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Sie pfeift auf Klischees

Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele Fußballerinnen lesbisch sind. Trotzdem vermeiden der DFB und das WM-Organisationskomitee eine offene Diskussion über Sexismus und Homophobie. Aktivistinnen findet man nur Amateurfußball.

Von Ronny Blaschke |
    Zum Beispiel die Berliner Schiedsrichterin Nadja Pechmann, die unverkrampft und sachlich zu diesem Tabu Stellung nimmt.

    Der Christopher Street Day vor einigen Tagen. Langsam schiebt sich die Karawane durch Berlin, beobachtet von hunderttausenden Menschen. Mittendrin ist der Wagen des Lesbensportvereins Seitenwechsel. Nadja Pechmann bewegt sich im Takt der Musik. Dass sie hier offen zu ihrer Sexualität stehen kann, hätte sie vor einigen Jahren noch für unmöglich gehalten. In einem Klub in Spandau hatte sie mit Fußball begonnen, bald engagierte sie sich auch als Jugendtrainerin. Sie war beliebt, doch sie musste sich lange verstecken. So wie ihre Mitspielerinnen.

    "Mein Trainer kam oft zu mir und meinte: Ja, vor den Eltern, um Gottes Willen, die sind total dagegen, die haben dann Angst, dass ihre Kinder dann auch lesbisch werden. Wenn wir wirklich nur ein Paar gewesen wären, dann hätte er wahrscheinlich schon überlegt, uns aus dem Team zu schmeißen. Dadurch, dass wirklich die Hälfte der Mannschaft sich dann auch geoutet hat, hatte er eigentlich keine Chance dagegen."

    Für die Berlinerin Nadja Pechmann ist es ein langer Weg zum Coming Out. In ihrer Schulzeit hat sie das Gefühl, nirgendwo zugehörig zu sein. Ihre Mutter erfährt durch einen Zufall, dass sie lesbisch ist. Pechmann will einen Schlussstrich unter die Vertuschung ziehen, sie tritt dem SV Seitenwechsel bei.

    700 Mitglieder sind im größten Frauen- und Lesbensportverein Europas organisiert. Dort kann sich Nadja Pechmann geben, wie sie wirklich ist.

    "Die haben mir gezeigt, wie man offen, ganz normal damit im Alltag umgeht. Für mich war es auch die erste Annäherung, zum Beispiel es gibt viele Paare in meinem Team, die sind auch verheiratet, die haben Kinder, und wenn man vorher nicht in diesem Umfeld gelebt hat, ist es halt ne schöne Erfahrung, die haben mir ne Menge gezeigt."

    An jedem Wochenende ist Nadja Pechmann auf den Fußballplätzen der Hauptstadt unterwegs, in der Verbandsliga der Frauen oder in der Kreisliga der Männer. Pechmann hatte sich immer schon für Regeln interessiert. Es gefällt ihr, wenn 22 Spieler nach ihrer Pfeife tanzen. Wenn sie sich durchsetzen kann in einer Männerdomäne. Doch der Preis, den sie dafür zahlen muss, ist nicht zu unterschätzen.

    "Es kommen viele Kommentare: na ja, was macht ihr denn immer unter der Dusche und ihr seid niemals lesbisch oder ihr redet euch das nur ein. Oder ihr müsst mal halt an den richtigen Mann kommen, wollen wir nicht lieber unsere Telefonnummern austauschen, oder soll ich mit in die Kabine kommen?"

    Nadja Pechmann ist eine zierliche Frau, das Gegenbild zum ewigen Klischee des Mannweibes. Sie stellt sich gegen Sexismus und Homophobie, sie gibt einer anrüchig geführten Debatte ein seriöses Gesicht. Die Lehramtsstudentin setzt sich durch, es vergeht kaum ein Spiel, in dem sie nicht eine Rote Karte verteilt. Pechmann plädiert für eine tiefgründige Schiedsrichterausbildung, in der Vorurteile entlarvt werden sollen.

    "Der Fußball hat mich sehr viel weiter gebracht im Leben, gerade persönlich. Wenn man sich in dieser Männerdomäne behaupten kann, dann ist das auch für das private Leben oder für den Beruf von Vorteil."