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Sinfonische Musik
Impulsive Klangeruptionen

Florent Schmitt gilt als einer der wichtigsten französischen Komponisten der Moderne. In den 1990er-Jahren wurde seine Sympathie für Nazi-Deutschland bekannt. Seiner Musik sollte man jedoch vorurteilslos begegnen, findet Jochen Hubmacher, der auf das Werk des Musikers zurückschaut.

Von Jochen Hubmacher | 09.02.2014
    Der französische Komponist Florent Schmitt
    Der französische Komponist Florent Schmitt (AFP)
    Voller Bewunderung nannte Igor Strawinski den französischen Komponisten Florent Schmitt in einem Atemzug mit Claude Debussy und Maurice Ravel. Und die kollegiale Wertschätzung beruhte auf Gegenseitigkeit. Das zeigte sich äußerst wortgewaltig am 29. Mai 1913 im Pariser Théâtre des Champs-Élysées während der Uraufführung von Strawinskis "Sacre du Printemps". Als die Unmutsbekundungen aus den teuren Logen immer lauter wurden, schrie Florent Schmitt den Damen der besseren Gesellschaft derb entgegen: "Haltet euer Maul, Ihr Huren des 16. Arrondissements".
    Eine Anekdote, die einiges über die Persönlichkeit Florent Schmitts verrät, aber bei Weitem noch nicht alles. Dazu später mehr.
    Schmitts Impulsivität blitzt auch in seinen Kompositionen auf. So etwa in der Musik zum Ballett "Le Petit Elfe Ferme-l'œil", die jetzt in einer exzellenten Neueinspielung mit dem Orchestre National de Lorraine beim französischen Label Timpani erschienen ist.
    Musik:"La fête nationale des souris"
    Aus:Le Petit Elfe Ferme-l'œil, op. 73
    "La fête nationale des souris" - Die Mäuse zelebrierten hier gerade Ihren Nationalfeiertag. Auch wenn der üppige Orchestersatz es kaum vermuten lässt: Was wir gerade gehört haben, war ursprünglich ein Klavierstück. 1912 geschrieben von Florent Schmitt, zusammen mit sechs weiteren Stücken, die sich inhaltlich auf Episoden aus Hans Christian Andersens Märchen Ole Lukøje beziehen. Ole Lukøje ist die dänische Version des Sandmännchens.
    Gut zehn Jahre später erstellte Florent Schmitt die eben erklungene Orchesterfassung und ergänzte sie um ein Vor- und mehrere Zwischenspiele. Fertig war das Ballett "Le Petit Elfe Ferme-l'œil", das 1924 in der Pariser Opéra Comique uraufgeführt wurde.
    Hjalmar, der Junge im Mittelpunkt der Handlung, macht im Traum nicht nur Bekanntschaft mit tanzenden Mäusen, sondern auch mit einem furchteinflößenden schwarzen Reiter und einem Gendarm, der auf akkurate Schönschrift besteht. Ruhepunkt vor dem großen Finale beim Kaiser von China ist ein Spaziergang durch ein idyllisches Gemälde. Hjalmar überquert darin den Fluss und wandert über grüne Wiesen zu einem Haus. Dort trifft er auf seine alte Kinderfrau. In einem wehmütigen Lied besingt sie die schöne Zeit mit dem kleinen Hjalmar und bedauert, wie schnell diese Zeit vorüberging.
    Musik: "La promenade à travers le tableau"
    Aus: Le Petit Elfe Ferme-l'œil, op. 73
    Auch wenn wir gerade eine relativ ruhige Passage mit der famosen Mezzosopranistin Aline Martin gehört haben. Eines ist gewiss bei der Musik von Florent Schmitt: Die nächste Klangeruption kommt bestimmt. Weniger wäre da manchmal allerdings auch mehr gewesen. Schmitt, der 1870 im lothringischen Blâmont geboren wurde, bekam daher auch nicht ganz zu Unrecht den Spitznamen verpasst: "Der wilde Eber aus den Vogesen".
    Eric Saties Warnung an junge Komponistenkollegen, dass sie sich "lieber umbringen sollten, als so schlecht zu instrumentieren wie Florent Schmitt", scheint dann allerdings reichlich übertrieben. Satie verkennt dabei auch einen entscheidenden Aspekt. Schmitt reizt die Möglichkeiten des Orchesterapparats in zum Teil visionärer Art und Weise aus. Nicht zuletzt inspiriert durch die Pariser Aufführung der Oper "Salome" von Richard Strauss. Mit hörbarer Lust am Einsatz von Schlaginstrumenten wie Xylofon und Glockenspiel etwa, schlägt Schmitt kompositorische Wege ein, die später ein Olivier Messiaen konsequent weiterbeschreiten wird.
