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Silvesterkonzert
Berauschend klangschöne Dresdner Staatskapelle

Das Silvesterkonzert der Dresdner Staatskapelle unter der Leitung von Christian Thielemann war ein perfekt inszenierter Abend, der musikalisch überzeugend von Berlin nach New York führte.

Von Julia Spinola |
    Christian Thielemann zelebriert eine gediegen-heitere Silvesterlaune: Er schwingt nicht nur den Stab, sondern auch die Beine, erlaubt sich hier und da einen kleinen tänzerischen Hüpfer; er kokettiert und flirtet mit seinen Musikern und steigt schon mal mitten im Stück vom Dirigentenpult herab, um auf Knien die schöne Renée Flemming anzuschmachten. Die famose Dresdner Staatskapelle musiziert währenddessen traumwandlerisch sicher auch ohne ihren Chefdirigenten weiter: so berauschend klangschön und mit natürlich strömender Streicherwärme, wie man es von ihr gewohnt ist, dabei zugleich ungemein kultiviert, transparent und fein abgestuft in den dynamischen Valeurs.
    Perfekte Inszenierung
    Alles an diesem Abend ist perfekt inszeniert, jede Geste sitzt: vom Augenzwinkern des strengen Kapellmeisters, der sich einmal im Jahr gestattet, die Zügel lockerer zu lassen, bis zur gespielten Zickigkeit der beiden Sängerstars – Renée Flemming und Klaus Florian Vogt - im Wettstreit von Irving Berlins Duett "Anything you can do, I can do better". Und um die Kalkulation der Leichtigkeit, den Zauber einer auf Hochglanz polierten Oberfläche des schönen Scheins, geht es schließlich in Operette und Musical. Christian Thielemann, sonst ein Meister des Schwersten, hat auch dieses Handwerk von der Pike auf gelernt: Als Kapellmeister in Gelsenkirchen, Karlsruhe und Hannover zählte das Dirigieren von Operetten zu seinen Pflichtaufgaben. Seit 2010 bekennt er sich im jährlichen ZDF-Silvesterkonzert aus Dresden zu seinem Faible für die leichte Muse.
    Schmachtende Glissandi der Hawaigitarre
    Das diesjährige Programm führte von Berlin nach New York – wohin ein Großteil der in Berlin ansässigen Komponisten emigrieren musste. So auch Paul Abraham, dessen glanzvolle Karriere 1933 jäh zerstört wurde und dessen Leben durch Flucht, Verfolgung und Krankheit eine nachhaltig tragische Wendung nahm. Paul Abraham erneuerte die Berliner Operette, die bei einem Paul Lincke oder Eduard Künneke auch ihre arg biederen Seiten hat, durch den Einfluss des Jazz. Der Slowfox "Blume von Hawai" aus Abrahams gleichnamiger Operette aus dem Jahr 1931 scheint bei aller exotischen Süße die Melancholie von Abschied und Heimatlosigkeit schon vorwegzunehmen.
    Klaus Florian Vogt schien seinen sonst so strahlkräftigen Wagner-Tenor in diesem Stück geradezu den schmachtenden Glissandi der Hawaigitarre angleichen zu wollen, die in Abrahams Operette das exotische Künstlichkeitsparadies vollkommen machen. Insgesamt nahmen sich Flemming und Vogt stimmlich ungewohnt zurück, was möglicherweise auch dem Umstand geschuldet war, dass dieses Konzert weniger als Liveveranstaltung, denn als Medienevent geplant und durchgeführt ist: Aufnahmemikrofone reagieren nun einmal empfindlich auf Übersteuerung und die Qualität der Liveübertragung im ZDF, sowie des CD- und des DVD-Mitschnitts rangieren vor dem gelungenen Konzertereignis. Diesem hätte etwas mehr Direktheit und Aufsässigkeit durchaus nicht geschadet. Und auch der Handkuss zu Leonard Bernsteins "West-Side-Story"-Hit "Tonight" machte in fernsehtauglicher Naheaufnahme mehr Effekt als im Saal der Semperoper.