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Sind von hundert Gürtelschnallen wirklich neunzig zuviel?
Museum heute, das ist nicht mehr der Ort der stillgestellten Zeit, der ewig wiederkehrenden Momente, der stets am selben Platz befindlichen Objekte. Museum heute, das ist Dynamik, Wechsel, Experimentierfreude. Dabei ist nicht immer leicht zu unterscheiden, was dabei Selbstverständnis der Institution und was Zumutung der Politik ist. Denn die öffentliche Hand hat derzeit wenig zu verteilen und drängt die Museen deshalb zur ökonomischen Eigenverantwortung. Vorschläge zur finanziellen Selbsthilfe wie der von Hilmar Hoffmann können deshalb kaum noch wundern. Sie klingen plausibel und stehen im übrigen periodisch auf der Tagesordnung. Sie stoßen die Museen mit der Nase auf den eigenen Goldschatz im Keller und im Depot. Man erinnert sich, dass solche Vorstöße auch schon von Museumsleuten kamen, die irgendwelche Ungereimtheiten in ihren Sammlungsbeständen auszugleichen dachten. Warum nicht die zwei unlogischen Picassos auf den Markt werfen, um dafür Pollocks zu kaufen? Die Empörung über solche Vorhaben war stets maßlos, weil so etwas nun wirklich am hergebrachten Bild vom Museum als kollektivem Gedächtnis und öffentlich subventionierter Schatzkammer kratzt. Doch auch das kollektive Gedächtnis verdient nur dann seinen Namen, wenn es präzise strukturiert ist. Und warum sollte man die Kunst nicht als Aktie betrachten dürfen, wenn dadurch der öffentlichen Hand kein Schaden, sondern sogar Nutzen entsteht? Selbstverständlich sind hier die Museumstypen genau zu unterscheiden: beim Kunstmuseum geht es um andere Dimensionen als beim Völkerkundemuseum. Aber ist der Horizont der Gegenwart vertrauenswürdig genug, um Wert und Unwert gesammelter Vergangenheit zu beurteilen? Können wir wirklich abschätzen, was uns in Zukunft einmal unverzichtbar erscheinen oder die Museumsarbeit bestimmen wird? Denn als Archiv ist die Institution Museum tatsächlich eine Zeitmaschine, die in sich selbst explosive Möglichkeiten verschiedener Entwürfe trägt. Und so rational der Vorschlag von Hilmar Hoffmann auch wirkt – er überschreitet doch eine entscheidende Schwelle: die Politik nimmt Zugriff auf die inhaltliche Selbstbestimmung des Museums. Selbst wenn erklärt wird, dass die Museen entprechende Entscheidungen in alleiniger Verantwortung fällen sollen, ist doch der begehrliche Blick aufs Tafelsilber gefallen. Das Museum erscheint als vollgestopfter Popanz, der sich dringend Erleichterung verschaffen soll. Irgendetwas wird schon überflüssig sein. Irgendwo sind doch wohl Gelder fehlgeleitet worden. In Hilmar Hoffmanns Vorschlag steckt Misstrauen gegenüber einer Luxusvorstellung, die nicht mehr in unsere Zeit passt. Und er animiert zu einer Politik des Argwohns. Das wird der Propagandist des Mottos "Kunst für alle" nicht beabsichtigt haben, aber das wird mit Sicherheit die Folge sein.
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