Freitag, 19. April 2024

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Sigmar-Polke-Ausstellung im Museum Morsbroich
Fotos aus der Kiste

Über 40 Jahre waren sie verschollen: Hunderte Fotos aus der Dunkelkammer eines der wichtigsten deutschen Nachkriegskünstler. Nun sind die Aufnahmen, die Sigmar Polke zwischen 1970 und 1980 machte, in seinem Nachlass wieder aufgetaucht. Das Museum Morsbroich in Leverkusen zeigt viele davon.

Stefan Koldehoff im Gespräch mit Anja Reinhardt | 28.05.2018
    Eine Frau hält ihr Smartphone vor Fotografien aus der Serie «Köln» von Sigmar Polke. Die Ausstellung «Fotografien 70 - 80» von Sigmar Polke ist vom 27. Mai 2018 - 02. September 2018 im Museum Morsbroich zu sehen.
    Fotografien aus der Serie "Köln" von Sigmar Polke (dpa / Oliver Berg)
    Als Fotograf ist Sigmar Polke nach wie vor nicht im allgemeinen Bewusstsein angekommen. Dabei hat es nicht nur schon verschiedene Ausstellungen gegeben, die auf diesen Aspekt seines Werks hingewiesen haben: Sigmar Polke ist eigentlich nirgends aufgetreten, ohne dass er eine Kamera bei sich hatte und damit fast pausenlos fotografierte. Auf diese Weise müssen im Laufe der Jahre Zehntausende von Aufnahmen entstanden sein.
    Polke in der Badewanne mit Schaum auf dem Kopf
    Die 500, die nun in Leverkusen zu sehen sind, zeigen noch einmal die Bedeutung, die das Medium Fotografie für Polke hatte. Er notierte mit der Kamera, was seine Aufmerksamkeit erregte: Sein persönliches Umfeld und die Familie auf einem Hof in Willich, Eindrücke von Urlaubsreisen, scheinbar banale Stadtansichten, Ausstellungseröffnungen und Künstleraktionen.
    Darunter sind private Bilder wie Sigmar Polke in der Badewanne, der auf einem zweiten Bild untertaucht und auf einem dritten mit Schaum auf dem Kopf und um die Nase sichtbar wird.
    Häufig ließ Polke bei solchen Gelegenheiten seine Kamera auch kreisen, gab sie Freunden in die Hand. Durch diese von ihm so genannten "Linsenflirts" kommt es, dass der Künstler auf vielen Aufnahmen selbst zu sehen ist.
    Der Alchemist in der Dunkelkammer
    Was er oder andere aufgenommen hatten, konnte Sigmar Polke im Zeitalter der analogen Fotografie erst in der Dunkelkammer sehen. Dort experimentierte er, den die Alchemie zeitlebens begeistert und beschäftigt hatte, mit den Möglichkeiten, die Bilder noch nachträglich zu manipulieren.
    Die oft schon bewusst unscharf aufgenommenen, über- oder unterbelichteten Negative wurden durch Mehrfachbelichtungen, Umkehreffekte und den extensiven Einsatz von Chemikalien zu Unikaten, die die Grenzen der herkömmlichen Fotografie überschreiten. Manche wirken wie Daguerreotypien aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, manche wie Schnappschüsse aus dem Familienalbum.
    Dass die Fotografie dem Künstler Sigmar Polke immer wieder auch Bildthemen für seine Gemälde, Grafiken und Buchpublikationen lieferte, ist in einem kleinen Kabinett im Obergeschoss der Ausstellung zu sehen.
    Zu verdanken ist die Ausstellung einem glücklichen Zufall: Nach dem Wegzug aus Willich hatte Polke eine Kiste mit rund 1.000 Aufnahmen seinem Sohn Georg geschenkt. Bei einigen Umzügen war sie in Vergessenheit geraten – erst vor zwei Jahren entdeckte er sie in seinem Keller in Berlin wieder.