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Sichtkontrolle für Wikipedia

Wikipedia, die große freie Enzyklopädie im Internet, steht unter Dauerbeschuss. Unzuverlässig und teilweise falsch seien die Einträge, weil jeder drin rumschreiben könne. Jetzt sollen so genannte "Gesichtete Versionen" die Qualität der Einträge sichern.

Manfred Kloiber im Gespräch mit Philip Birken | 10.05.2008
    Manfred Kloiber: Die Kritik jedenfalls reißt nicht ab, obwohl das Prinzip – jeder darf mitmachen – eigentlich der Vorteil von Wikipedia ist. Jeder kann seinen Teil vom Wissen der Welt digital beisteuern. Seit dieser Woche nun gibt es in der deutschen Ausgabe der Wikipedia so genannte "Gesichtete Versionen" der Einträge. Ich bin im Studio Kassel des Hessischen Rundfunks mit Philip Birken vom Verein Wikimedia verbunden. Herr Birken, was sind denn "Gesichtete Versionen"?

    Philip Birken: Gesichtete Versionen sind solche, bei denen Benutzer, denen wir vertrauen, die Version markiert haben, um auszudrücken, dass dort gerade nicht herumgeschmiert wurde. Das wird dann dem Leser angezeigt mit einem Icon und darüber hinaus werden dann zukünftige Änderungen an diesem Artikel erst freigeschaltet, wenn wieder jemand darüber geschaut hat.

    Kloiber: Gab es da einen Druck und mussten Sie diesem Druck nachgeben, jetzt da ein Redaktionssystem einzuführen?

    Birken: Ja, ich denke schon. Also man sollte die Sache nicht überbewerten, genau dieser Punkt, dass jeder mitmachen kann, ist ja das Erfolgsrezept der Wikipedia. Und deswegen sind die Sachen so gemacht, dass dieses Erfolgsrezept nicht untergraben wird. Es kann also jeder weiterhin mitmachen. Nur, wenn man noch nicht dieses Grundvertrauen genießt, was nach kurzer Zeit möglich ist, dann wird halt nach jeder Änderung noch einmal kurz drüber geschaut.

    Kloiber: Diese Kontrolle, die dort stattfindet, wie gründlich ist die denn?

    Birken: Die ist wie gesagt nur darauf, dass gerade nicht herum geschmiert wurde. Also eine echte inhaltliche Kontrolle findet da nicht statt. Das wäre dann in der zweiten Stufe, in den "geprüften Versionen".

    Kloiber: Zweite Stufe "geprüfte Versionen", heißt das, dass diese wirklich redaktionelle Kontrolle dann auch von Ihnen geplant ist und auch kommen wird?

    Birken: Das hängt noch davon ab, wie sich dieses System jetzt bewährt. Bis jetzt tut es das, es läuft alles sehr gut, aber wenn noch etwas Unvorhergesehenes passiert, dann sind wir eventuell gezwungen, das wieder abzuschalten. Davon gehe ich aber zurzeit nicht aus. Und dementsprechend wird diese zweite Stufe kommen.

    Kloiber: Diese zweite Stufe wäre dann quasi nichts anderes als das, was man landläufig eine Redaktion nennt. Wo ist dann die Unterscheidbarkeit zum Beispiel zu ihrem großen kommerziellen Konkurrenten Brockhaus?

    Birken: Ich denke, es liegt schon an dem Zustandekommen des Prozesses, dass wir über ein Wiki arbeiten. Aber auch bei uns findet redaktionelle Arbeit statt, ohne das wäre es ja gar nicht möglich, ein so großes Projekt in dieser Form durchzuführen. Aber diese redaktionellen Strukturen wollen wir durchaus stärken.

    Kloiber: Wenn solche redaktionellen Strukturen bei Ihnen Einzug halten, könnte es dann nicht auch dazu kommen, dass es irgendwann einmal Begehrlichkeiten gibt, feste Strukturen einzuziehen, die dann auch eine bestimmte Rangordnung, Verantwortlichkeit, sogar vielleicht auch eine Bezahlung verlangen?

    Birken: Also die redaktionellen Strukturen gibt es schon, es gibt so genannte Redaktionen und Portale, die sich inhaltlich um bestimmte Themenbereiche kümmern, beispielsweise die Redaktion "Biologie" oder das Portal " Mathematik". Das basiert alles auf freiwilliger Arbeit. Dass diese inhaltliche Arbeit an der Wikipedia in Zukunft auf fest bezahlte Strukturen umgestellt wird, das sehe ich zurzeit nicht. Möglicherweise in fünf oder 10 Jahren, aber man muss dabei sagen, dass das Budget der Wikimedia Foundation, die die ganze Seite betreibt, doch wirklich auf Hosennaht gestrickt ist. Die haben insgesamt 10 Festangestellte weltweit. Dazu hat der Verein Wikimedia Deutschland noch zwei Festangestellte. Das ist also eine ganz kleine Zahl, mit der eine der 10 größten Web-Seiten weltweit betrieben wird. Das heißt also, das steht zurzeit nicht auf der Tagesordnung.

    Kloiber: Dennoch, haben Sie nicht ein bisschen Angst vom Vorstand Wikimedia Deutschland, dass diese gesichteten Versionen ein Schritt hin sind, die Offenheit der Wikipedia zu untergraben?

    Birken: Die Gefahr besteht, deswegen wurde bei der Konstruktion der gesichteten Versionen auf genau dieses Problem stark geachtet. Ich denke, dass wir es geschafft haben, dass dieses Problem nicht auftritt, aber genau darauf werden wir natürlich achten.

    Kloiber: Zu guter letzt, wie reagiert eigentlich die Community darauf, dass Sie eine Art Freigabe-Stempel eingeführt haben?

    Birken: Das Ganze wurde von langer Hand über zwei Jahre vorbereitet, deswegen ist es für einen Großteil der Leute nichts Neues. Es gibt durchaus welche, die davon völlig überrascht sind und davon jetzt zum ersten Mal hören. Die sind durchaus etwas pikiert, aber ansonsten, denke ich, läuft es sehr gut.