Montag, 13. Mai 2024

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Sie kam zu König Salomo

Jeder Leser würde mit einem Blick in den Klappentext sofort erkennen, dass es sich bei der österreichischen Schriftstellerin um einen ungewöhnlichen Fall handelt. Sie wurde 1922 in der Stadt Wien geboren, der sie offensichtlich treu blieb, schloss ein Studium der Geschichte, Germanistik und Altphilologie als Doktorin ab, arbeitete geraume Zeit am Institut für Altphilologie, bevor sie 1974 in den höheren Schuldienst eintrat. Als 1982 ihr erster Roman, "Das andere Gesicht" erschien, war Inge Merkel sechzig Jahre alt. Eine Debütantin an der Schwelle des Pensionsalters, deren literarische Phantasie sich in den folgenden Jahren mit der Vehemenz eines aufgelassenen Stausees entlud. Schwankend zwischen schöner, humoristisch belebter Distinguiertheit und akademischer Verschmocktheit, zwischen klassischer Stilpracht und satten Stilblüten, zwischen Symbolschwere und abfedernder Ironie setzen sich Inge Merkels Bücher der möglichen Unterstellung des Altmodischen aus. Dass Elfriede Jelineks Literaturporno "Lust" in zeitlicher und räumlicher Nähe zu Merkels Ehe-Apologie aus dem Jahr 1987, dem historisch-mythologischen Roman über Odysseus und Penelope, "Eine ganz gewöhnliche Ehe", zur Welt kam, ist fast ein Witz. Dabei ist das Werk Inge Merkels alles andere als unmodern.

Ursula März | 12.07.2001
    Ihre Romane stellen verwilderte, häufig aus verschiedenen Textsorten errichtete und mehrstöckige Gebilde dar. Sie sind in keiner Hinsicht an Homogenität interessiert und arbeiten an der Überblendung von Epochen, Kulturen und Religionen. Es ist, wie Hilde Spiel in einer hymnischen Kritik vor Jahren vermerkte, ein Werk der Passion für letzte Dinge und große Menschheitsfragen: Glaube, Tod, menschliche Triebhaftigkeit, Schöpfungsideen, Apokalypsedrohungen. Unter diesem Gewölbe von literarisch durchaus heikler Imposanz entfaltet sich die Geschichte eines sozialen Wesens, das Inge Merkel besonders am Herzen liegt. Es tritt als Vierfüßler auf, besteht aus einem Mann und einer Frau und nennt sich Paar. Verheiratet oder liiert, erotisch oder platonisch verbunden, allen Varianten ist eines gemeinsam: Die geistige, das heißt, auch von -weiblicher Seite herrührende Ebenbürtigkeit.

    Vor langer Zeit, noch vor dem Datum, das die Geburt Christi fixiert, beschloss eine nicht mehr junge, als Königin beruflich geförderte Frau, eine strapaziöse Reise durch die Wüste anzutreten, die einzig und allein dem Wunsch diente, jenen Mann kennenzulernen, der sich durch seine Verse und Schriften ihrer Gedanken bemächtigt hatte. Im Alten Testament ist der Besuch der Königin von Saba bei König Salomo, dem Verfasser des Hohen Liedes, der als Sohn und Nachfolger König Davids von 960 bis 927 v.Chr. das israelitische Reich regierte, zwar notiert, aber die ausführlichen Legendenbildungen entstanden in späteren Jahrhunderten. Ihre narrativen Abweichungen drehen sich vor allem um einen Punkt, der an Neuralgie bis heute nichts verloren hat:

