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Silke Burmester
Was ist Journalismus?

Die Aufregung wäre wohl groß, wenn Beiträge, die von Mercedes oder Edeka bezahlt wurden, mit Journalistenpreisen ausgezeichnet würden. Und bei Greenpeace? Grundsätzlich solle hinter Journalismus kein wirtschaftlich getriebenes oder politisches Interesse stehen, findet unsere Kolumnistin Silke Burmester.

Von Silke Burmester | 07.12.2017
    Porträt von Silke Burmester
    Silke Burmester (imago / Sven Simon)
    Hallo liebe Hörerinnen und Hörer dieser kleinen Kolumne!
    Mit meinem letzten Beitrag in diesem Jahr möchte ich nochmal ein kleines Fass aufmachen. Nämlich das, auf dem steht: "Was ist Journalismus, und wie sieht unser zukünftiges Verständnis von Journalismus aus?" Das ist für die Bezeichnung eines Fasses zugegebenermaßen sehr lang. Also mache ich es kurz:
    Journalismus war bislang der Versuch, Ereignisse möglichst objektiv und wahrheitsgetreu darzulegen. Dazu ist geistige und wirtschaftliche Unabhängigkeit eine Notwendigkeit. Und bereits mit der politischen Neigung von Verlagseigentümern und Herausgebern ist es mit der ideologischen Unabhängigkeit so eine Sache. Ja, Zeitungen und Verlage haben oft eine Agenda. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat keine zu haben, außer Demokratieerhalt. Schöne Grüße an die Rundfunkräte, bei der Gelegenheit!
    Fragwürdige Auszeichnungen
    Das Jahresende bzw. ein Jahresanfang ist in der Medienbranche die Zeit der Preise und Auszeichnungen. Und in den aktuellen Nominierungslisten lässt sich etwas beobachten, bei dem mal ganz schnell unser aller Glocken bimmeln sollten. Und das als Zeichen verstanden werden muss, dass es dringenden Klärungsbedarf gibt. Nämlich bei der süßen, kleinen Frage: Was ist Journalismus, und was wollen wir zukünftig unter dem Begriff verstehen?
    Es geht um den Umstand, dass unter den Nominierungen für Journalistenpreise neuerdings auch Publikationen oder Medienhäuser auftauchen, die nicht den Regeln journalistischer Unabhängigkeit verpflichtet sein müssen. Schlicht, weil jemand mit übergeordnetem Interesse sie herausbringt. So ist für den mittlerweile sehr angesehenen Reporter-Preis ein Text aus dem Greenpeace-Magazin nominiert. Was aber, wenn an anderer Stelle, beim Henri-Nannen-Preis, beim Otto-Brenner oder dem Helmut-Schmidt-Preis etwa ein auszeichnungswürdiger Beitrag von Mercedes auftauchte oder von Edeka?*
    Greenpeace-Magazin beteuert Unabhängigkeit
    Das Greenpeace-Magazin hat infolge von Berichterstattung über den Umstand seine Unabhängigkeit beteuert und die überraschende Tatsache dargelegt, dass es völlig autark agiert, werbefrei ist und ohne Geld vom Verein das Heft produziert. Also tatsächlich ziemlich journalistisch arbeitet. Aber, und das sage ich jetzt, natürlich einem bestimmten Interesse verpflichtet ist. Nämlich der Welt-Rettung.*
    Journalistische Produkte von Unternehmen
    Ich muss das Szenario hier nicht im Einzelnen darstellen, liebe Hörerinnen und Hörer. Sie vom Schlaukopfradio sind ja klug genug, eigene Gedanken anstellen zu können. Ich möchte aber den Umstand, dass diese Medien in den Nominierungslisten der Journalistenpreise landen, zum Anlass nehmen, darauf hinzuweisen, dass die Branche – und vielleicht auch die Gesellschaft – sich mal schleunigst Gedanken machen muss, was Journalismus ist. Und welche Form von Journalismus wir haben wollen.
    Es lässt sich seit einiger Zeit beobachten, dass privatwirtschaftliche Unternehmen zusehends immer bessere und anspruchsvollere journalistische Produkte herausbringen. Sie geben mitunter viel Geld aus und grätschen in die Lücke, die durch das sparbedingte Versagen von Verlagen und Medienhäusern entstehen. Ebenso wie spendenbasierte Vereine eine immer wichtigere Rolle im Journalismus spielen.
    Gleichzeitig höre ich sogar in meinem Umfeld, das ich bislang für schlau hielt, Stimmen, die die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks fordern. In der Schweiz wird über diese Forderung abgestimmt.
    Kein wirtschaftlich getriebenes oder politisches Interesse
    Was ich mit dieser kleinen Kolumne sagen möchte, ist Folgendes: Wir müssen mal ganz dringend darüber reden, was Journalismus sein soll. Und was es heißt, wenn wir unabhängige Zeitungen verhungern lassen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschaffen. In wessen Hände wir uns begeben und was es bedeutet, wenn man nicht mehr davon ausgehen kann, dass hinter einer Meldung oder ihrer Auslassung kein wirtschaftlich getriebenes oder politisches Interesse steht.
    Und ja, auch die, die die vielen Preise in diesem Land vergeben, müssen sich mal schleunigst Gedanken machen, was "Journalismus" ist. Egal, mit wem von den Verantwortlichen man spricht, auf das Auftauchen von Mercedes oder Edeka in der Auswahl ist keiner eingestellt.
    * Ursprünglich war in diesem Zusammenhang irrtümlich auch T-Online erwähnt worden. Das journalistische Angebot gehört allerdings mittlerweile zur Ströer-Gruppe und ist unabhängig vom ehemaligen Mutterkonzern Telekom. Wir bitten um Entschuldigung.