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Sinfonien von Ferdinand Ries

Nach wie vor gibt es zum Glück einige rührige Plattenfirmen, die in der augenblicklich schwierigen Lage am Markt nicht durch Plünderung ihrer eigenen oder hinzu gekaufter Archive, nicht durch Herausgabe des Gängigen und damit oft auch des Immergleichen zu überleben versuchen, sondern ihr Heil darin sehen, Bibliotheken und Manuskriptsammlungen nach wertvoller Musik vergangener Zeiten zu durchforsten und so das Repertoire ständig zu erweitern. Einer der Aktivsten dieser Richtung ist Burkhard Schmilgun und sein Label cpo in Georgsmarienhütte. Was hier in geschickter Kooperation zwischen Label und Musikern, aber auch mit Veranstaltern und Rundfunkanstalten in musikalisch wie editorisch guter Qualität in den letzten Jahren herausgebracht wurde, ist ausgesprochen bemerkenswert. Jüngstes Beispiel: die Veröffentlichung der Sinfonien von Ferdinand Ries, jenes Zeitgenossen von Beethoven, der in einem unruhigen, von Kriegen und Revolutionen durcheinander gewirbelten Leben Sinfonien und Kammermusik in ganz außergewöhnlicher Qualität und Quantität schuf.

Von Ludwig Rink |
  • Musikbeispiel: Ferdinand Ries - Aus: Sinfonie Nr. 7, 1. Satz

    Sinfonische Musik von Ferdinand Ries - als er 1838 stirbt, hat ihn die musikalische Entwicklung schon überrollt, ist er schon so in Vergessenheit geraten, dass es nicht mehr für einen ordentlichen Nachruf langt. Erst ein Jahr später erscheint dann in der von Robert Schumann gegründeten ‚Neuen Zeitschrift für Musik' eine Würdigung, in der die Musik von Ferdinand Ries sehr bildhaft, aber zutreffend so eingeordnet wird:
    "Seine Symphonien, obwohl sie weder Haydns ewig jugendlichen, göttliche Heiterkeit sprudelnden Schöpfungen, noch Mozarts ätherischen, mit dem Schmerz und der ewigen Sehnsucht getränkten Gebilden an die Seite zu stellen, und ob sie auch mit der himmelstürmenden Kühnheit, dem gigantischen Gedankenfluge Beethovens, dieses musikalischen Titans, keinen Vergleich ertragen können, werden trotzdem immer zu dem Besten gehören, was die neuere und neuste Zeit in diesem Genre zu Tage gefördert hat."

  • Musikbeispiel: Ferdinand Ries - Aus: Sinfonie Nr. 7, 4. Satz

    Bereits der Großvater von Ferdinand Ries war Mitglied der kurkölnischen Hofkapelle in Bonn, und sein Vater, Wunderkind auf der Geige, erhielt schon mit elf eine Anstellung bei diesem Orchester. Und auch Ferdinand hätte hier vermutlich sein Leben verbracht, wäre die Bonner Hofkapelle nicht 1794 im Gefolge der Revolutionskriege aufgelöst worden. Mit dem wohl berühmtesten Musiker Bonns hatte die Familie Ries Kontakt: Vater Ries unterrichtete den jungen Beethoven und stand ihm besonders in der Zeit nach dem Tode von dessen Mutter 1787 unterstützend zur Seite. Knapp 15 Jahre später war es dann andersherum: Beethoven kümmerte sich in Wien um den Ries-Sohn Ferdinand, gab ihm Klavierunterricht und beschäftigte ihn als eine Art Privatsekretär. Im August 1804, Ries war noch keine 20, überließ Beethoven ihm den Solopart in seinem 3. Klavierkonzert. Doch ein Jahr später ist es vorbei mit der Kunst und mit Wien: Als Bürger des französisch besetzten Bonn soll Ries zum Militär, umgehend soll er sich im Hauptquartier der französischen Armee in Koblenz einfinden.

