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"Silences"

Marin Karmitz ist Filmproduzent und Filmverleiher, und ein engagierter Verfechter des Autorenfilms. Wer ihn einlädt, eine Ausstellung zu kuratieren, weiß, was er bekommt: einen furchtlosen und häufig wegweisenden Brückenschlag zwischen den Kunstformen. Das Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Straßburg hat Karmitz eingeladen, und zeigt "Silences" - Formen der Stille.

Von Christian Gampert |
    Eine Art Schlund, ein extra gebauter Tunnel, zieht einen in die Ausstellung hinein und dort hängen, als Vorspann, lauter verrenkte bunte Plüschtiere, die Annette Messager in der Form von Buchstaben angeordnet hat und die das lustige Wort "Cinéma" bilden. Der Kurator der Ausstellung, Marin Karmitz, ist Filmregisseur und -produzent. Seine These ist, dass in den Zeiten der Revolte die Kunst aus ihrem Schweigen, der "Silence", aus der Stummheit des gemalten Bildes hinausgetreten sei in die Aktion, die Sounds, in das Theatralische, die Installation.

    Und da Karmitz sich auf Frankreich konzentriert, meint er mit Revolte einerseits die direkte Nachkriegszeit (also Beckett, Ionesco, Nouveau Roman, später die Nouvelle Vague), andererseits 68 und die Folgen (und das heißt dann: Roland Barthes, Foucault, Deleuze, die sich ja an den Künsten einerseits aufluden und sie aber auch beeinflussten). Viele der von Karmitz gezeigten 15 Künstler haben damals angefangen zu arbeiten, und natürlich überschreiten sie - rein formal - die vorgegebenen Genre-Grenzen. Andererseits stellt sich sehr bald heraus, dass diese Künstler alle zu einer je besonderen Art des Schweigens und der Einsamkeit zurückkehren - daher auch der Titel, "Silences" (im Plural), daher auch der besondere Aufbau der Ausstellung, die sich wie eine Filmerzählung lesen lässt: mit Vorspann, Exposition (das wären dann die Tausende am Boden gestapelter Bücher des Joseph Kosuth, durch die man stapfen muss), der langsamen Etablierung eines Plots (das wären die gesichtslosen, starren, traurigen Puppen, die auf den Schulbänken des Theaterregisseurs Tadeusz Kantór sitzen) und einem Showdown am Ende (das wäre der fünfzig Meter lange, verschachtelte Korridor, durch den uns Ilya Kabakov schickt und uns auf Landschaftsfotos und Tagebucheinträge seiner Mutter ansetzt, auf ein trauriges Leben im sowjetischen Russland).

    Aber auch dieser Eindruck einer stimmigen Dramaturgie täuscht. In Wahrheit ist die Ausstellung ein Labyrinth, jeder Besucher ertastet sich einen eigenen Weg, und für jeden Künstler hat der Ausstellungsarchitekt Patrick Bouchain einen eigenen Raum gebaut, einen weißen Kubus, in dem man mit einem Werk allein ist. Die Stimmung, die sich dabei einstellt, ist klaustrophobisch, und irgendwann ist klar, dass die gezeigten Werke ausnahmslos die Katastrophen des Jahrhunderts umkreisen. Das Gedächtnis-Archiv, der vollgestellte Bücher-Raum von Kosuth ist formal konstruiert wie die Schuh- und Brillenberge in Auschwitz; die Schüler-Puppen des Polen Tadeusz Kantor waren Teil der Aufführung "Die tote Klasse", und der Video-Künstler Chris Marker kreuzt die Leidenszuckungen auf den Schlachtfeldern des ersten Weltkriegs mit T.S. Eliots Gedicht "The Hollow Men". On Kawaras Datums-Bilder, das konzeptuelle Aufmalen von Kalender-Daten als Festhalten der vergehenden Zeit, bekommt hier einen ganz anderen Sinn. Und Bruce Naumans Video einer Frau, die die erniedrigenden Befehle eines Folterers aus dem Off ausführt, steht hier auf einmal in einem historischen Kontinuum.

    Obwohl die Ausstellung durchaus überzeugend das Zusammenspiel verschiedener künstlerischer Disziplinen auslotet, so inszeniert der Kurator Marin Karmitz doch auch sein Lebensthema. Der 1938 geborene Karmitz durfte in Rumänien als Jude keine Schule besuchen, auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht; erst als der Neunjährige nach Frankreich kam, lernte er Lesen und Schreiben. Heute ist er einer der erfolgreichsten Filmproduzenten und -verleiher Frankreichs, immer noch aus einem linken, von 68 geprägten Impetus heraus.

    Was er der Bildenden Kunst verdankt, was er von ihr gelernt hat, zeigt diese Ausstellung gerade in den formalen Aspekten der Werke: Es sind zu einem Bild, einer Situation verdichtete Philosophien der Einsamkeit. Der Arte-Povera-Künstler Mario Merz baut einen Iglu aus Glas, und in der Mitte wächst ein Baum. Bei Giacometti bilden sieben hohe Frauenfiguren einen stummen Wald, beobachtet von einer aus dem Boden ragenden Männerbüste. Und Christian Boltanski schickt uns durch eine Ansammlung schwarzer Herren, Holzgestelle mit dunklen Mänteln, die uns kurze Sätze entgegenwispern. Der Kopf dieser Skulpturen besteht aus Leselampen. Das, immerhin, ist ein Zeichen der Hoffnung.