    Musik: "La parapluie chinois"
    Aus:Le Petit Elfe Ferme-l'œil, op. 73
    Im Städtchen Saint-Cloud, einen Katzensprung von Paris entfernt, war man mächtig stolz auf den Mitbürger Florent Schmitt. Immerhin zählte der zu den wichtigsten Komponistenpersönlichkeiten im französischen Musikleben des späten 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Als Schmitt 1958 starb, dauerte es daher auch nicht lange, bis eine Allee und das Gymnasium von Saint-Cloud nach ihm benannt wurden. Doch Mitte der 1990er Jahre bekam das "musikalische Denkmal" Florent Schmitt hässliche Kratzer. Was war passiert? Ein Geschichtslehrer der Schule, die Schmitts Namen trug, förderte einen Zeitungsartikel aus dem Jahr 1933 zutage. Dieser berichtet von einem Konzert des Pariser Symphonieorchesters und von einem Zwischenrufer, der sich während eines Stücks von Kurt Weill lautstark zu Wort gemeldet hatte.
    Mit Phrasen wie: "Es lebe Hitler" oder "Es gebe genug schlechte französische Komponisten, man müsse nicht auch noch all die deutschen Juden aufnehmen".
    Der Zwischenrufer hieß Florent Schmitt. Als wenig später herauskam, dass Schmitt während des Vichy-Regimes die Ehrenpräsidentschaft eines Orchesters namens "Collaboration" angenommen hatte, war aus der Lichtgestalt der französischen Musikkultur ein Nazi-Kollaborateur mit antisemitischen Anwandlungen geworden. Das Gymnasium von Saint-Cloud ist inzwischen politisch unverfänglich nach dem Schriftsteller Alexandre Dumas benannt. Die "Allée Florent Schmitt" gibt es nach wie vor.
    Musik aus: Introït, récit et congé, op.113
    Wie geht man nun zukünftig um mit Florent Schmitt und seiner Musik? Etwa mit dem 1949 entstandenen "Introït, récit et congé" - einem dreiteiligen hochvirtuosen Werk für Violoncello und Orchester. Schmitt verbindet darin auf originelle Art und Weise die groteske Klangwelt eines Dmitri Schostakowitsch mit der Nonchalance seiner französischen Heimat.
    Die Auseinandersetzung mit Richard Wagner, mit dem sich Florent Schmitt ideologisch betrachtet zumindest teilweise in unguter Gesellschaft befindet, zeigt hier Wege auf. Schmitts Musik sollte man vorurteilslos begegnen, das hat sie verdient. Sie ist qualitativ einfach zu gut, um ignoriert zu werden. Die kritischen Punkte in Biografie und Geisteshaltung Schmitts sollten aber stets klar benannt werden. Hier versagt leider das Booklet der jetzt beim französischen Label Timpani erschienenen CD.
    Interpretatorisch wie klanglich lässt die Aufnahme mit dem Orchestre national de Lorraine dagegen kaum etwas zu wünschen übrig. In der traumhaften Akustik des "Arsenals" im lothringischen Metz, eines zum Konzerthaus umgebauten ehemaligen Munitionsdepots, bringt Dirigent Jacques Mercier die vielen Klangfarben in Florent Schmitts Musik eindrucksvoll zum Leuchten. Und Cellist Henri Demarquette meistert seine höllisch schwere Solopartie schlicht grandios.
    Musik aus: Introït, récit et congé, op.113
    "Introït, récit et congé" und "Le Petit Elfe Ferme-l'œil" - Musik des Komponisten Florent Schmitt habe ich Ihnen heute in der neuen Platte vorgestellt. Die Aufnahme mit dem Orchestre national de Lorraine unter Jacques Mercier ist beim französischen Label Timpani erschienen.
    Florent Schmitt: Le Petit Elfe Ferme-l'œil, Ballet op. 73 / Introït, récit et congé für Violoncello und Orchester, op.113 Henri Demarquette, Violoncello / Aline Martin, Mezzosopran / Orchestre national de Lorraine, Leitung: Jacques Mercier Label: Timpani, Bestell-Nr.: 3377891312121, LC: 10902