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Sieben Tropfen Blut für den Immuntest

In den USA werden Neugeborene auf angeborene Immundefekte und andere, erblich bedingte Erkrankungen untersucht. Rechtzeitig erkannt, lassen sie sich mit einer Stammzellübertragung behandeln. Auch in Deutschland fordern Mediziner die Einführung.

Von Michael Engel | 10.09.2013
    Es ist nur ein kleiner Stich in die Ferse oder in den Handrücken. Sieben Tropfen Blut genügen, um angeborene Stoffwechselerkrankungen wie zum Beispiel die Schilddrüsenunterfunktion zu erkennen und dann zu behandeln. Neu hinzukommen soll nun auch die Untersuchung auf angeborene Störungen der Immunabwehr, fordert Professor Ulrich Baumann, Kinderarzt an der Medizinischen Hochschule Hannover.

    "Ohne Behandlung sterben alle Kinder an ihrem Immundefekt, sodass eine Behandlung in dieser Form zwingend ist. Wir brauchen also die frühe Diagnose und wir würden mit einem Screening diese Verläufe den Kindern ersparen, das heißt, dass sie schwer und lebensbedrohlich krank werden."

    Es gibt eine ganze Reihe von genetisch bedingten Immundefekten, die den Säuglingen zum Verhängnis werden können. In den ersten drei bis vier Lebensmonaten erscheinen die betroffenen Säuglinge noch völlig gesund, weil sie von der Mutter eine Art Leihimmunität mitbekommen haben. Doch dann geht es rapide bergab:

    "Zum Beispiel mit einer Lungenentzündung. Mit einer ungewöhnlichen Form von Lungenentzündung mit Erregern, die man normalerweise gar nicht bekommt, weil sich das Immunsystem gegen diese Erreger gar nicht wehren kann. Das Alter von mehreren Monaten, das ist das typische Alter, wo die Kinder aus völligem Gesundsein dann eben krank werden."

    Experten sprechen in solchen zum Glück recht seltenen Fällen von SCID – einem "kombinierten Immundefekt". Genetisch bedingt können sich im Blut der kleinen Patienten keine Immunzellen bilden. Jeder Keim wird dann zur tödlichen Gefahr. Einzige Möglichkeit, den Betroffenen zu helfen, ist eine Stammzellspende, die allerdings gut vorbereitet werden muss.

    "Die Therapie heißt immer Knochenmarktransplantation – sie brauchen ein intaktes Immunsystem von einem gesunden Spender. Wir brauchen bis zur Knochenmarktransplantation Wochen, manchmal auch einige wenige Monate, bis das gelingt, bis wir anfangen können. Und über diese Zeit müssen wir die Kinder durchkriegen, das ist schon sehr, sehr hart."

    Dabei könnte SCID – die angeborene Immunschwäche – problemlos und vor allem rechtzeitig erkannt werden. Blut, das den meisten Neugeborenen ohnehin schon abgenommen wird, um sie auf angeborene Stoffwechselerkrankungen zu untersuchen, würde auch die Detektion der Immunschwäche ermöglichen. Immerhin: 99 Prozent der Eltern entscheiden sich für diese für sie kostenlose Analyse. Nun fordern Immunologen, dass auch die Analyse der angeborenen Störungen der Immunabwehr in das Neugeborenen-Screening integriert wird. Prof. Reinhold Schmidt, Direktor der MHH-Klinik für Immunologie, gehört zu den Unterzeichnern der sogenannten "Berliner Erklärung":

    "Von den weltweiten Immundefekt-Zentren beinhaltet diese Erklärung, dass inzwischen durch die umfangreichen Untersuchungen, die schon in den amerikanischen Staaten gemacht wurden, sich gezeigt hat, dass die Methode sicher und zuverlässig ist. Wir fordern, dass das auch in Deutschland umgesetzt wird, das heißt, die Kassen, die dafür zuständig sind, diese Kosten übernehmen. Aber Voraussetzung ist natürlich auch die Zustimmung der gendiagnostischen Gremien."

    Rund 15 Euro kostet die bisher schon übliche Untersuchung auf angeborene Stoffwechselerkrankungen. Würde der Test nun auch noch auf die angeborenen Störungen der Immunabwehr ausgedehnt werden, kämen nach Angaben der Experten drei bis vier Euro hinzu. Auch, wenn nur eins von 50.000 Kindern von der erblichen Immunschwäche betroffen ist - bei rund 700.000 Geburten im Jahr in Deutschland sind das 14 Betroffene – würde sich das Screening nach Ansicht der Mediziner lohnen: erst recht für die Betroffenen – Eltern wie Kinder.