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Silke Burmester
Hass, der Flüssigkitt der Journalisten

Unsere Kolumnistin Silke Burmester widmet sich dem Wort "Hass", das viele Journalistinnen und Journalisten inflationär nutzen. Es sei Zeit, die "Hass-Inflationsbremse zu treten", und nicht jedes sozial unerwünschte oder fragwürdige Verhalten mit einer der stärksten Emotionen zu etikettieren.

Von Silke Burmester | 31.05.2018
    Porträt von Silke Burmester
    @mediasres-Kolumnistin Silke Burmester (imago / Sven Simon)
    Hallo, liebe Hörerinnen und Hörer dieser kleinen Kolumne!
    Finden Sie manchmal einen anderen Menschen blöd? Lehnen sie seine Meinung ab? Seine Art, zu sprechen macht sie wahnsinnig? Sein Habitus aggressiv? Sie fühlen Wut und würden ihn gern anschreien? Vielleicht hätten Sie sogar richtiggehend Lust, ihm eine reinzusemmeln?
    Und auch Institutionen oder Dingen gegenüber empfinden Sie zuweilen Zorn, Wut, Empörung, sogar Verachtung? Bayern München gegenüber etwa, Ihrer Krankenkasse oder Montsanto?
    Alles ist gerade "Hass"
    Das kann ich gut verstehen. Auch mir geht es manchmal so. Knapp vor der Gewaltbereitschaft bin ich, wenn Menschen sehr langsam vor mir gehen und ich nicht an ihnen vorbeikomme. Dann könnte ich ausflippen. Habe ich einen Einkaufswagen dabei, würde ich ihnen den gern in die Hacken karren.
    Würden Sie und ich in den Medien beschrieben, hieße es, wir empfänden "Hass". In meinem Fall würde geschrieben, ich würde Langsamgeher hassen. Und wäre damit eine Langsamgeher-Hasserin. So wie alles gerade "Hass" ist.
    Niemand kann sich mehr prügeln, jemanden beschimpfen, kritisieren oder ablehnen – ohne, dass von "Hass" die Rede ist.
    Hass, der Flüssigkitt der Journalisten
    Neulich hat einer acht Parkuhren kaputt gemacht. Der von der Zeitung ausgemachte Grund: "Hass auf Parkuhren". Aus der Ablehnung des Valentinstages wird "Hass des Valentinstages" und die Kritik an den Medien zum "Hass auf die Medien". Dann gibt es natürlich noch Hass auf Merkel, auf Flüchtlinge und auf das Bamf.
    Hass ist der Flüssigkitt der Journalisten. Sie gießen ihn in jede gedankliche Fuge. Bevor sie überlegen, worum es eigentlich geht und was für diesen Umstand das passende Wort wäre, gießen sie das Wort "Hass" in die Lücke in ihrem Kopf und lassen einen Text herausplumpsen, in dem der Hass herumwirbelt wie einst die Kessler-Zwillinge.
    Pöbelt jemand in den sozialen Netzwerken, "Sie sind ein dummes Arschloch", nennen Journalisten dies "Hass-Posts" – und der Absender ist ein "Hater". Dabei hat die Bemerkung häufig wahrscheinlich sehr viel weniger mit Hass zu tun, als vielmehr mit Ärger, geringer Reflektionsbereitschaft – und wohl meist auch mit einem eingeschränkten und schlichten Wortschatz. Plus einem Mangel an Erziehung und dem Willen zum Austausch.
    Natürlich gibt es Menschen, die von Frauen, Juden, Schwulen und anderen Gruppen so sehr überfordert sind, dass am Ende der Überforderung und des mangelnden Selbstwerts ein diffuses und irrationales Gefühl wie "Hass" übrigbleibt.
    Die Hass-Inflationsbremse treten
    Aber in vielen Fällen wird das nicht so sein. In vielen Fällen werden die Menschen Merkel nicht hassen, sondern ablehnen. Weil sie sie inkompetent und ihre Politik falsch finden. Nicht alle, die unfreundliche Dinge schreiben, sind Hater. Manche sind einfach Idioten. Oder schlicht unfreundliche Menschen.
    Wir Journalistinnen und Journalisten täten gut daran, die Hass-Inflationsbremse zu treten und nicht jedes sozial unerwünschte oder fragwürdige Verhalten mit diesem einen Gefühl zu etikettieren. Nicht nur, weil wir damit eine der stärksten negativen Emotionen, die wir zu empfinden fähig sind, seiner Kraft berauben. Nein, auch deshalb, weil seine unbedachte Verwendung Differenzierung verhindert. Und damit die Wahrnehmung, worum es eigentlich geht.
    Wenn wir Journalisten aufhörten, die große Bandbreite der Gefühle und Äußerungen mit dem Wort "Hass" zuzukleistern, könnte es uns gelingen, hinzuschauen und zu erfahren, was wirklich los ist. Wo das Problem steckt, wenn jemand Fremde oder Frauen mit Führungsanspruch nicht aushalten kann. Dann würde es interessant. Dann hätten wir die Chance, einer Lösung der Probleme näher zu kommen. Und der Erfüllung unserer journalistischen Aufgabe.