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Singapur
Eine Stadt - alle Religionen

Hier verbrennen sie Papiergeld für die Geister, dort singen Mönche, an der nächsten Ecke laufen hinduistische Gläubige ihre Runden um ihren Tempel. Bei einem Spaziergang durch Singapur stolpert man von Pagode zu Tempel, von Moschee zu Kirche. In keiner Stadt der Welt sind mehr Glaubensrichtungen vertreten als in Singapur. Wie funktioniert das?

Von Lena Bodewein | 07.10.2016
    Der Buddha Tooth Relic Temple in Chinatown, Singapur. Er kann von jedem besichtigt werden kann
    Goldene Buddhastatue im Buddha Tooth Relic Temple in Chinatown, Singapur. (Deutschlandradio / Lena Bodewein)
    Ein riesiger goldener Buddha auf einem Thron vor einer reich verzierten Wand mit Edelsteinen, brillante rot lackierte Geländer und Galerien, Kriegerstatuen, goldene Blütenreliefs und im Mittelraum die Mönche in gelb-roten Gewändern. Bunte Fahnenreihen schmücken die Wände, zu besonderen Anlässen ehren Löwentänzer unter den Stofffiguren mit tellergroßen Augen den Tempel – das Gebäude neben dem Chinatown-Komplex, neben Baustelle und Sozialbauten enthält eine Reliquie: einen Zahn von Buddha. Die Besucher aus aller Welt schweigen ehrfürchtig – solange sie sich anständig kleiden, notfalls auch mit einem Leihschal am Eingang – darf jeder den Tempel besuchen.
    Der Buddha Tooth Relic Temple and Museum in Chinatown, Singapur.
    Buddhistische Mönche im Innenbereich des Buddha Tooth Relic Temple and Museum in Chinatown, Singapur. (Deutschlandradio / Lena Bodewein)
    "Ein US-Forschungsinstitut wollte herausfinden, welche religiöse Vielfalt sich in welchem Land findet – Singapur ist auf Platz eins, wir haben die größte religiöse Vielfalt der Welt!"
    Sagt Mohammad Alami Musa, er leitet ein Forschungsprogramm zu interreligiösen Beziehungen in pluralen Gesellschaften. Gut ein Drittel aller Singapurer sind Buddhisten, doch wer nur wenige Schritte weiter geht, landet vor einer Moschee und einem der ältesten hinduistischen Tempel.
    Die Sultan-Moschee im Singapurer Stadtviertel Kampong Glam.
    Die Sultan-Moschee im Singapurer Stadtviertel Kampong Glam. (Deutschlandradio / Lena Bodewein)
    "Die Moschee, der Hindu-Tempel, der chinesische Tempel – sie existieren alle nebeneinander koexistieren. Diese Gotteshäuser wurden von ausländischen Kaufleuten und Händlern gebaut, die hier ihre Dankesgaben für eine sichere Überfahrt darboten, wenn sie in Singapur angelegt hatten."
    Multireligiöses Sammelbecken
    Das Geld also, der Handel, der seit Jahrhunderten viel befahrene Hafen hat die Religionen nach Singapur gebracht, fast alle Religionen der Welt sind hier zu finden, von armenischen Christen bis indischen Muslimen, mit all ihren Ausprägungen im Inneren wie im Äußeren. Temple Street, Pagoda Street, Mosque Street, alle liegen nebeneinander, der Hindu-Tempel ist direkt neben dem prachtvollen Eingang zur Fußgängerzone von Chinatown, sodass der riesige leuchtende Affe des aktuellen chinesischen Jahres direkt neben den vielarmigen Göttern, Elefanten und Löwen zu sehen ist.
    "Singapur hat all diese verschiedenen Einflüsse absorbiert und die Gotteshäuser reflektieren in ihrer Architektur und ihrem Design viele verschiedene Orte von Übersee."
    Die armenische Kirche zum Beispiel steht auf einem Rasenstück, zwischen Hecken verborgen und verbreitet eine Idee der Friedlichkeit in der trubeligen Stadt. Erbaut im britischen Neoklassizismus, kündet sie mit ihren weißen Säulen von der frühen kolonialen Herkunft – wiederum waren es Kaufleute, die ein Gotteshaus wünschten.
