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Siegmund schlendert in die Schlacht

Regisseur Sven-Eric Bechtolf hat sich vom Zwang politischer Aktualisierung des mythischen Weltendramas befreit, ohne dabei in die Langeweile sogenannter werktreuer Lösungen zurückzufallen. Dennoch stand der Auftakt zu einem neuen Ring an der Wiener Staatsoper unter keinem guten Stern: Das Orchester spielte in Vielem unsauber und verrutscht, und auch die Sangesleistungen ließen zu wünschen übrig.

Von Christoph Schmitz |
    Die ersten Takte ließen viel erwarten. Beim Vorspiel am Anfang der "Walküre" zeigten die Streicher des Opernorchesters ihre ungeheure Kraft und Lebendigkeit. Der Dirigent Franz Welser-Möst feuerte sie zu heftiger Dynamik und starkem Tempo an.

    Doch im Verlauf des ersten Aufzugs, wenn sich die Geschwister Siegmund und Sieglinde ineinander verlieben, da fallen Welser-Möst und sein Orchester schnell in gewohntere Bahnen zurück. Im zweiten Teil, wenn der Götterchef Wotan von seiner Frau Fricka genötigt wird, den Ehebruch und den Inzest von Siegmund und Sieglinde zu bestrafen und Siegmund fällt, dann schleppt sich die Musik nur noch müde durchs Geschehen: die gefühlte Zeit wird klebrig. Im dritten Akt - Siegmund ist längst tot, die Walküre Brünhilde hat die schwangere Sieglinde gerettet und wird dafür ebenfalls von Wotan bestraft - im dritten Akt rafft sich das Orchester wieder zu etwas mehr Elan auf.

    Doch das versammelte Blech hat während des ganzen Abends Probleme. Vieles ist unsauber oder verrutscht. Vielleicht zeigt sich unbewußt das Missfallen mancher Musiker darüber, dass ihnen gegen den Willen Franz Welser-Möst ab 2010 als Musikdirektor vorstehen soll: Tröten aus Protest. Überhaupt stand dieser Auftakt zu einem neuen Ring unter keinem guten Stern. Dem Finnen Juha Uusitalo versagte als Wotan die Stimme. Im letzten Drittel spielte er nur noch stumm, und der Bassbariton Oskar Hildebrandt wurde von einem Pizzaessen weggerufen und sang den Gott vom Bühnenrand, aber nicht gerade göttlich. Auch der Siegmund des Südafrikaners Johan Botha war nicht in Bestform und schien sich in seiner Rolle zu langweilen. So schlenderte Siegmund nur in die Schlacht. Die Brünhilde der dänischen Eva Johansson wurde am Schluss gar ausgebuht.

    Eine Menge Unmut bekam auch der Regisseur des neuen Wiener Rings ab. Dabei hat Sven-Eric Bechtolf etwas Bemerkenswertes und Wichtiges versucht, wobei ihm einiges gelungen ist. Er hat sich vom Zwang politischer Aktualisierung des mythischen Weltendramas befreit. Er ist dabei nicht in die Langeweile sogenannter werktreuer Lösungen für die Szene zurückgefallen, sondern er hat das Zeichenspiel modernen Regietheaters sorgfälltig integriert. So gibt es endlich wieder eine richtige Weltesche, die bei Hundings mächtig durch den Saal emporragt und die Zimmerdecke durchbricht. Rolf Glittenbergs Bühne zeigt klassizistische Palasträume mit kleinen Türen. In Walhall ist der Saal mit einem Wald abgesägter Stämme vollgestellt. Die dunklen Mäntel und Gewänder der Figuren muten zugleich archaisch und höfisch oder bürgerlich-festlich wie im 19. Jahrhundert an.

    Dieses Changieren zwischen Vorzeit und Neuzeit in geschlossenen Räumen bringt eine Atmosphäre von Zeitlosigkeit hervor, vielleicht auch von zeitloser Gültigkeit. Bechtolf läßt die Urkräfte, die Lebens- und Überlebensstrategien des Menschen agieren, befreit von einem pseudokritischen "Wotan mit Aktentasche". Die Hoffnung des Menschen gilt dem Kind, nämlich Siegfried, der in Gestalt von Kinderpuppen in Kinderbettchen noch vor seiner Geburt auf der Bühne sichtbar ist. Die Personenführung hat Bechtolf eng an die Semantik der Musik gekoppelt. Auch das ist ihm gut gelungen. Manches wirkt aber noch sehr statisch, was auch an Wotans Ausfall gelegen haben mag. Dafür war die Sieglinde der Schwedin Nina Stemme von atemberaubender Präsenz und Stimmgewalt.

    Nina Stemme ist derzeit eine der besten hochdramatischen Soprane. Man kann kaum glauben, dass dieser akustische Farbenreichtum nur aus einer Kehle so energievoll strömen soll.