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Sieg der Standardisierung

Die praktische Küche der Moderne entstand in den Jahren 1926 bis 1929 in Frankfurt. Die Rationalisierung der Haushaltsführung glich damals einer Revolution und wurde zum Vorbild der Einbauküche - jetzt hat das Museum der Dinge in Berlin eine solche Küchenrarität erworben.

Von Beatrix Novy | 12.07.2010
    Hier gibt es sehr viel Nutzfläche auf sehr wenig Raum: Die Zeile mit Ober- und Unterschrank, dazwischen zwölf Aluminiumschütten. Gerilltes Abtropfbrett, zwei Ausziehplatten darunter, acht Schubladen mit Holzgriffen, Spüle, eingebautes Behältnis mit Klappe, unterm Fenster die Arbeitsplatte, an der Wand das Bügelbrett, das jederzeit heruntergeklappt werden kann - ein Arbeitsplatz. Die Frankfurter Küche. Viele haben sie als Fotografie aus den 20er-Jahren vor Augen, ein Topos des Funktionalismus. Hier, im Museum der Dinge des Berliner Werkbund-Archivs, darf sie mal ein bisschen anders aussehen: benutzt.

    "Wir wollen nicht eine neuartige Küche präsentieren, eine in den Ursprungszustand versetzte, sondern eine, die 70 Jahre lang benutzt wurde."
    Renate Flagmeier, Kuratorin im Museum der Dinge, dem jetzt ein vollständiges Exemplar der Küche zugefügt werden konnte. Wobei "vollständig" relativ bleiben muss:

    "Der Herd war nicht dabei, es fehlt auch die Kochkiste und die Schiebetür."
    Aber das wird noch kommen, der Platz für den Herd ist schon eingezeichnet. In dieser Küche aus der Frankfurter Siedlung Römerstadt, entstanden 1927/28, war es schon ein Kohle-Elektroherd; es fehlte hingegen die berühmte Kochkiste, in der das vorbereitete Essen langsam vor sich hin garte, während die berufstätige Hausfrau ihrer Arbeit nachging. Auch die praktische Schiebetür zum Wohnzimmer gibt es hier nicht – die führte Margarethe Schütte-Lihotzky übrigens später immer an, als ihr von feministischer Seite vorgehalten wurde, sie habe die Frauen in die Küche gesperrt statt sie, wie geplant, zu befreien. Schiebetür oder nicht - solche Variatiönchen verstellen nicht das Wesentliche der Frankfurter Küche: den Sieg der Standardisierung über Küchenmöbelsammelsurien und Platzverschwendung, Vorbild der Einbauküche, Wunderwerk der Schritt- und Griffersparnis im genormten und typisierten Massenwohnbau. Natürlich gab es im Laboratorium ergonomischer Perfektion auch Entwicklungen:

    "Die Formen der Möbel verändern sich."

    Astrid Debus-Steinberg. Mit der Stuttgarter Gesellschaft für Kunst und Denkmalpflege seit 15 Jahren unterwegs auf der Suche nach Frankfurter Küchen im Originalzustand:

    "Die Konstruktionsweise und Größe, die Position des Hochschranks, der Doppelspüle verändert sich, manchmal sind Herd und Spüle in einer Zeile, manchmal gegenüber, also es gab viele Varianten."
    Unter anderem hat Astrid Debus-Steinberg das New Yorker MoMA und das Londoner Victoria und Albert-Museum schon mit Originalküchen versorgt, und nun das Werkbund-Archiv; ein halbes Dutzend ist noch zu vergeben.

    Wer eine Frankfurter Küche sein eigen nennt, muss sich entscheiden. Soll es die Küche sein, die das Neue Frankfurt zwischen 1926 und 29 in seinen zahllosen Publikationen dem kollektiven Gedächtnis einprägte? Oder die Küche, die von respektlosen Benutzern x-fach umgemodelt wurde? Das Museum für Angewandte Kunst in Wien, nur ein Beispiel, entschied sich für die rekonstruierte Ideal-Küche. Das Berliner Museum der Dinge hat die derzeit korrekte restauratorische Lösung vorgezogen, die Astrid Debus-Steinberg anbot:

    "Also die Küchen, die wir restauriert haben, sind in allen Lackschichten erhalten, wir haben nur die oberste Lackschicht etwas angeschliffen, und die Farbe, die wir als Erstanstrich festgestellt hatten, über das ganze Objekt lackiert. Also wenn jemand Bauforschung machen will, kann er alle Lackschichten bis zum Erstanstrich nachverfolgen."
    Margarete Schütte-Lihotzky hat die Aufnahme ihrer Frankfurter Küche in den Olymp der Architekturgeschichte noch lange erlebt und nicht schlecht gestaunt. Sie sah sich als Teil des Kollektivs um Ernst May, ihre Küchenerfindung als Station auf dem Weg zur Verbesserung der Lebensverhältnisse. Der berühmte blaue Anstrich der Schränke – nun ja, der sollte die Fliegen vertreiben, aber wenn's die Leute lieber cremeweiß haben

    Wie erzählte die Architektin immer so gern: Als Ernst May sie 1930 in sein Team für den Aufbau von Magnitogorsk bat, habe sie gesagt:

    "Ich komme mit, aber nur, wenn ich keine Küchen mehr bauen muss."

    Informationen:

    Museum der Dinge