Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Singer/Songwriter Gisbert zu Knyphausen
Zwischen Weltschmerz und Lebensfreude

Gisbert zu Knyphausens Lieder sind melancholische Miniaturen, voller Weltschmerz aber auch mit einer Prise Optimismus. Sieben Jahre nach seinem letzten Soloalbum ist er nun mit "Das Licht dieser Welt" zurück: mehr Pop und vielseitigere Arrangements - trotzdem unverkennbar Knyphausen.

Von Constanze Pilaski | 10.12.2017
    Gisbert zu Knyphausen sitzt im blauem Hemd auf einer Treppe vor einem Hauseingang.
    Gisbert zu Knyphausen wurde mit seinen melancholischen Liedern zum Kritikerliebling. (Dennis Williamson)
    Musik: "Dich zu lieben ist ganz einfach"
    "Ich habe mir mal eine richtig lange Auszeit gegönnt. Überhaupt von dem öffentlichen Gisbert-zu-Knyphausen-Dasein und in meinem Privatleben ein bisschen aufgeräumt. Meine Wohnung geputzt."
    Sieben Jahre ist es her, dass Singer/Songwriter Gisbert zu Knyphausen sein letztes Soloalbum veröffentlichte. Im Oktober ist er mit seinem dritten Studioalbum auf Promotour - und auch zu Gast im Deutschlandfunk. Mit Reisetasche und Dreitagebart erscheint er im Kölner Funkhaus. Noch eine Kippe und einen Kaffee, dann kann das Interview beginnen: Zuerst erinnert er sich an seine musikalischen Anfänge in der heimatlichen Garage. Damals waren seine musikalische Identität und Karriere noch weit weg - von einer Schaffenspause ganz zu schweigen
    "Die eine Garage haben wir uns zu einem Proberaum umfunktioniert. Und immer ordentlich Krach gemacht. Mit meiner alten Band damals als ich noch in der Schule war. Die hieß Turning Point. Wir hatten einen Sänger Phillip, der sehr inspiriert von Jim Morrison war und ich habe auf der Gitarre Songs geschrieben. Musik geschrieben und er hat sich dazu Texte ausgedacht und gesungen."
    Garage auf dem Weingut der Eltern
    Das sei eine komische Mischung gewesen, lacht Gisbert zu Knyphausen: mit Doors- und Kraut-Rock-Einflüssen. Aber auch Nirvana und versierte Songschreiber wie Tom Waits oder Nick Cave haben in damals schon musikalisch fasziniert. Die Garage gehörte zum Weingut der Eltern im hessischen Rheingau. Auch wenn er und Turning Point im Probenraum schon von der großen Bühne träumten, landete er dort erst über Umwege - und mit einer anderen Band. Irgendwas mit Musik wollte er studieren, das war nach dem Abitur klar. Er probierte ein Jahr Musikwissenschaft in Berlin, anschließend ging er ins niederländische Nijmwegen, um Musiktherapie zu studieren - aber das reichte ihm nicht.
    "Was ich super interessant fand, aber dann doch für mich gemerkt habe, dass ich kein Therapeut sein will, sondern Vollzeit Musik machen will. Das Ende des Studiums ging so nahtlos über in einfach nur Musik machen und in einer Kneipe arbeiten. Weil ich sonst nichts anderes mehr machen wollte. Da habe ich eigentlich auch erst angefangen - in dem Studium - meine ersten richtigen Songs zu schreiben, die dann Freunde von mir ganz gut fanden. Und mich genötigt haben, mal live zu spielen."
    Musik: "Sommertag"
    Lieder spiegeln alltägliche Momentaufnahmen wider
    Nachdem Gisbert zu Knyphausen das Studium auf Eis gelegt hatte, zog der gebürtige Hesse nach Hamburg, um sich ganz der Musik zu widmen. Mit 29 Jahren veröffentlichte der Sänger und Gitarrist schließlich sein Debüt, nannte es schlicht "Gisbert zu Knyphausen" - und wurde mit seinen melancholischen Liedern prompt zum Kritikerliebling.
