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Siebenbürgen
Kein Internet- und Handyempfang in Reußdorf

Von Thomas Wagner |
    Das nervt. Handyklingeln im Urlaub. Für die meisten, die in der belebten Fußgängerzone im zentralrumänischen Hermannstadt einen Kaffee trinken, ist das völlig normal. Doch es geht auch anders – gar nicht so weit weg. Cristian Schimaru nimmt am Tisch Platz, ein Experte für Öko-Tourismus in Rumänien. Genervte Handy-Opfer schickt er gerne ...
    "am besten nach Cund, ein guter Tagesausflug. Reußdorf. Die beste Sache ist eigentlich die Abgelegenheit des Ortes. Es gibt keinen Handyempfang. Und es gibt keine Möglichkeit, ans Internet ranzugehen."
    Schon die Autofahrt nach Reussdorf, so der alte deutsche Ortsname von Cund, ist ein Abenteuer: Die mit reichlich Schlaglöchern gepflasterte Straße wechselt sich ab mit unwegsamen Kies- und Schotterpisten. Nachdem das verrostete Schild Cund aufgetaucht ist, heißt es an der alten Dorfkirche: Auto stehen lassen und zu Fuß weiterlaufen auf einem Kiesweg. Hinter einer Kurve taucht plötzlich ein Holzgebäude auf, eine Art Farm. Auf der Terrasse sitzen gut zwei Dutzend Besucher.
    "Insofern ist das schon eine tolle Sache: Als ich hier reinkam, habe ich gedacht. OK, unerreichbar – super-gut!"
    Michael Weiss erweckt einen durch und durch erholten Eindruck: Der grauhaarige, vital wirkende Endfünfziger aus Deutschland blickt von der Terrasse auf die saftig grünen Hänge gegenüber. Dass er von hier aus weder telefonieren noch im Internet surfen kann, genießt er in vollen Zügen.
    "Wenn man nicht entkoppelt ist von dieser medialen, digitalen Welt, sage ich mal, kann man sich nicht entspannen. Wenn das Telefon ständig klingelt oder man ständig irgendwelche E-Mails lesen muss, das ist nichts. Man braucht mal den einen oder anderen Moment, um mal Ruhe zu finden."
    "Hat es Ihnen geschmeckt? Ganz vorzüglich."
    Anna Mitea, Anfang 30, wurde in Siebenbürgen als Tochter rumäniendeutscher Eltern geboren, lebt aber seit Jahrzehnten in Wien. Wenn sie von Österreich nach Reußdorf kommt, ist das wie eine Reise in eine andere Welt.
    "Das ist ein Segen. Man kommt aus einer informationsüberflutenden Umgebung. Und ich habe mich sehr gesehnt, aus dem Büro zu flüchten und hierher zu kommen, um einfach Ruhe zu haben und auch die Möglichkeit zu haben, ein bisschen eine Pause einzulegen."
    Doch nicht alle auf der kleinen Terrasse sind darüber glücklich. Der Engländer Roy Tucker blickt ziemlich missmutig auf seine beiden Smartphones auf dem Tisch, die einfach nicht klingeln wollen. Nur wegen der Naturverbundenheit seiner Frau sei er für einen Tag nach Reußdorf gekommen, erzählt er – und leidet sichtlich unter der elektronischen Abgeschiedenheit.
    "Also ich ganz persönlich hab es schon gerne, wenn ich mit meinem Handy telefonieren oder schnell eine E-Mail verschicken kann. Und man kann ganz generell sagen: Die Internetverbindungen in Rumänien ganz generell sind besser als bei uns zuhause, in England. Nur in diesem speziellen Ort hier funktioniert das gar nicht gut: kein Signal weit und breit, außer in einem winzigen Streifen. Ich hoffe, die strengen sich bald an, um einen besseren Handyempfang hinzukriegen."
    Doch die Reußdorfer denken gar nicht daran. Und der Flensburger Jonas Schäfer fühlt sich bereits als Reußdorfer. Schließlich lebt er schon seit ein paar Jahren im Ort. Vor Jahren brachten er und sein Vater Hilfslieferungen nach Rumänien. Irgendwann beschlossen Jonas Schäfer und seine Frau, genau dort eine kleine Pension und ein Restaurant zu eröffnen, wo die Abgeschiedenheit Programm ist: in Reußdorf.
    "Ich bin Smartphone-Besitzer und ein alter Get-it-Freak. So, ich habe immer die neusten Telefone gehabt, habe auch das nach wie vor. Aber es ist ein wahnsinniges Privileg, wenn ich das Handy nur dann anmache, wenn ich diesen Ort verlasse und bin dann überrascht, wie viele Anrufe ich selbst dann noch bekomme, obwohl mich Menschen teilweise über Wochen und Monaten nicht auf dem Handy erreichen und dabei auch ganz verzweifelt sind."
    Dann verfällt Jonas Schäfer in eine Art Flüsterton. Mit leiser Stimme beichtet er ein gut gehütetes Geheimnis: Auch auf seiner Farm in Reußdorf gebe es einen Internethotspot, also einen drahtlosen Internet-Zugang. Das sollen wir aber bitte nicht weitersagen.
    "Ich habe natürlich noch ein hohes Kommunikationsaufkommen, weil wir auch noch ein Geschäft zu führen haben. Da heißt also: Natürlich schreibe ich viele E-Mails und selbstverständlich pflege ich eine Website. Doch der andere Lebensrhythmus ist ganz entscheidend für uns."
    Wo sich Schäfers Hot-Sport genau befindet, mit welchem Passwort man hineinkommt – das bleibt für die allermeisten in Reußdorf ein gut gehütetes Geheimnis. Die einheimischen Kinder, die auf der Straße spielen, wachsen deshalb noch so auf wie ihre Groß- und Urgroßeltern: ohne Kontakt zum World Wide Net.
    So etwas gibt es tatsächlich noch - mitten in Europa, im rumänischen Reußdorf.