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Signal für Brüssel

Um Arbeitnehmerrechte ist es in der Türkei nicht gut bestellt, seit langem sind die Gewerkschaften unzufrieden. Doch bislang wurde aller Protest unterdrückt: Die Kundgebungen zum 1. Mai verhinderte die türkische Polizei letztes Jahr mit Tränengas und Wasserwerfern. Jetzt aber will Premierminister Erdogan das Gewerkschaftsrecht reformieren - und damit auch ein Zeichen nach Brüssel senden.

Von Gunnar Köhne | 21.04.2009
    Eine Demonstration der türkischen Textilgewerkschaft "TEKSTIF" vor den Toren einer Fabrik in der Nähe der westtürkischen Stadt Edirne. Die Wut der Demonstranten richtet sich gegen das um sich greifende Mobbing von Gewerkschaftern in türkischen Betrieben: Je stärker die Wirtschaftkrise auch die Türkei erfasst, desto allergischer reagieren die Bosse auf Arbeiter, die sich gewerkschaftlich organisieren wollen. In der Textilfabrik in Edirne, die auch für deutsche Konfektionshäuser schneidert, werden Gewerkschaftsmitglieder seit Wochen unter Druck gesetzt, berichtet eine Näherin, die anonym bleiben will:

    "Wir haben versucht, die Kolleginnen davon zu überzeugen, dem Druck nicht nachzugeben, weil es sonst nur noch schlimmer wird. Daraufhin wurde ich zusammen mit fünf Kolleginnen in einen Sonderurlaub geschickt. Eine schriftliche Begründung gaben sie uns dafür nicht. Sie haben uns nur gesagt, wir müssten uns 'psychologisch erholen'."

    Die Gesetzeslage macht es den Arbeitgebern bislang leicht: Wer einer türkischen Gewerkschaft beitreten will, muss dies unter Aufsicht eines staatlichen Notars tun - der zudem noch umgerechnet 20 Euro Gebühren kassiert. Dann muss eine Gewerkschaft in einem Betrieb mindestens 51 Prozent aller Arbeiter organisieren, bevor sie als Tarifpartner anerkannt wird. Diese Vorschriften stammen aus der Zeit des Militärputsches von 1980, als es die Generäle besonders auf die politische Linke und die Gewerkschaften abgesehen hatten. Süleyman Celebi erinnert sich noch gut an jene Zeit, denn der damals 26-jährige Gewerkschafter saß vier Jahre im Gefängnis. Heute ist Celebi Vorsitzender von "DISK", einem von drei landesweiten Gewerkschaftsverbänden. Mit Wehmut blickt er zurück:

    "Vor dem Putsch 1980 waren gab es zweieinhalb Millionen Gewerkschafter - bei 44 Millionen Einwohnern. Heute ist die Einwohnerzahl fast doppelt so hoch - aber es gibt nur 650 Tausend Gewerkschafter. Diese Zahlen sagen alles."

    Mit dem Putsch hatten die Militärs eines ihrer Ziele erreicht: Die Macht der Gewerkschaften zu brechen. Nun, fast 30 Jahre danach gibt es wieder einen Lichtblick für Süleyman Celebi und seine Kollegen: Ausgerechnet die religiös-konservative Regierung Erdogan will den Gewerkschaften einen Teil ihrer alten Rechte zurückgeben. So soll die vorgeschriebene Mindestzahl von 51 Prozent Mitgliederanteil in Betrieben wegfallen, genauso wie die absurden notariellen Mitgliedschaftsbeglaubigungen. Auch das Streikrecht soll gelockert werden. Für Süleyman Celebi ist der Gesetzentwurf darum nur ein erster Schritt:

    "Wir wollen eine Gesetzgebung, die sich ganz an den Standards der Internationalen Arbeitsorganisation 'ILO' orientiert. Es gibt zum Beispiel in der Türkei 28 Tarifbranchen. Da gibt es den Bereich Lebensmittel, aber die Zuckerwirtschaft ist eine eigene Tarifbranche. Diese Aufsplitterung soll die Einheit der Gewerkschaften schwächen. Die Anzahl der Tarifbranchen muss reduziert werden."

    Immerhin: der 1. Mai soll nach dem Willen von Ministerpräsident Erdogan in der Türkei wieder ein Feiertag werden. Mit diesem neuesten Reformpaket im Gepäck besucht Außenminister Ali Babacan heute die tschechische EU-Ratspräsidentschaft in Prag. Die Europäische Union hatte mehrfach deutlich gemacht, dass das Beitrittskapitel "Soziales und Beschäftigung" erst dann eröffnet werden könne, wenn Ankara Gewerkschaftsrechte in Übereinstimmung mit EU-Normen garantieren kann. Bis dies tatsächlich der Fall ist, werden die Arbeiterinnen der Textilfabrik in Edirne ihren Kampf um ihre Gewerkschaftsrechte vermutlich längst verloren haben, fürchtet die 46-jährige Näherin:

    "Vor ein paar Wochen riefen mich Kolleginnen zuhause an und sagten, dass sie aus der Gewerkschaft austräten, weil die Geschäftsführung Druck macht. Sie lehnt auch die Forderungen nach mehr Lohn ab. Dann haben sie in der Arbeitszeit Kolleginnen mit Bussen zu staatlichen Notariaten gefahren, wo die ihre Austrittserklärung unterschreiben mussten."

    Die neuen Gewerkschaftsgesetze sollen noch in dieser Woche das Parlament in Ankara passieren.