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Sicherheit gegen Naturschutz

Klimatologen bezweifeln kaum, dass der Meeresspiegel im Zuge der Erderwärmung ansteigen wird. Aber nicht nur Mega-Städte wie Shanghai oder New York werden wohl davon betroffen sein, auch in Deutschland muss der Küstenschutz überdacht werden. Und so rüsten sich die Deichverbände schon jetzt: Deiche werden saniert und Schwachstellen ausgebessert. Auch entlang der Jade gibt es besonders gefährdete Stellen.

Von Christina Selzer | 19.09.2007
    600 Kilometer Küstenlinie in Niedersachsen, das bedeutet: 600 Kilometer Küstenschutz. Der Küstenbereich am Jadebusen gilt als besonders schwer zu sichern, weil der Boden unter den Deichen nicht hart genug ist. Bei dem kleinen Ort Schweiburg ist die Lage am schwierigsten, wie Lennard Kornelius vom dortigen Deichverband erklärt:

    "Da ist es so schwierig, weil wir mit normaler Erdbauweise nicht zurechtkommen. Und weil das so schwierig ist, müssen wir mit Spundwänden arbeiten, wie in den Häfen, wenn so eine Pier gebaut wird und diese Stahlwände, die müssen bis 15 Meter tief den Boden. "

    Deshalb muss seiner Ansicht nach unbedingt schnell gehandelt werden. Die Deiche an der Jade müssten jetzt systematisch erhöht und verstärkt werden. Damit sie bei steigendem Meeresspiegel künftig den Wassermassen standhalten.

    "Wenn die Sturmfluten aus dem Atlantik kommen, dann über die Nordsee und dann auf die Deiche hier, oder in den Jadebusen ein, wo es dann nicht mehr weitergeht, da drängt das dann auf den Deich und da brauchen wir hohe Deiche, hier bis über 10 Meter hoch."

    Die letzte schwere Sturmflut im November 2006 und im Januar 2007 hat den Bewohnern der küstennahen Ortschaften einen großen Schrecken eingejagt. Selbst Manfred Ostendorf, der direkt hinterm Deich wohnt und einem höheren Wasserpegel normalerweise mit norddeutscher Gelassenheit begegnet, hatte Angst.

    "Beängstigend war die Höhe des Wassers, dass sich fast 1,5 Meter unter Deichgrenze sich die Nordsee herangewagt hatte und wenn man im Hinterland wohnt, eine Wassersäule, die 5-6 Meter vor einem steht, wir sind eine Region, die auf der Höhe des Meeresspiegels liegt oder sogar darunter, Wassersäule bis 6 Meter. Bedrohlich. Da kommt die Frage: Halten unsere Deiche das in Zukunft. "

    Da das Deichvorland zum Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer gehört und als Biotop für seltene Tier- und Pflanzenarten durch Gesetze geschützt ist, können die Deichbauer aber oftmals nicht so vorgehen, wie sie gerne möchten. Manfred Ostendorf hat als Anwohner nur wenig Verständnis für den Naturschutz.

    "Wir haben immer gesagt: Dieses Schutzinstrument Nationalpark, das gibt es in Amerika, wo man komplett unberührte Natur in Ruhe lässt. Das ist ein anderer Hintergrund als hier an der Küste, wo das Vordeichsgelände immer etwas mit Küstenschutz und mit Menschenschutz zu tun hat. "

    Auch Deichverbandschef Kornelius hält den Umweltschutz nicht unbedingt für die dringlichste Aufgabe. Der Deichbauer würde den Pflanzenbewuchs lieber kurz halten und regelmäßig abmähen. Aber das gehe nun mal nicht - wegen des Naturschutzes:

    "Und dann wächst nachher eine Pflanzenmasse auf, die bis 1 m und höher wird. Und wenn dann der erste Sturm kommt, im letzten Jahr am 1. November, dann ist uns das alles an den Deich getrieben. Dann macht das am Deich die Grasnarbe kaputt und das hat Auswirkungen auf die Sicherheit, wenn die Wellen nicht auf Gras schlagen, sondern auf nackten Boden, dann nehmen die den Boden mit und das ist dann sehr schadhaft für den Deich und kann zu großen Gefahren führen."

    So sehr das aus Sicht der Naturschützer nachvollziehbar ist, so sehr fühlen sie sich der Natur verpflichtet. Heinz Herrmann Katmann vom Nationalparkamt in Wilhelmshaven ist zum Beispiel überzeugt davon, dass Sicherheit und Naturschutz einander nicht ausschließen.

    "Der Deichverband hat natürlich immer wieder Probleme mit Resten von Pflanzen, das sind Flächen, die für uns wichtig sind, sind für viele Vogelarten entscheidend, Nutzung, Beweidung, tut bestimmten Pflanzen und Tieren nicht gut. Wir müssen, auch wenn wir diesem Naturschutzgedanken nachkommen wollen, dieses Verhältnis beibehalten. "