiker und Gebäude geplant haben. Voller Spannung sieht das ganze Land dem Urteil entgegen. Angeklagt sind 14 islamitische Extremisten im Alter zwischen 18 und 27 Jahren, die meisten Kinder marokkanischer Gastarbeiter. Aber geht es hier wirklich um eine terroristische Vereinigung oder um eine Gruppe junger Krimineller, die sich durch Waffenbesitz schuldig gemacht haben und das Werfen von Handgranaten bei ihrer Verhaftung?

    Das ist die zentrale Frage in diesem Prozess. Der Staatsanwalt hat Haftstrafen von bis zu 20 Jahren gefordert: Er vergleicht die Angeklagten mit tickenden Zeitbomben. Ihre radikalen Auffassungen hätten unweigerlich zu Anschlägen geführt. "Unsinn", sagt einer ihrer Verteidiger, der Amsterdamer Anwalt Victor Koppe. Er spricht von einer klassischen Hexenjagd.

    In diesem Prozess habe sich alles um Gedanken und Religion gedreht, nicht aber um konkrete Taten. Eine gefährliche Entwicklung. Der Staatsanwalt behaupte, er könne in die Köpfe von Menschen gucken, und wisse, was sie als nächstes zu tun beabsichtigten. Basis bei diesem Prozess sind erstmals die neuen Antiterrorgesetze, die im letzten August in Kraft getreten sind: Sobald es um Terror geht, kann das Strafmaß verdoppelt werden. Das Rekrutieren von Personen für den Jihad ist nun strafbar. Gleiches gilt für Verschwörungen mit dem Ziel, Terroranschläge zu verüben.

    Weitere Gesetzesänderungen sind geplant: In Kürze soll Beweismaterial der Geheimdienste vor Gericht zugelassen werden, obwohl diese ihre Quellen nicht offenbaren müssen. Um Anschläge zu verhindern, will das Kabinett Polizei und Justiz mehr Befugnisse geben, so dass diese auch schon bei Vermutungen eingreifen können. Ebenfalls in Planung sind ein Straßenverbot und eine Meldepflicht für verdächtige Personen. Und um Hasspredigern einen Riegel vorzuschieben, soll das Verherrlichen von Gewalt strafbar werden, was ein Berufsverbot zur Folge haben könnte.

    Viele dieser Maßnahmen, so Anwalt Koppe, seien bis vor kurzem noch undenkbar gewesen. Doch seit den Terroranschlägen in New York und noch mehr seit dem Attentat auf Theo van Gogh herrsche ein übertriebenes Bedürfnis nach Sicherheit. Dafür seien die Niederländer sogar bereit, sich ohne große Proteste in ihren Bürgerrechten einschränken zu lassen.

    "Wir werfen Eigenschaften über Bord, auf die wir einst so stolz waren", klagt Koppe: Toleranz, Respekt, Verständnis. Stattdessen machten sich zunehmend Xenophobie und Intoleranz breit.

    Auch Wissenschaftler sind besorgt und schlagen Alarm. "Unser Rechtsstaat steht unter Druck", warnt der Leidener Professor für Rechtsphilosophie Herman van Gunsteren. Wer einmal versehentlich ins Visier von Justiz und Geheimdiensten geraten sei, werde das Etikett Terrorist so schnell nicht mehr los.

    In der Diskussion um Sicherheit und Bürgerrechte wird als Vorbild immer wieder Deutschland genannt: Dort habe man durch die Erfahrung mit der RAF gelernt, dass sich der Terrorismus durch immer schärfere Gesetze nicht ausmerzen lasse. Nicht umsonst setze Deutschland bei der heutigen Antiterrordebatte auf zeitlich befristete Maßnahmen. Das sei viel besser, findet auch Professor van Gunsteren. Die Niederländer hingegen machten den Ausnahmezustand zum Dauerzustand

    Dass die Wähler dem Kabinett diese Woche bei den Kommunalwahlen einen Denkzettel erteilt haben, kann van Gunsteren nur begrüßen: Die Mitte-Rechts-Regierung strahle viel zu viel Unsicherheit aus und zu wenig Vertrauen. In den letzten Jahren hätten sich die Bürger durch Angst leiten lassen – und Angst sei ein schlechter Ratgebe.

    Jegliche Verspieltheit, Leichtigkeit und Humor, so van Gunsteren, seien dadurch auf der Strecke geblieben. Alles sei ernst und schwer, furchtbar schwer geworden. In den neuen Antiterrorgesetzen sieht van Gunsteren den Versuch, mit Belzebub den Teufel auszutreiben: Anno 2006 sei das Risiko, aus Versehen durch einen Sicherheitsbeamten erschossen zu werden viel größer, als durch einen Terroranschlag ums Leben zu kommen.