    Gefeiert wird in Singapur fast alles – im August stehen an vielen Ecken der Stadt riesige Tonnen, in denen eine Art religiöses Spielgeld haufenweise verbrannt wird – zum Fest des Hungry Ghost, des 'hungrigen Geistes'. Zum indischen Lichterfest Deepavali werden die Straßen bunt illuminiert, fünf Meter hohe glitzernde Pfauenstatuen bewachen den Eingang zu Little India, und zum chinesischen Neujahrsfest tanzen Löwen und Drachen unter roten runden Laternenketten.
    Zwischen Tempeln und Tanzstudios
    Besonders gut zu sehen ist diese Mixtur, dieses Nebeneinander von Glaubensrichtungen, das Durchdringen von Gestern und Heute in der Telok Ayer Street. Chinesische Shophouses stehen auf der einen Seite, direkt dahinter ragen die Wolkenkratzer der Banken glitzernd und dicht gedrängt empor, ein Tanzstudio für Pole dance und Lap dance grüßt auf die andere Straßenseite herüber, wo zwischen einer Moschee und einem Schrein der indischen Muslime ein Tempel steht – einer der ältesten und wichtigsten für die Hokkien Chinesen, der Thien Hock Keng-Tempel, die streng blickende Seefahrer-Göttin thront hier.
    Der Thian Hock Keng Tempel in Chinatown, Singapur.
    Der Thian Hock Keng Tempel in Chinatown, Singapur. (Deutschlandradio / Lena Bodewein)
    "Diese urbane Landschaft, in der wir uns jetzt befinden, sie ist so modern – und trotzdem sind in diesem Stadtzentrum so viele Orte des Glaubens und des Gebetes, hier sind Moscheen, Synagogen, Tempel und Kirchen – Religion ist das Herz unseres Lebens."
    Wir befinden uns im alten Stadtzentrum – wenn in Singapur überhaupt etwas als alt gelten kann, in einer Stadt, die gerade mal zwei Jahrhunderte auf dem Buckel hat. Zwischen Chinatown, dem Bankenviertel und dem alten Rotlichtviertel. Hier, auf dem Grün von Telok Ayer, ist einer der schönsten Plätze von Singapur, zwischen dem Schrein mit seiner südindischen Architektur und dHier verbrennen sie Papiergeld für die Geister, dort singen Mönche, an der nächsten Ecke laufen hinduistische Gläubige ihre Runden um ihren Tempel. Bei einem Spaziergang durch Singapur stolpert man von Pagode zu Tempel, von Moschee zu Kirche. In keiner Stadt der Welt sind mehr Glaubensrichtungen vertreten als in Singapur. Wie funktioniert das?em taoistischen Zentrum am chinesischen Tempel, ein kleiner Park, eher ein Durchgang, mit Palmen, Brunnen und Standbildern von früheren Straßenszenen der damaligen malaiischen Bevölkerung, mit Fischern und Wasserverkäufern. Ruhe und Frieden kommen über einen, auch wenn dort drüben die Geschäftshochhäuser und Shoppingcenter blinken - Handel und Religion im Miteinander.
    Früher lag diese Straße hier direkt an der Küste Singapurs, Telok heißt Bucht und Ayer heißt Wasser. Die Reisenden, Händler, Kaufleute, Glückssucher, die mit den Schiffen eintrafen, sahen die Gotteshäuser von weitem, die hier errichtet waren, sie kamen an Land, um auszuruhen, Wasser und Proviant aufzunehmen – und zu beten.
    "Diese Straße ist ikonisch für die soziale Landschaft Singapurs. Singapur ist der Punkt zwischen Ost und West, alle Durchreisenden haben ihre Kulturen und Religionen hier angesiedelt, und heute gehören 83 Prozent der Singapurer einem Bekenntnis an, die restlichen zumindest haben religiöse Empfindungen."
    "Koexistieren und integrieren"
    Singapur verhält sich den Religionen gegenüber neutral, es ist ein säkulares Land. Aber sie pflegen das Miteinander der Religionen: Alle sind vertreten in einem Rat, der versucht, interreligiöse Probleme friedlich beizulegen. Radikale Moslembestrebungen werden im Keim erstickt und islamistische Prediger verhaftet, erzählt Musa: "Koexistieren und integrieren!" So lautet das Mantra.
    Singapurs Wohlstand ist mit das Wichtigste für die Stadt, aber um den zu garantieren, braucht es soziale Einheit. "Die Vielfalt hat unser soziales Gefüge gefestigt und zu unserem wirtschaftlichen Erfolg beigetragen." Wie so oft in Singapur, lässt sich das Wichtigste wieder auf eines zurückführen: Da ist es ist wieder, das Geld.