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Sichtbar gescheitert

Schorsch Kamerun hat für die Eröffnung des Neuen Hauses der Kammerspiele in München "Macht und Rebel" von Matias Faldbakken inszeniert. Kamerun entfernt sich in seiner Interpretation weit von der Romanvorlage des Norwegers. Bei der Erfindung seines eigenen Stückes scheitert er.

Von Sven Ricklefs |
    Eigentlich stellt man sich am Ende dieses Abends ernsthaft nur eine Frage: Hätte man ihn besser oder anders oder gar nicht oder überhaupt verstanden, also, hätte man gewusst, was dieser mehr minder als mehr angemachte Szenensalat einem eigentlich deutlich machen wollte, hätte man, ja hätte man Matias Faldbakkens Roman "Macht und Rebel" nicht gelesen? Denn fast von Beginn an wird deutlich, dass der schon seit einigen Jahren ins bürgerliche Theater drängende Punkbandfrontsänger Schorsch Kamerun alles andere als daran interessiert ist, den mit enervierend stringent durchexerziertem Tabubruchgestus daherkommenden Roman zu theatralisieren. Sprich: Faldbakkens Geschichte von Macht und Rebel sucht man hier vergebens, die Geschichte dieser beiden Antipoden, die sich als pervers-verbogene Vertreter einer desillusionierten Protestkultur und eines übermächtigen Marktes in jenen letzten Tabubereichen treffen, die unserer an ihrem eigenen Toleranzgeschwafel bald erstickenden Gesellschaft immerhin noch ein müdes Aufbäumen abringt: im Faschismus, im Antisemitismus und in der Pädophilie.

    "Du, ich bin auch der Puls der Zeit, ich drucke zum Beispiel Bildmaterial von Gruppenvergewaltigungen nicht auf Unterhosen, sondern gleich auf winzige Tangaslips. Ich habe eben eine Schwäche für kleine Mädchen."

    Es sind diese Zitate, an denen man immerhin noch erkennt, dass Regisseur Kamerun "Macht und Rebel" zumindest als Grundlage benutzt haben muss, doch eigentlich hat er sich ein eigenes Stück erfunden, ohne dass man davon sprechen kann, in dessen loser Revue-Nummernfolge mit eingestreuten Liedchen und Liveband auf der Bühne sei eine Handlung zu erkennen, was ja auch durchaus nicht der Fall sein muss. Da tänzelt etwa eine merkwürdige Mischung aus Engel und Fledermaus immer mal wieder über die Szene, eine Art Troll, dem die unzähligen Hände sogar noch aus den Ohren wachsen und der es zugleich nicht lassen kann, über unseren ultimativen Zeitgeistprobleme zu philosophieren.

    "Tausend taffe Alternativen, zusammengefügt mit dem Leiden des Individualismus, ergeben doch immer wieder nur: den guten alten Mainstream."

    Da gibt es Hänsel und Gretel und die Hexe und Waldhütte, und da wird irgendwann einmal ein Lager imaginiert, in dem diese deutschen Märchenurgestalten und wohl noch andere Problem-Kids endlich einmal Ernst spielen können, Aussicht auf Foltergreuel und Grenzerfahrung eingeschlossen. Doch kaum hat man als Zuschauer hier etwas, woran man sich halten kann, auch wenn man nicht wirklich weiß, warum es nun ausgerechnet Hänsel und Gretel sein müssen, aber immerhin, kaum also hat man was, da versandet dies auch schon wieder, weder Hänsel noch Gretel noch das Lager scheinen von bleibender Bedeutung, selbst wenn der lagerleitende General von keinem Geringeren als Sepp Bierbichler gespielt wird, dieser wunderbare Schauspieler, der ja dafür bekannt ist, noch das Verlesen des Telefonbuchs auf offener Bühne zum Ereignis zu machen:

    "Früher hab ich mal ein bisschen studiert, aber das hat mich stinkig gemacht, dann war ich mal Rebell, aber das hat mich stinkig gemacht, ich hab ein bisschen gearbeitet, das hat mich stinkig gemacht, ich war arbeitslos, das hat mich stinkig gemacht, wenn ich drüber nachdenk, was ich alles gemacht und nicht gemacht hab, macht mich das stinkig."

    Es soll wohl den Charme oder das Ungewöhnliche des Theaters von Schorsch Kamerun ausmachen, dass dabei alles ein wenig laienhaft und improvisiert abläuft und dass Kamerun, der selbst die Aufführungsdauer über als eine Art Moderator und Sänger auf der Bühne ist, durchaus auch einmal wie auf einer Probe eine Szene unterbricht und ein zweites oder drittes Mal ansetzen lässt. Alles also scheint auf und verschwindet gleich wieder, und nichts ist in der Perfektion verankert: Ist das der Versuch des sich ja noch immer im Punk verortenden Schorsch Kamerun, die Institution Theater, in der er nun arbeitet, zugleich zu unterlaufen? Wenn ja, ist dieser Versuch so wenig überzeugend wie er letztlich langweilt. Und so ist die dramaturgisch überaus nachvollziehbare Idee, einen ehemaligen Garanten für Protestkultur zu bitten, sich im Roman "Macht und Rebel" mit einem zeitgenössischen und durchaus furiosen Versuch des Protests auseinanderzusetzen, sichtbar gescheitert.