Archiv


Sind die Lehrkräfte gesund, freut sich die Bildung

Lehrer sein bedeutet Stress zu haben. Was waren das für Zeiten, als ein an die Tafel geschossenes Papierkügelchen den Höhepunkt schülerischer Aufsässigkeit markierte. Unmut und Tatendrang der Schüler von heute suchen sich bisweilen ganz andere, rüdere Ausdrucksformen. Aber auch Eltern, die wegen schlechter Noten ihres Nachwuchses vor Gericht ziehen, setzen Lehrer gewaltig unter Stress. Hinzu kommen zahllose Anforderungen und Regulierungen seitens der zuständigen Ministerien. Das alles macht Lehrern und ihrer Gesundheit zu schaffen. Diesem Problem hat sich nun eine Sektion des von der GEW und der Ruhruniversität Bochum ausgerichteten Kongresses "Zukunft Bildung" gewidmet.

Von Kersten Knipp |
    Ja es gibt also im Lehrerbereich insbesondere die Erkrankungen, die psychosozialer Art sind. Und die Ziffer liegt, was die einzelnen Schulformen betrifft, in unterschiedlicher Höhe, aber wir schätzen so um die 50 Prozent.

    Renate Boese, stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft-NRW, über den Kranken- und Erkrankungsstand unter deutschen Lehrern. Wie ließe er sich ändern, was können Lehrer tun, um sich gegen den Stress zu wappnen? Die Diskussion auf dem Kongress "Zukunft Bildung" zeigte zweierlei: Der Stress entsteht aus oft sehr ruppigem Schülerverhalten – und der Unfähigkeit der Lehrer, darauf angemessen zu reagieren.

    Also nach meiner Erfahrung ist im Moment eine ganz große Belastung der Kulturwandel an den Schulen und sicherlich auch nicht-realistische Erwartungen von Lehrerinnen und Lehrern, was Beziehungsqualität zu Schülern angeht. Also wo sozusagen über die Beziehung zu Schülern grundlegende Bedürfnisse an Beziehung gestellt werden, die so nicht realisiert werden können.

    Erfahrungen einer Lehrerin. Viele Pädagogen wollen nicht nur geachtet, sie wollen geliebt werden. Aber auch für die nüchterneren unter ihnen sind die herben Beschimpfungen durch manche Schüler eine erhebliche Belastung. Was also ließe sich tun?

    Also, ich denke, es ist schon wichtig, an sich selbst zu arbeiten, das ist schon mal ganz klar, aber dem sind letztlich Grenzen gesetzt, wenn es institutionell nicht glatt läuft. Und ich denke, wir brauchen auch da sehr starke Bewegung hin zu mehr Selbständigkeit auch innerhalb des Kollegiums, auch innerhalb des Teams in Entscheidungsbefugnissen, eine stärkere Wertschätzung der einzelnen Kollegen und letztendlich auch in Richtung verstärkte Supervision in Kollegien.

    Erfahrungen aus dem Alltag. Die Probleme sind von dem Einzelnen nicht mehr zu bewältigen, das zeigte der ernste Charakter der Veranstaltung. Was es braucht, ist ein stärkerer gegenseitiger Austausch unter den Lehrern –allerdings nicht nur in der Fünf-Minuten-Pause, sondern in eigens zu schaffenden Einrichtungen.

    Ich möchte das nur unterstützen, also ich bin auch Supervisorin und habe in den letzten anderthalb Jahren die Erfahrung gemacht, dass der Bedarf an Supervision und Reflektionsmöglichkeiten langsam erkannt wird, und auch, dass Schule durchaus Freiräume bietet, um sich zu entlasten. Dass es allerdings gewisser Phantasie und Kreativität bedarf, um diese Freiräume tatsächlich auch zu nutzen Und ich denke, daran sollten wir arbeiten.

    Zeiträume eigens zur Reflektion zu finden, das ist für Bernhard Sieland, Erziehungswissenschaftler an der Universität Lüneburg und Leiter der Tagung, eines der dringlichsten Anliegen eines künftigen Anti-Stress-Programms.

    Wenn Sie Joggen gehen oder Ähnliches machen, mehr Bewegung, dann mag das dem Körper gut tun. Wenn aber Ihre Probleme im Umgang mit aggressiven Kindern liegen, brauchen Sie Handlungsmodelle für den Umgang mit aggressiven Kindern, dann brauchen Sie kollegiale Supervision. Dann ist Jogging zwar gut für Ihren Körper, um Erregung in Bewegung umsetzen zu können. Aber Sie haben noch keinen Plan, was Sie morgen mit dem aggressiven Schülern machen.

    Und angehende Lehrer? Wie sollten sie sich vorbereiten? Oftmals, so Renate Boese, wüssten sie gar nicht, was auf sie zukommt.

    Also da sehe ich, dass die Ausbildung wesentlich praxisbezogener sein muss. Also wesentlich realistischer auf das zugehen, was in den Schulen dann auf die Lehramtsanwärterinnen und -wärter zukommt, damit sie dann eben nicht den so genannten Praxisschock erleiden, der immer noch existiert.

    Vor allem aber sollten sich angehende Lehrer fragen, ob sie für den künftigen Beruf tatsächlich geeignet sind. Viele, so Professor Sieland, sind es nämlich nicht. Im Gegenteil: Er hat beobachtet, ...

    …, dass eine bestimmte Studentengruppe wenig Sozialkompetenz hat. Die erfüllen das Kriterium der Soziophobie – das heißt der Angst, auf Menschen zuzugehen. Was sie nicht daran hindert, Lehrer werden zu wollen. Und nachdem wir ihnen eine Diagnose gegeben hatten und gesagt hatten, wie bieten ihnen einen Kurs an, war der Kurs überfüllt. Aber er war überfüllt mit denen, die gerne Kommunikation machen und sich verbessern wollten.

    Sieland empfiehlt insbesondere den Empfindsamen unter den Lehrern, sich mehr als Schauspieler zu verstehen, ihren Job als Rollenspiel zu inszenieren. Gewiss, darüber mag der wichtige Authentizitätsfaktor verloren gehen, gewonnen werde dafür an Distanz - in anderen Worten: an Gesundheit. Und wer weiß: Der Lehrer als "actor"– vielleicht hat er in unseren kinoversessenen Zeiten damit auch bei den Schülern unerwarteten Erfolg.