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Siegel ohne Wert

Einkaufen im Internet ist praktisch. Auf Unkundige lauern aber jede Menge Fallen, im Extremfall ist das Geld weg und die Ware kommt nie an. Gütesiegel sollen Sicherheit schaffen, doch auch unseriöse Anbieter versuchen, sich mit Siegeln zu tarnen.

Von Thomas Wagner | 20.08.2012
    Es ist ein regelrechter Wildwuchs, der sich europaweit bei den sogenannten Gütesiegeln breitgemacht hat, mit denen sich Online-Shops der unterschiedlichsten Art schmücken - und damit vorgeben, dass es mit der angebotenen Dienstleistung oder mit den Produkten, die zum Versand angeboten werden, durchaus seine Ordnung hat: 100 solcher unterschiedlicher Gütesiegel hat das Zentrum für Europäischen Verbraucherschutz unter die Lupe genommen, aber nur zehn davon für gut befunden. Will heißen: Die meisten Internet-Gütesiegel erscheinen zwar auf dem Angebot der Online-Shops in mehr oder weniger poppigen Farben, mit mehr oder weniger ausgefallenen Grafiken. Doch das, so Projektleiter Felix Braun vom Zentrum für Europäischen Verbraucherschutz in Kehl, sagt über die Seriosität des Anbieters und über die Qualität der angebotenen Güter und Dienstleistungen noch gar nichts aus:

    "Ein Gütesiegel will ja immer eine Qualität versprechen. Aber teilweise waren die Kriterien so unscharf, dass, wenn man sich die einmal angeschaut hat, man sich fragen konnte: Was wird bei dem Shop überhaupt geprüft? Wird da überhaupt etwas geprüft? Wie wird geprüft? Was sind zusätzliche Rechte der Verbraucher? Das heißt: Ein Siegel eigentlich mit gar keinem Wert."

    Das war nur bei zehn der 100 geprüften Gütesiegel für Internetgeschäfte anders. Die nämlich erfüllten jene sechs Pflicht- und vier Wahlkriterien, die das Europäische Zentrum für Verbraucherschutz eigens für Online-Gütesiegel entwickelt hat. Eines der wichtigsten Kriterien besteht in der Auflage, dass der Anbieter des Siegels die Online-Shops, die er der zertifiziert, regelmäßig überprüft - und zwar durch eigene Mitarbeiter vor Ort, am Sitz des Online-Shops. Felix Braun:

    "Eine Online-Welt, die sieht man ja erst einmal nicht. Da lassen sich sehr schöne Fassaden aufbauen, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden sind. Wenn jemand vorbeikommt, kann er sich ein Bild vor Ort machen: Ist da überhaupt eine korrekte Lagerhaltung? Wenn der jetzt eine Bestellung über 100 Fernseher bekommt, kann die überhaupt ausgeführt werden? Er kann sich auch vor Ort anschauen: Wie sieht es mit der Insolvenz des Anbieters aus? Wie ist das Unternehmen organisiert? Was sind die Abläufe? Was sind die Lieferfristen? Das sind alles Vorteile, die ganz praktisch sind."

    Wendet sich der Onlineshop in leicht verständlicher Sprache, ohne rechtlich verzwickte Verklausulierungen, an den Verbraucher? Stellt der Anbieter eines Gütesiegels eine Liste mit all den Unternehmen ins Internet, die er für gut befunden hat, als Schutz vor missbräuchlicher Verwendung des Siegels? Werden Onlineshops, die nach ihrer Zertifizierung gegen die Gütekriterien verstoßen, vom Anbieter des Gütesiegels in irgendeiner Form bestraft? Dies sind einige der weiteren Kriterien, die das Zentrum für Europäischen Verbraucherschutz entwickelt hat, um bei den vielen Gütesiegeln für Online-Geschäfte den Spreu vom Weizen zu trennen. Unter den zehn Anbietern, die diese Auflagen erfüllen, befinden sich Gütesiegel aus ganz Europa, angefangen beim österreichischen Euro-Label über "SaferBuy" in Großbritannien bis hin zum tschechischen Gütesiegel "SOS." Auch drei deutsche Anbieter befinden sich unter den für gut befundenen Labels: Der "EHI Geprüfte Online-Shop" mit seinem "Euro-Label Deutschland", die "Trusted Shops" und das Gütesiegel "safer-shopping" des TÜV Süd. Für das baden-württembergische Verbraucherschutzministerium, das die Studie des Europäischen Zentrums für Verbraucherschutz mit finanziert hat, stellt das Projekt nur einen ersten Schritt auf dem Weg hin zu mehr Qualitätssicherung bei Online-Geschäften dar. Da immer mehr grenzüberschreitend bestellt werde, müssten europaweite Kriterien für Internet-Gütesiegel entwickelt und rechtsverbindlich verabschiedet werde, forderte der baden-württembergische Verbraucherschutzminister Alexander Bonde:

    "Wir sind der Auffassung, dass idealerweise die europäische Ebene die Qualitätskriterien definieren sollte, gerade auch um die Unsicherheiten im grenzüberschreitenden, im innereuropäischen Markt damit auch aufzulösen. Das könnte zunächst durch eine Empfehlung der Europäischen Kommission erfolgen. Und Internet-Gütesiegel, die diese Kriterien erfüllen, könnten sich bei der Europäischen Kommission zertifizieren lassen."

    Im September will Alexander Bonde diesen Vorschlag zunächst einmal auf der in Hamburg anstehenden Konferenz der Verbraucherschutzminister der deutschen Bundesländer diskutieren. Doch weil die Mühlen der europäischen Gesetzgebung nicht immer so ganz schnell mahlen, können interessierte Verbraucher die heute vorgestellten Qualitätskriterien und die Online-Gütesiegel, die diese erfüllen, ab sofort auf den Webseiten des Europäischen Zentrums für Verbraucherschutz und des baden-württembergischen Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz einsehen.