    Haben sie oder haben sie nicht ? Inge Merkel stellt die Frage nicht in den Mittelpunkt ihrer Erzählung. Sie lässt sie allerdings vom Anfang, dem Eintreffen der Königin in Jerusalem, bis zum Schluss, bis zur letzten, der Abschiedsnacht am Erzählrand mitlaufen und zieht so, mit dem einfachen Mittel der Aufschiebung, einen handfesten psychologischen Spannungsfaden in den antik-mythologischen Stoff, der von heute aus gesehen nicht unbedingt nach Sensation schreit. Als Folie der Fiktion ist das Altertum im Film wie in der Literatur gefragt, wenn es Großartigkeiten bietet: Menschenopfer, Massenauftritte, Königsdramen, Prophetien, Zeremonien aller Art. Von all dem bietet Inge Merkels neuer, für ihre Verhältnisse eher schmaler Roman "Sie kam zu König Salomo" nicht das Geringste. Nach der - glanzvoll erzählten - Anreise durch die Wüste", nach dem standesgemäß majestätischen Empfang, den Salomo der Besucherin im Thronsaal bereitet, entscheiden sich die Erzählerin und mit ihr die beiden Hauptakteure für einen unspektakulären, ja, monotonen und ganz privaten Gang der Dinge. Sie treffen und unterhalten sich, mal im Zimmer sitzend, mal in den Palastgärten herumgehend, mal als einfache Bürger verkleidet die Stadt Jerusalem und den unter Salomo errichteten Tempel besichtigend So geht es Tag für Tag, solange die Königin da ist. Romankapitel für Romankapitel, Das ist alles und wäre etwas karg, wüsste der Roman nicht ein unschlagbares Geheimnis künstlerischer Darstellung zu entfalten: die Asymmetrie zwischen äußerer und innerer Handlung. Denn jede der sich formal gleichenden Begegnungen geht emotional über die vorangegangene hinaus. Inge Merkel erzählt vom zeitlosen Schauspiel entstehender Liebe und betrachtet es unter drei spezifischen Aspekten: Das Alter - die bei den Königen dürften bei ihrer Begegnung um die sechzig sein. Zweitens das platonische Ideal, denn Inge Merkel ertrotzt sich gegen alles Wissen um die Geschlechterkrisen der Gegenwart den Traum von der Vereinbarkeit seelisch-geistiger Osmose und biologisch-kultureller Differenz von Mann und Frau. Und drittens das Verantwortungs- und Pflichtprinzip der Regentschart. Die zwei ersten Aspekte münzen sich in einen wundervollen Gewinn an Freiheit um. Ein beneidenswerteres, kühner entworfenes und natürlich: idealisierteres Paar war in der Literatur lange nicht zu sehen. Der dritte Aspekt indes zwängt das Verhältnis der zwei erregten Diskutanten und verschämt Verliebten ein und erwürgt es schließlich. Dringende Regierungsgeschäfte rufen die Königin von einem Tag auf den anderen nach Saba zurück" kurz bevor der Leser sich fragt, wie Inge Merkel ihre historische Erfindung erzählerisch eigentlich zu Ende bringen

    "Sie kam zu König Salomo" fügt sich in die Tradition literarischer Evokationen des Altertums, die das 20.Jahrhundert hervorbrachte, in eine Reihe mit dem Hadrian-Roman von Marguerite Yourcenar, den Josef-Romanen Thomas Manns und Christa Wolfs "Kassandra". Die heutigen Themen und Überlegungen, die Inge Merkel vom Wien des Jahres 2001 ins vorchristliche Jerusalem hinüberruft, kommen in ihrem Roman höchstens als Flüsterecho an. Nie entsteht der Eindruck, die literarische Rekonstruktion der Antike diene nur als Kulisse für ein Schauspiel, dessen Protagonisten genauso gut mit Anzug, Krawatte und Diplomatenlimousine auftreten könnten. Die engste Verwandtschaft besteht wohl, sprachlich, technisch und in der dosierten Psychologisierung des mythologischen Stoffes, zu Thomas Manns. So fühlt man sich in diesem Buch in zwei Zeiten zurückversetzt und -zum Leseglück - doch keinen Moment um Aktualität betrogen.