  • Musikbeispiel: Ferdinand Ries - Aus: Sinfonie Nr. 8, 1. Satz

    Doch es wird nichts aus der Militärkarriere bei den Franzosen: Ries wird im Koblenzer Hauptquartier für untauglich befunden. Nach einem Zwischenaufenthalt in Bonn und einem deprimierend erfolglosen Aufenthalt in Paris - Ries erwägt sogar, den Musikerberuf an den Nagel zu hängen - kehrt er 1808 nach Wien zurück. Das gute Verhältnis zu Beethoven lässt sich nicht wieder herstellen, und kaum ein Jahr später soll Ries wieder zum Militär, diesmal zum österreichischen, aber der Sieg Napoleons bewahrt ihn davor. Wieder zieht Ries sich nach Bonn zurück, bricht dann aber zu langen Konzertreisen nach Russland auf. Auch hier kommt ihm wieder das Militär in Form von Napoleons Russlandarmee in die Quere. Er weicht nach Norden aus, wird in Stockholm in die königliche Akademie für Musik aufgenommen. Seine fruchtbarsten und was die Anerkennung als Komponist angeht wohl auch erfolgreichsten Jahre verbringt er jedoch in London: Hier wird er Mitglied, später sogar Direktor der Philharmonic Society, komponiert sechs seiner insgesamt acht Sinfonien und gründet eine Familie.

  • Musikbeispiel: Ferdinand Ries - Aus: Sinfonie Nr. 8, 2. Satz

    Die Sinfonien von Ferdinand Ries überzeugen durch markante, vielfältige Themen, spielerischen, fruchtbaren Umgang mit den überlieferten Formmodellen, Überraschungen in der Harmonik, kompositorisches Geschick in den Durchführungsteilen. Das Abspalten von Themenpartikeln zur Gestaltung von Übergängen, von Beethoven zu höchster Meisterschaft fortentwickelt, ist auch bei Ries ein häufig anzutreffendes Stilmittel. Dabei macht sich gerade in seinen späteren Sinfonien bereits ein schon eher romantisch zu nennender Ton bemerkbar - die hier vorliegende 7. Sinfonie entstand 1835, also sieben Jahre nach Schuberts Tod und zwei Jahre nach Mendelssohns "Italienischer" Sinfonie. Mit dieser vierten CD schließt cpo die Veröffentlichung aller 8 Sinfonien von Ferdinand Ries ab; zu hören sind die 7. Sinfonie und eine Es-Dur-Sinfonie, die zwar schon 1822 entstand, aber heute als 8. und letzte Sinfonie gezählt wird.

  • Musikbeispiel: Ferdinand Ries - Aus: Sinfonie Nr. 8, 4. Satz (Anfang)

    Zu danken ist diese Gesamtaufnahme der Sinfonien von Ferdinand Ries dem Zürcher Kammerorchester unter der Leitung seines aus England stammenden Chefdirigenten Howard Griffiths. Die Schweizer Musiker gehen auch hier wieder mit Begeisterung zur Sache, überzeugen mit lebendigem, hellwachen Spiel, finden für die spielerischen, manchmal fast derben Scherzi ebenso wie für die nachdenklichen oder lyrischen Passagen den richtigen Ton. Alle Themen erscheinen mit großer Klarheit, jeder Abschnitt ist im Kleinen wie im größeren Zusammenhang sorgfältig gestaltet, alles bekommt Bedeutung, nichts ist Nebensache, die einfach nur so runtergespielt würde. Man spielt auf modernen Instrumenten, aber in sorgfältig abgestufter Klangbalance und man merkt, dass dieses Orchester auch von den Erkenntnissen der historischen Aufführungspraxis profitiert - immerhin standen hier auch schon einmal Musiker aus dieser Szene wie Reinhard Goebel oder Fabio Bondi am Pult.

  • Musikbeispiel: Ferdinand Ries - Aus: Sinfonie Nr. 7, 3. Satz

    Die Neue Platte - heute mit dem letzten Teil der Gesamtaufnahme der Sinfonien von Ferdinand Ries, die die Firma cpo mit dem Zürcher Kammerorchester unter der Leitung von Howard Griffiths realisiert hat.

    Informationen zur CD

    Titel: Ferdinand Ries: Sinfonien Nr. 7 + 8
    Orchester: Zürcher Kammerorchester
    Leitung: Howard Griffiths
    Label: cpo
    Labelcode: LC 8492
    Bestellnr.: 999 904-2