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Siemens-Hauptversammlung
Kaeser:"Fast grotesk, dass wir Zielscheibe von Umweltaktivisten sind"

Siemens-Chef Joe Kaeser bezeichnet seinen Konzern als grünen Pionier. Umweltaktivisten sehen das etwas anders. Sie protestieren anlässlich der Hauptversammlung des Dax-Konzerns in München. Der Grund: ein Auftrag für eine australische Kohlemine. Siemens verspricht trotzdem bis 2030 klimaneutral zu wirtschaften.

Von Michael Watzke | 05.02.2020
Klimaaktivisten demonstrieren mit Plakaten am Haupteingang zu Beginn der Siemens-Hauptversammlung vor der Olympiahalle in München.
Aktivisten blockierten den Zugang zur Halle, in der die Hauptversammlung von Siemens stattfand (dpa-Bildfunk / Peter Kneffel)
"Stop Adani! Stop Adani!" Eine Menschenkette aus bis zu 2.000 Demonstranten fordert Siemens heute vor der Münchner Olympiahalle auf: "Stoppt die Adani-Kohlemine in Australien." Viele Klima-Aktivisten sind wütend auf Siemens und dessen Vorstandsvorsitzenden Joe Kaeser:
"Hey, Siemens, das mag ein kleiner Vertrag sein mit dieser Kohlemiene in Australien, aber es ist ein Katastrophenvertrag." "Es hilft nicht, das wir gepredigt kriegen: Ihr Bürger müsst nachhaltig sein, fliegt weniger, esst weniger Fleisch, pflanzt Bäume. Alles wunderbar, aber das wird es nicht retten." "Siemens behauptet bis 2030 klimaneutral zu sein, das funktioniert wenig, wenn man eine Kohlemine unterstützt, die bis 2080 noch Kohle fördert. Selbst wenn sie das nicht auf ihre Klimabilanz schreiben müssen, sind sie trotzdem dafür verantwortlich, dass die Kohle verbrannt wird. Es ist egal, wer das CO2 emittiert. Wenn es bei Siemens nicht auf der Bilanz steht, sieht es für die natürlich gut aus, aber das ist pures Greenwashing."
Lieferung für Kohlemine in Australien - Kaeser argumentiert mit Vertragstreue
Mehrere Klima-Demonstranten von Greenpeace geraten mit der Polizei aneinander. Denn sie legen sich so vor die Halleneingänge, dass die Siemens-Aktionäre über sie drüber steigen müssen. Viele Anteilseigner reagieren verärgert. Sie unterstützen Joe Kaesers harten Kurs in der Umwelt-Debatte.
"Selbstverständlich. Wir leben in einem Rechtsstaat – da muss das Recht für alle gelten. Und wenn ich einen Vertrag abgeschlossen habe, dann muss ich mich daran halten."
Vertragstreue ist Kaesers entscheidendes Argument dafür, nicht auf die Forderungen der Klima-Demonstranten einzugehen. Immer wieder betont der Siemens-Chef in der Hauptversammlung, es sei ein Fehler gewesen, den Vertrag mit Adani zu unterschreiben. Aber man könne nun nicht mehr davon zurücktreten. Kaeser äußert sogar Verständnis für die Demonstrationen.
"Es ist gut und wichtig, dass sich unsere Kinder unserer Zukunft annehmen. Aber Proteste allein bringen noch keine Lösungen."
Kaeser: "Bei solchen Themen kann man nicht gewinnen"
Da erhält Kaeser Applaus von den meisten Aktionären in der Halle. Später melden sich viele Kritiker zu Wort. Varsha Yajman vom australischen Fridays-for-Future sagt, es sei eine "Schande", dass Siemens den Vertrag mit Adani unterzeichnet habe, während Australien brenne. Helena Marschall von Fridays-for-Future Deutschland wirft Siemens eine "unehrliche Inszenierung als Klimakonzern" vor und warnt Kaeser. "Sie verlieren Ihre Kunden - zumindest die zukünftigen." Kaeser antwortet Marschall mit den Worten. "Wir sind uns einig über die Diagnose. Aber die Therapie haben bisher nur wir begonnen."
Der Siemens-Chef zeigt sich in der Klimadebatte allerdings zusehends frustriert. "Bei solchen Themen kann man nicht gewinnen, weil der Anspruch, den viele haben auf der anderen Seite, ein legitimer ist." Gleichzeitig wirft Kaeser seinen Kritikern vor, ein "Geschäftsmodell Aktivismus" zu betreiben. In der Pressekonferenz vor der Hauptversammlung hatte er Siemens als besonders umweltfreundlichen Industrie-Konzern gelobt.
"Insoweit mutet es fast schon grotesk an, dass wir durch ein Signaltechnik-Projekt in Australien zur Zielscheibe zahlreicher Umwelt-Aktivisten geworden sind."
Manche Investoren halten Kaeser aber vor, den Streit um das Adani-Projekt durch widersprüchliche Botschaften selbst befeuert zu haben. So nannte Vera Diehl von Union Investment die Kommunikation rund um Adani ein "Desaster".
Durchwachsener Start ins neue Geschäftsjahr – aber sehr gutes US-Geschäft
Kaeser skizzierte ausführlich das zukünftige Gesicht von Siemens: Für September plant der Konzern den Börsengang des Ablegers Siemens Energy, der auch 67 Prozent der Windkraft-Firma Siemens-Gamesa halten wird. Dann besteht Siemens aus drei Säulen: Healthineers (also die Medizintechnik), Energy (ehemals Power and Gas) und der Siemens AG mit dem Rest. Das aktuelle Quartal lief für Siemens übrigens durchwachsen: 30 Prozent Gewinnrückgang auf 1,4 Milliarden Euro bedeuten laut Kaeser "dass wir tatsächlich schon bessere Quartale hatten, das ist gar keine Frage."
Der Umsatz ist allerdings stabil geblieben – und der Auftragsbestand erreichte mit 146 Milliarden Euro eine neue Rekordhöhe. Hauptgrund: die blendenden Geschäfte in den USA.