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"Siegfried" in Bayreuth

Der Regisseur Tankred Dorst und der Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann hatten auch im dritten Teil der Ring-Tetralogie wieder gute Bildideen. Die Waldhöhle des Zwergen Mime ist ein ausgedienter und heruntergekommener Klassenraum mit Schultafel, Tischen und Stühlen, Globus und Menschenskelett. Der verwaiste Siegfried ist hier wohl aufgewachsen. Sein Gitterbettchen steht noch herum. Und Mime der Meister drangsaliert den groß und stark gewordenen Knaben immer noch mit seinen Belehrungen und seiner verlogenen Liebe.

Von Christoph Schmitz |
    Auch den Wald vor der Höhle des Drachen Fafner haben Dorst und Schlößmann an einen peripheren Ort unserer Gegenwart verlegt. Die Baumstämme sind abgesägt, und über die Stümpfe schwingt sich eine noch nicht fertiggestellte Autobahnauffahrt auf Betonstelzen. Die Sagengestalten und Götter hausen im Heute und leben ihre Mythen wie eh und je lustvoll aus. Die Menschen von heute, die hin und wieder vorübergehen, bemerken nicht, was da mitten unter ihnen geschieht. Außer einem kleinen Junge mit langem blonden Haar. Seit dem "Rheingold" hat er sich ein paar Mal nach der Jenseitswelt umgedreht und sie kurz berührt.

    Dorst bleibt seiner Grundidee treu, auch der Konsequenz, mit der er sie nicht konsequent umsetzt. Wirklich interessant wäre doch gewesen, wenn Mythos und Wirklichkeit miteinander verschränkt worden wären und die beiden Welten aufeinander hätten abstrahlen können. Dann hätte dieser neue Ring tatsächlich nach Patrice Chéreaus dreißig Jahre altem sozialkritischen Jahrhundertring der Jahrhundertring für das sich von Ideologien emanzipierende 21. Jahrhundert werden können.

    So bleibt Dorst auf halbem Wege stehen. Was an der extrem kurzen Vorbereitungszeit gelegen haben mag. Ihm standen wegen Lars von Triers Ring-Absage nur knapp zwei, statt vier Jahre zur Verfügung.
    Dennoch bot der "Siegfried" gestern Abend vor allem große musikalische, aber auch ganz gute sängerische und schauspielerische Momente.

    Gerhard Siegel als Mime tribbelte, kroch und schleimte als echsenhaftes Wesen verschlagen um Siegfried herum und spielte brillant mit einem komödiantisch-bösen Tenor.

    Am Anfang musste der Amerikaner Stephen Gould als Siegfried seine Stimme noch etwas suchen, gewann aber zunehmend an Festigkeit. Der typische strahlende Siegfried-Tenor und naiv-brutale Held ist er aber nicht. Gould singt einen naiv-freundlichen jungen Mann, der spielerisch einen Drachen tötet, den Ring der Macht erbeutet, einem zwitschernden Waldvogel hinterherrennt zu einer schlafenden Frau, Brünnhilde.

    Aber auch Falk Struckmanns Wotan hat sich nach zwei schwachen Abenden gefangen. Sein Baß ist melodiöser geworden. Auch als Schauspieler hat er seine gravitätische Starre abgelegt und bewegt sich entspannt als Wanderer im untergehenden Weltenlauf. Was man in "Rheingold" und "Walküre" so schmerzlich vermisste, eine choreographisch inspirierte Personenregie, im "Siegfried" war sie endlich zumindest teilweise zu spüren. Aber halbe Sachen sind in Bayreuth eben lange nicht genug. Auch wenn man Steigerungen dankbar annimmt, wie die stimmliche und darstellerische von Linda Watson als Brünnhilde:

    Doch es ist nicht so, dass sich nach der Hälfte des Rings alles zum Positiven wenden würde. Es gibt mittlerweile guten Wagner-Gesang, aber nicht den besten, was man auf dem Hügel erwarten dürfte.

    Atemberaubende Qualität allein bieten unverdrossen die unsichtbaren Leute im tiefen Wagnergraben. Der Dirigent Christian Thielemann und sein Festspielorchester mit Musikern aus allen Teilen Deutschlands lassen wunderlich transparente Klangspektren aufblühen. Die Streicher bieten den Bläsern viel Raum. Insofern spielt die Musik doch noch in Bayreuth.