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"Sie sind sehr dünnhäutig geworden"

Das Volk will seriöse, ernstzunehmende Staatsmänner, Politiker, nicht mediale Rollenspieler und Kasper, sagt der Medienfachmann Bernd Gäbler. Politiker setzten sich zu bereitwillig mit den Medien auseinander. Sie müssten jedoch gegenüber Journalisten ihre Politik behaupten und sich nicht mit den Berichterstattern gemein machen.

Moderation: Doris-Schäfer-Noske |
    Doris Schäfer-Noske: Rudi Völlers Wutausbruch im Fernsehen ist vielen noch in Erinnerung. Vor laufender Kamera wetterte der damalige Bundestrainer gegen die Sportjournalisten. Auch Politiker haben die Medien immer mal wieder gescholten, von Franz Josef Strauß, der Journalisten Ratten und Schmeißfliegen nannte, über Helmut Kohl und Joschka Fischer bis hin zu Gerhard Schröder. Vergangene Woche platze SPD-Chef Kurt Beck der Kragen. Bei einer Sommerreise durch Rheinland-Pfalz verfolgten ihn Journalisten mit den ewig gleichen Fragen zur Bundes-SPD. Da war er den Medien vor, zu einer Verzerrung der Wirklichkeit beizutragen und zeigte sich gekränkt über fehlenden Respekt seiner Person gegenüber. Frage an den Medienexperten Bernd Gäbler. Herr Gäbler, sind denn die Politiker inzwischen zu den Prügelknaben der Nation geworden?

    Bernd Gäbler: Das sehe ich nicht so. Sie sind sehr dünnhäutig geworden. Kurt Beck, offenbar fühlt er sich verfolgt, er ist beleidigt. Dahinter steckt eine Medienschelte, wie wir sie oft erleben. Er erlebt Berlin als Hektik, als eine überhitzte virtuelle Politik und wollte sagen, ich bin ein guter Ministerpräsident und dann immer wieder dasselbe. Und es ist natürlich auch so, er spürt das. Jeder Volontär, der eigentlich keine Ahnung hat, kann jetzt auf seine Kosten ein paar Pointen machen. Das macht ihn sauer. Dahinter steckt aber vielleicht eine Ahnung, eine Ahnung, dass Medien immer stärker Räume besetzen, Vakuum ausfüllen, was die Politik lässt. Denn, was eigentlich stattfindet, ist ja Folgendes. Die SPD ist in einem desolaten Zustand. Sie brauchte also eine demokratische Diskussion. Der Ort der Demokratie wäre die Partei. Es könnte ein Fraktionskampf geben. Das findet nicht statt, findet aber in der Presse statt. Die große ehrwürdige "Zeit" macht im Politikteil einen Artikel, der fast nur davon spricht, Herr Steinmeier ist der Retter der SPD. Das liest sich wie der Realoflügel des Vorwärts in der Vermittlung von Volk zu politischer Entscheidung, die ja eigentlich bei Parteien, bei Parlamenten liegen müsste, stimmt was nicht. Und da übernehmen die Medien Funktion, erklären sich selbst zur Partei oder immer häufiger die Boulevard-Medien vor allen Dingen zur Nation. Die Antwort darauf kann nie sein, mediengerechter zu werden, sondern gegenüber den Medien Politik zu behaupten oder eine Resistenz des Politischen auch gegen die Inszenierung, in die Oberfläche, gegen das Rollenspiel, das medial gefordert ist.

    Schäfer-Noske: Wie groß ist denn das Problem des fehlenden Respekts im Umgang der Medien mit Politikern?

    Gäbler: Ich glaube, der Politiker ist sauer, wenn eine Liebe, auf die er gesetzt hat, nicht beantwortet wird. Oft ist es so, der Politiker macht sich zu sehr gemein mit den Medien und ist dann enttäuscht, wenn die Medien ihn fallen lassen. Da gibt es andere Rollenmodelle. Ich nenne mal Fischer und Kohl, haben beide immer eine gewisse Arroganz gegenüber den Medien demonstriert, die nicht ernst genommen, und umso mehr hingen die Journalisten ihnen an den Lippen, haben sich vor ihnen niedergekniet, das Mikrofon gehalten. Sie haben eine andere Instanz verkörpert, etwa zum Rollenmodell Westerwelle, dem noch heute anhängt eine gewisse Luftikusfunktion, weil man sagt, der hat immer wieder nur das erfüllt, was die Medien von ihm wollten. Das Volk will aber seriöse, ernst zu nehmende Staatsmänner, Politiker, nichtmediale Rollenspieler und Kasper.

    Doris Schäfer-Noske: Warum kann denn Kurt Beck nach dem Medienkanzler Schröder bei den Medien nicht punkten?

    Gäbler: Einerseits ist er sicher schlecht beraten im Umgang mit diesen Medien. Er wirkt immer noch so, als sei ihm dieses sehr hektische, Berliner, journalistische Klima fremd. Er ist zu Hause da, wo Ruhe herrscht, da wo er sein Königreich ordentlich sortieren kann, in Rheinland-Pfalz. Darum war er ja so sauer, weil diese Demonstration nicht funktioniert hat. Das ist der eine Punkt. Der zweite ist aber tatsächlich, dass er keine substanziellen Antworten auf die durch und durch desolate Lage der Partei SPD formulieren kann.

    Schäfer-Noske: Aber ist es denn nicht auch so, dass Kurt Beck, er sagt, über sich selbst, er trage das Herz auf der Zunge, einen Politikertyp verkörpert, den das Medienzeitalter gar nicht begünstigt?

    Gäbler: Das würde ich nicht sagen. Ich glaube auch, dass Kohl kein begünstigter des Medienzeitalters war, aber in seiner Distanz zu den Medien dann doch wieder sich Anerkennung erkämpft hat. Disraeli hat mal gesagt, wenn man in die Öffentlichkeit geht, braucht man zwei Eigenschaften, erstens Persönlichkeit und zweitens ein Gespür für die Zeit und für das Timing. Und man muss sich bewusst sein, wer kämpft, muss sich nicht nur wappnen, sondern er wird sich auch bloßstellen.