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Singende Jäger

Viel Radau und wenig Zauber: Carl Maria von Webers romantische Oper "Der Freischütz" wurde jetzt verfilmt, und zwar von dem in Dresden geborenen und aufgewachsenen Regisseur Jens Neubert. Seine Filmoper soll eine neues Genre bilden, so wird die Handlung um eine paar Jahrhunderte verlegt.

Von Kirsten Liese | 25.12.2010
    Nicht der Wald, sondern die Napoleonischen Kriege sind für den Regisseur Jens Neubert der Schlüssel zur Psychologie seiner Figuren. Eigentlich siedelt Weber seinen "Freischütz" nach Ende des Dreißigjährigen Krieges in Böhmen an, doch Neubert hat den Opernklassiker in die Zeit seiner Entstehung nach Sachsen verlegt. Traumatisiert von seinen Impressionen auf den Trümmern des Schlachtfelds, ist sein Max schon zu Beginn der Oper halb wahnsinnig und hadert mit der Waffe.

    Auf diese Weise entgeht Neubert der Gefahr klischeereicher Genrebilder, entzaubert die Gespenstergeschichte zugleich aber auch.
    Welche Schrecken Max tief in den Knochen sitzen, hätte man gewiss auch verstanden, wenn es der Regisseur bei subtilen Andeutungen belassen hätte. Doch überfrachtet er schon die Ouvertüre mit actionreichen Szenen: Kanonen donnern, Heere marschieren auf, Soldaten stürzen sich ins Gemetzel, Köpfe rollen. Dazu hetzt Daniel Harding mit dem London Symphony Orchestra nahezu atemlos und im Fortissimo durch die Partitur. Wo der Horror so real wird, gar gefallene Soldaten in der Wolfsschlucht ein Massengrab finden, bleibt die Mystik unweigerlich auf der Strecke.

    Unbefriedigend ist auch die klangliche Qualität. Die Sängerstimmen, der Chor- und Orchesterpart wurden im Studio einzeln aufgenommen und danach mittels digitaler Schnitt-Technik mit Nebengeräuschen neu abgemischt. Die moderne Dolby Surround-Technik macht das möglich, und Jens Neubert zeigt sich davon ganz begeistert:

    "Wir haben den Ton für den Film benutzt. Es ist Material. Das ist eine neue Komposition in den akustischen Möglichkeiten des modernen Kinos. In diesem Fall ist es eine spezifische Klangmischung, die auf das Filmbild abgestimmt ist und wo mit jeder Arie ein neuer akustischer Raum entsteht. ... wenn die Agathe träumt, schläft, dann gibt es einen leisen Hall."

    Doch solche Effekte und Manipulationen wirken sich negativ aus: Die Musik ist nicht aus einem Guss, die Dynamik wirkt bei einer überwiegend sehr hohen Phonstärke recht grob, die Agathe-Arie "Leise, leise fromme Weise" hat unter der halligen Politur keine Chance, sich in den zartesten Pianotönen zu entfalten.

    Dass am Sound soviel herumgedoktert wurde, ist schade, denn die Sänger hätte Neubert kaum besser wählen können. Sie sind es, die diesen Film trotz aller Mängel hörenswert machen. Neben Stars wie Juliane Banse, Michael Volle, Michael König oder René Pape ist die vielleicht größte Entdeckung die bislang völlig unbekannte, erst 23-jährige Sopranistin Regula Mühlemann, die ganz unverhofft zu dem Ensemble dazu stieß. Eigentlich hatte sie für die kleine Partie einer Brautjungfer vorgesungen, aber dann entdeckte der Regisseur, dass größeres Potenzial in der jungen Schweizerin steckt, und besetzte sie als Ännchen. Sie besitzt Charme und eine helle, glockenreine Stimme, ist somit für diese Rolle geradezu prädestiniert. Ihr großes Vorbild war ...

    "… Edith Mathis, die diese Partie ja auch gesungen hat ... Meine Tante hat mir die Platte geschenkt, als ich noch nichts mit klassischer Musik am Hut hatte, und das hat mich damals schon so begeistert, und zum großen Teil meine Interessen geweckt damals für die Oper."

    Unklar bleibt, warum der Regisseur den Tenor Michael König als Max mit fettigem, strähnigen Haar und dreckigen Fingernägeln derart hässlich ins Bild rückt, und warum die Kamera stets noch besonders dicht an dessen Gesicht heranfährt. Man versteht nicht, warum die zart besaitete Agathe ihm ihre Liebe schenkt, was diese beiden Figuren, die auch in gemeinsamen Szenen keine Beziehung zueinander aufbauen, emotional überhaupt verbindet.

    Ein romantischer "Freischütz" wie angekündigt ist dies nicht, vielmehr ein gewaltsames Psychodrama.