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Sicherheit gegen Terroranschläge

Greenpeace reicht heute zwei Klagen ein gegen die Länder Schleswig-Holstein und Hessen. Es sind so genannte Untätigkeitsklagen: Die Umweltorganisation wirft den beiden Landesregierungen vor, nichts getan zu haben, um die Bevölkerung vor den Folgen von terroristischen Flugzeugangriffen auf die Atomkraftwerke Brunsbüttel und Biblis zu schützen. Greenpeace verweist auf das Kalkar-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1978. Die Richter verpflichteten damals den Staat und die Betreiber von Kernkraftwerken, die Bürger vor den Risiken eines verheerenden Reaktorunglücks zu schützen. Ausgenommen sei nur das "Restrisiko": Ereignisse, die nach dem "Maßstab praktischer Vernunft" einfach zu unwahrscheinlich seien. Die Reaktoren in Biblis und Brunsbüttel, beide vor über 25 Jahren gebaut, wurden so ausgelegt, dass sie den Absturz eines kleinen Sportflugzeugs unbeschadet überstehen. Als in den folgenden Jahren Bundeswehr-Kampfflugzeuge des Typs Starfighter dutzendfach vom Himmel fielen, wurden neuere Kernkraftwerke so konstruiert, dass sie auch dem Aufprall von Militärjägern standhalten. Doch dass ein großes Verkehrsflugzeug, vollgetankt mit bis zu 200.000 Litern Kerosin, absichtlich als Bombe auf einen Atomreaktor gesteuert wird, konnte sich damals niemand vorstellen. Stefan Schurig, Energieexperte von Greenpeace:

Von Daniel Blum |
    Wir glauben nicht, dass der Angriff von Verkehrsflugzeugen auf Atomkraftwerke ein tolerierbarbares – in Anführungszeichen tolerierbares – Restrisiko ist. Im Gegenteil: Wir haben es hier mit einem klaren Risiko zu tun. Niemand hätte sich vor dem 11. September vorstellen können, was passiert ist. Es ist passiert, und damit muss man auch jetzt damit rechnen, dass solche Angriffe auf Atomkraftwerke passieren können.

    Mit Biblis und Brunsbüttel hat sich Greenpeace die beiden Kraftwerke mit der dünnwandigsten Reakturkuppel herausgepickt. Doch die Umweltorganisation macht keinen Hehl daraus, dass sie keinem der deutschen Atomkraftwerke zutraut, einem Selbstmordanschlag mit einem Jumbo-Jet standzuhalten. Denn keinem der Reaktorbetreiber wurde dies beim Bau zur Auflage gemacht. Doch vielleicht sind die Betonkuppeln so stabil geraten, dass sie trotzdem dicht bleiben würden, hoffen die Betreiberkonzerne und die Behörden. Das Bundesumweltministerium hat deshalb gleich nach den Anschlägen vom 11. September ein umfangreiches Gutachten dazu in Auftrag gegeben. Die Expertise ist längst fertig, die Länderbehörden wurden um Stellungnahmen gebeten, doch der Öffentlichkeit wurden bislang noch keine Ergebnisse mitgeteilt – man wolle Terroristen schließlich keine Handlungsanleitung reichen, so das Bundesumweltministerium. Inoffiziell, aus Kreisen der Gutachter ist aber zu erfahren, dass tatsächlich – Zitat – "eine Reihe" der Kraftwerke für unsicher befunden wurden. Dass dennoch noch keine Schutzmaßnahmen ergriffen wurden, liegt daran, vermutet Greenpeace, dass die Bundesregierung den Atomkonsens mit den Energiekonzernen nicht wieder aufschnüren möchte:

    Wir erwarten, dass sich die Bundesregierung in erster Linie dem Schutz der Bevölkerung verpflichtet fühlt. Und nicht den finanziellen Interessen der Energiekonzerne. Schutz der Bevölkerung heißt in diesem Fall: Atomkraftwerke abzuschalten – zumindest die, die am gefährlichsten sind.

    Aus dem Bundesumweltministerium war gestern Nachmittag zu erfahren, dass sich Bund, Länder und die Energiekonzerne gerade auf ein Sicherheitskonzept verständigt haben. Die Idee sei von den Unternehmen gekommen und die Gesellschaft für Reaktorsicherheit habe bereits den Auftrag erhalten, sie zu begutachten. Dabei handelt es sich wohl um den Plan, alle neunzehn Atomreaktoren mit Nebelwerfern zu sichern, die einem nahenden Flugzeug in Minutenschnelle die Sicht auf die Reaktorkuppel nehmen. Stefan Schurig von Greenpeace ist skeptisch:

    Wir glauben, dass solche vorgeschlagenen Lösungen Ablenkungsmanöver sind, denn die viel naheliegendere Lösungen sind, die zumindest am empfindlichsten Atomkraftwerke in Deutschland abzuschalten, da geht bei niemandem das Licht aus, das ist technisch möglich.

    Doch Behörden und Energiewirtschaft setzen offenkundig große Hoffnungen in die Nebelwerfer, die allerdings wohl nur das Risiko eines Volltreffers im Blindflug minimieren können. Wenn die Reaktorkuppel nicht direkt, sondern angrenzende Kraftwerksgebäude getroffen würden, könnten der Trümmerflug und Kerosinbrände womöglich mittelbar doch noch zu einer Katastrophe führen.