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Sinfonische Musik
Werke von Dmitri Kabalewski

Stilistisch bleibt Dimitri Kabalewski ganz dem Erbe der Romantik verpflichtet. Der russische Komponist lag damit zu seiner Zeit ganz auf der Sowjet-Parteilinie. Die NDR Radiophilharmonie hat Stücke von ihm eingespielt.

Von Jochen Hubmacher | 05.01.2014
    Am Mikrofon begrüßt Sie Jochen Hubmacher. Sie hätte vorbei sein können, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat, die Komponistenkarriere von Dmitri Kabalewski. 1910, da ist er gerade fünf Jahre alt, kritzelte der kleine Dmitri die ersten Noten aufs Papier. Als er einer Tante das Ergebnis seiner kindlichen Bemühungen präsentiert, fällt diese das vernichtende Urteil "nicht spielbar". Daraufhin fasst der maßlos enttäuschte Jungkomponist den Entschluss, nie wieder etwas schreiben zu wollen. Zum Glück revidierte Kabalewski diese Entscheidung später, sonst hätte die Musikwelt das hier nie zu hören bekommen.
    Ouvertüre aus "Colas Breugnon"-Suite, op. 24, K: Dmitri Kabalewski
    Die Ouvertüre zur Oper "Colas Breugnon" von Dmitri Kabalewski war das, in einer kürzlich beim Label CPO erschienenen Aufnahme mit der hervorragenden NDR Radiophilharmonie aus Hannover und Adrian Prabawa am Dirigentenpult. Das farbenreich orchestrierte und hoch virtuose Stück hat es einst auch dem französischen Literaturnobelpreisträger Romain Rolland angetan. Rollands Roman um den Zimmermannsmeister Colas Breugnon hatte als literarische Vorlage gedient, für die 1938 im damaligen Leningrad, dem heutigen St. Petersburg, uraufgeführte Oper. Während Rolland mit dem Libretto nicht besonders glücklich war, urteilte er euphorisch über Kabalewskis Komposition:
    "Voller Leben, Heiterkeit und Bewegung. Ihre Oper ist eine der besten unter den jüngsten russischen Werken fürs Musiktheater!"
    Die NDR Radiophilharmonie hat auf ihrer neuen CD die viersätzige "Colas Breugnon"- Suite eingespielt. Kabalewski kombinierte darin die Ouvertüre und drei Orchesterzwischenspiele seiner Oper. Stilistisch bleibt Kabalewski dabei ganz dem Erbe der Romantik verpflichtet. Er packt das Publikum mit mitreißenden Melodien, hat ein gutes Händchen für Orchestereffekte und bewegt sich überwiegend im sicheren Hafen der Dur-Moll-Tonalität. Sicher deshalb, weil man sich mit einer allzu avantgardistischen Klangsprache in der Sowjetunion der Stalin-Ära sehr schnell mächtige Feinde machen konnte, so wie es etwa Kabalewskis Zeitgenossen Schostakowitsch und Prokofjew erging.
    "Kabalewski hatte die Fähigkeit, als kreativer Künstler unter Bedingungen zu arbeiten, die vielen anderen große Probleme bereitet haben."
    Schreibt der Autor des Artikels im Grove-Musiklexikon. Eine für Kabalewski durchaus schmeichelhafte Auslegung seiner Rolle als einer der Protagonisten des sowjetischen Musiklebens. Andere sehen in Kabalewski nichts weiter als einen musikalischen Reaktionär und überzeugten Erfüllungsgehilfen einer repressiven Kulturpolitik. Die Wahrheit liegt vermutlich dazwischen.
    Fest steht jedenfalls, dass Dmitri Kabalewski mit seinem 1949 uraufgeführten ersten Cello-Konzert ganz auf der von der kommunistischen Partei ausgegebenen Linie lag. Und die lautete: keine musikalischen Experimente mit sogenannten westlich dekadenten Tendenzen wie der Atonalität oder der Zwölf-Ton-Technik. Das postulierte Ideal war eine vorgeblich demokratische Tonsprache, die auch Laien leicht zugänglich sein sollte. Ob Kabalewski erst durch die Partei, der er seit 1940 angehörte, auf diese Linie getrimmt wurde, oder ob sich seine eigene ästhetische Grundausrichtung nicht sowieso schon vorher damit deckte, darüber streitet sich die Musikwissenschaft.
    Cello-Konzert Nr. 1 g-Moll, op. 49, K: Dmitri Kabalewski, 1. Satz: Allegro
    In den beiden Cello-Konzerten von Dmitri Kabalewski, die jetzt als Neueinspielung der NDR Radiophilharmonie beim Label CPO auf CD erschienen sind, präsentiert sich der Schwede Torleif Thedéen als großartiger Solist. Mit technischer Perfektion und unbändiger Spielfreude meistert er die reichlich vorhandenen virtuosen Passagen. Dazu kommt bei Thedéen eine unglaubliche musikalische Intensität, die einem quasi aus dem Lautsprecher entgegen springt. Vor allem im langsamen Einleitungssatz des im Vergleich zum optimistisch-verspielten ersten, weitaus schrofferen zweiten Cellokonzerts.
    Cello-Konzert Nr. 2 c-Moll, op. 77, K: Dmitri Kabalewski, 1. Satz: Allegro / 2. Satz: Presto marcato
    Wenige Jahre vor seinem Tod 1987 zog Dmitri Kabalewski eine selbstkritische Bilanz.
    "So lange gelebt und so wenig gemacht – dieser Gedanke kann einen verrückt machen. So wenig, so wenig. Und vieles ist so unvollkommen, so schlecht."
    Ein Fazit, das sich nur schwer nachvollziehen lässt, wenn man die Musik hört, die ich Ihnen heute in der neuen Platte vorgestellt habe: Kabalewskis Cello-Konzerte mit Torleif Thedéen als Solist und der NDR Radiophilharmonie unter der Leitung ihres langjährigen Chefdirigenten Eiji Oue, sowie die "Colas Breugnon"-Suite mit Adrian Prabava am Dirigentenpult. Erschienen sind die Aufnahmen als CD mit erfreulich informativem Booklet beim Label CPO. Am Mikrofon bedankt sich für Ihr Interesse: Jochen Hubmacher.
    Fêtes Populaire aus "Colas Breugnon"-Suite, op. 24, K: Dmitri Kabalewski