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Silke Fischer vs. Stevie Schmiedel
Sind Märchen gut für Kinder?

Prinzessinnen sind brav, Hexen böse und Wölfe gefährlich: "Diese Archetypen zementieren Geschlechterrollen", kritisiert die Genderforscherin Stevie Schmiedel. Silke Fischer vom Deutschen Zentrum für Märchenkultur hält dagegen: "Märchen bedeuten für Kinder die erste Berührung mit Literatur."

Moderation: Monika Dittrich | 19.05.2018
    Rotkäppchen läuft vor dem Wolf davon.
    Märchen gehören mit zum Kulturerbe, werden aber aus unterschiedlichen Beweggründen immer wieder kritisiert. (imago stock&people)
    Die Theater- und Literaturwissenschaftlerin Silke Fischer ist Direktorin des Deutschen Zentrums für Märchenkultur. Das gemeinnützige Unternehmen setzt sich für den Erhalt und die Pflege von Märchen als Kulturerbe ein und organisiert jedes Jahr rund 1.500 Veranstaltungen, darunter Märchen-Lesungen, Theateraufführungen und die Berliner Märchentage. Silke Fischer ist überzeugt, dass Märchen für Kinder gut sind:
    "Für Kinder bedeuten Märchen meist die erste Berührung mit Literatur und Erwachsene erinnern sich auch zeitlebens an sie. Märchen gehören zu den tiefsten und nachhaltigsten Eindrücken, die ein Mensch je erfährt. Sie verbinden die Epochen, Generationen, indem sie Werte und Selbstverständnis der Gemeinschaften überliefern. Und: Märchen erzählen von der glücklichen Überwindung von Widerständen. Ihre zentralen Botschaften sind positives Denken, in Verbindung mit Unternehmergeist und Bodenständigkeit. Und die Grundlage aller Märchen ist die Phantasie. Und die Phantasie ist die Kreativität, von der die Zukunft unseres Planeten abhängt. Deswegen bin ich der Meinung, dass sich nichts besser für unsere Kinder eignet, für einen optimalen Start in die Zukunft, als Märchen."
    Stevie Schmiedel ist Genderforscherin und Chefin der Protestorganisation Pinkstinks e.V., die gegen Sexismus und Geschlechterklischees in Werbung und Gesellschaft kämpft. In ihrem Buch mit dem Titel "Pink für alle" setzt sich Schmiedel unter anderem kritisch mit den Rollenbildern in Märchen auseinander:
    "Ich finde nicht, dass Märchen gut für Kinder sind, auf keinen Fall unkommentiert. Vielleicht sollte man Märchen in der fünften oder sechsten Klasse anbieten, aber dann mit ausführlicher Besprechung. Man könnte Hexenverbrennung, man könnte die Geschichte Deutschlands, auch die deutsche Jugendbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts kann man besprechen an den Märchen. Aber auf keinen Fall sollten Märchen einfach so konsumiert werden. Denn die Märchen zementieren Geschlechterrollen, die wir doch längst überwunden haben wollten. Und wenn man sie einfach so hört, dann bestätigen sie die Geschlechterrollen, die wir noch haben und gegen die wir doch kämpfen und die wir gern abschaffen wollen. Und ich weiß, dass ich mit dieser Meinung viele Hörerinnen und Hörer vielleicht nicht glücklich mache. Denn Märchen sind sehr beliebt, wir hören sie sehr früh schon, sie erinnern uns an unsere Kindheit, an unsere Eltern und Großeltern, und es ist schwer, gegen Märchen vorzugehen und sie zu kritisieren. Aber das sollten wir doch heute tun."