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Siegfried auf großer Fahrt

Die Nibelungenfestspiele in Worms öffnen sich seit einigen Jahren auch Neuinterpretationen des klassischen Stoffs. In diesem Jahr hat der Autor John von Düffel eine komödiantische Neudeutung versucht. Doch es ist ein schmaler Grat zwischen Komödie und Albernheit …

Von Christian Gampert | 01.08.2009
    Dass John von Düffel beim Schreiben Schwimmhäute wachsen, musste man schon lange befürchten. Jetzt hat er in Worms den Nibelungenstoff zu Wasser gelassen, angeblich in komischer Absicht, und aus dem Siegfried einen Seefried gemacht, der den Seeweg nach Indien sucht, leider aber nur Kriemhild und Brünhilde findet. Der tumbe Seefahrer, den alle für den finanzstarken Nibelungenhelden Siegfried halten, wird nun wie eine Comic-Figur durch die Sage geschleust und strandet vor dem romanischen Kaiserdom, über dem immerhin der sommerliche Mond leuchtet.

    Das Unternehmen ist ein Irrtum in mehrfacher Hinsicht: der Autor John von Düffel hält sich für Woody Allen, glaubt aber allen Ernstes, "die Teutonic" sei unsinkbar - so viel zum Wortwitz. Regisseur Gil Mehmert glaubt, aus dem urdeutschen Sagenschiff ein Musical machen zu müssen und lässt Gernot und Giselher als tanzende Pudel auftreten - das freut das ältere Zuschauersegment. Intendant Dieter Wedel hält sich für einen Aufklärer und glaubt nebenbei, Worms sei Salzburg und Bayreuth gleichzeitig - das Ergebnis ist, dass sich auf der Zuschauertribüne prolliger Chic und tiefe Décolletés mit der Finanz- und Wirtschafts-Creme verbrüdern. Wohl dem, der seine Tarnkappe dabei hatte ...

    Es gibt in Worms fünf Kategorien von Menschen, die man an den Armbändern erkennen kann. Journalisten gehören, und das muss man hier als Auszeichnung sehen, in die unterste Schublade; die erste Kategorie bilden die VIPs, all die Gundula Gauses und Otfried Fischers dieser Welt, von denen man nun weiß, dass sie tatsächlich existieren. Der Einzug des schwergewichtigen Kabarettisten Otfried Fischer in den Zuschauerraum war mindestens so wichtig wie Mehmerts gesamte Inszenierung - denn der Parkinson-kranke Ottifant zeigte, wie man den Schrecknissen der Mediengesellschaft trotzt: durch Stoik. Dieses Fach beherrscht Gil Mehmert nicht: Er muss immer noch eine schwache Pointe draufsetzen, im Namen des Königs, schon bei Siegfrieds Geburt.

    "Volk von Xanten! Im Namen des Kunden ... hahaha ... "

    Ja, und so lustig geht es weiter. Ein mobiler Bläsertrupp in Frauenkleidern pustet Fanfarisches, zwei Raben namens Udo und Jürgens singen neckisch in der Vögel-Sprache, und wenn die beiden Kampf-Lesben Brünhild und Frigga im Trockeneis-Nebel erscheinen, dann sagt die eine drohend, "ich geize noch mit meinen Reizen", während ihre Assistentin mitteilt, sie sei Brünhilds rechte Brust. Die rechte Hand hätt's auch getan, aber so ist es eben, wenn Düffelscher Sprachwitz das Zepter schwingt.

    "Wer ist's, der heute sterben will?"

    Ja, auf zum Turnier, zum Kampf ums Weib, der in Worms daherkommt wie ein Geschicklichkeits-Test beim Tigerenten-Club. Die nordische Amazone Brünhild übt zwischendurch mal Eislauf-Posen, Holiday on Trockeneis, und zum gemeinsamen Geschlechtsverkehr stülpt sich diesmal der dickliche Gunter die Tarnkappe über, eine Art Ganzkörperkondom, während der unbesiegbare Seefried den flotten Dreier antreibt, infantil zappelnder Zwergen-Sex, Triumvirat der armen Schlümpfe. Kriemhild ist ein blondes Gift, das am liebsten internationales Recht studiert hätte, Hagen ein aasiger Manager-Typ, trotz Toga alles topaktuell.

    Es ist ein schmaler Grat zwischen Komödie und Albernheit, und viele sonst sehr gute Film- und Fernsehschauspieler, deren Namen wir hier nicht beschmutzen wollen, verdienen sich in diesem Stück ein fragwürdiges Zubrot. Als Siegfried in der Hochzeitsnacht Kriemhild gesteht, seine Leidenschaft sei die erotische Einhand-Segelei, liefert sie ihn zurecht an Hagen aus. Wenn nicht alles täuscht, ist auch John von Düffel ein Einhand-Segler. Ahoi!