    "Ich glaube, dass ich mit den beiden ersten Alben irgendeinen Nerv getroffen habe bei vielen, die sich genauso orientierungslos und verloren gefühlt haben."
    Musik: "Spieglein, Spieglein"
    Selbstzweifel, Versagensängste und Orientierungslosigkeit - darum kreist auch das zweite Album "Hurra! Hurra! So nicht" aus dem Jahr 2010. Seinem Erfolgsrezept, in alltäglichen Momentaufnahmen sein eigenes Seelenleben zu sezieren, bleibt er treu. Dabei bewahren ihn Selbstironie und ein doch nicht ganz verschwinden wollender Optimismus vor Kitsch. Jedes Wort soll sitzen:
    Musik: Ausschnitt aus "Verschwende deine Zeit"
    "Ich singe meine Lieder wohin das führt wir werden sehn/Sie sind meine Art mich vor dem Leben zu verneigen/Und ich verrenk mir mein Gehirn bloß um zu sagen was ich will/Das ist nicht viel aber auf jeden Fall besser als Schweigen"
    "Da feile ich sehr dran. Beziehungsweise ich zweifele immer sehr doll dran, an allem, was ich da aufschreibe. Deswegen dauert es sehr lange bis ich zufrieden gestellt bin. Und das auf die Welt loslassen kann."
    Ein herausragender Sänger ist er nicht. Doch ob er seine klare und simple Sprache leise intoniert, fast in Sprechgesang fällt oder ob er schreit - Knyphausens raue Stimme überzeugt durch Intensität.
    Musik: "Hey"
    "Ich würde schon sagen, das vieles aus traurigen Momenten entsteht bei mir. Dass oft so ein Gefühl von Traurigkeit, das Bedürfnis auslöst, was zu schreiben oder das Instrument in die Hand zu nehmen."
    "Fick dich ins Knie, Melancholie"
    Dann entstehen einfache, folkige Pop-Melodien. Häufig nur von der Gitarre begleitet. Aber wie gerade im Stück "Hey" gehört, neigt er auch zu eruptiven Ausbrüchen mit vollem Bandeinsatz. Sein widersprüchliches Verhältnis zu einer seiner größten Inspirationsquellen beschreibt er mit deutlicher Sprache: "Fick dich ins Knie, Melancholie" singt er trotzig in der Akkustik-Ballade "Melancholie".
    Musik: "Melancholie"
    Nach vier Jahren in Hamburg und zwei erfolgreichen Solo-Alben voller melancholischer Lieder zieht Gisbert zu Knyphausen nach Berlin. Und auch musikalisch verändert er sich, verlässt seinen Solopfad. Mit dem Hamburger Künstler und Sänger Nils Koppruch gründet er die Band Kid Kopphausen. 2012 veröffentlichen sie als gleichberechtigte Frontmänner das Album "I" - darauf sind keine einsamen Akustik-Balladen mehr, sondern vor allem ungeschliffene Gitarrenmusik, gepaart mit treibender Kraft in der Rhythmusgruppe. Eine Fusion, die funktioniert.
    Musik: "Hier bin ich"
    Die Spielfreude der beiden Musiker ist nicht zu überhören - und sie wird mit euphorischen Kritiken gewürdigt. Knyphausen und Koppruch geben erste Konzerte, arbeiten weiter an ihrer Musik und planen eine Tour. Doch dann stirbt Nils Koppruch plötzlich an einem Herzinfarkt.
    "Ja. Klar, das war ein Riesen-Schock, weil das so unerwartet kam. Und das hat mich so erstmal in so ein Loch befördert. Einerseits durch den persönlichen Verlust und andererseits weil das gerade mein Arbeit war, meine Band. Die mir viel Spaß gemacht hat und ich hab dann eine Weile gebraucht, um eigentlich wieder die Lust zu finden, ein eigenes Album zu machen."
    Musik: "Kommen und Gehen"
    Tod des Freundes und Kollegen
    Gisbert zu Knyphausen zieht sich zurück, er reist viel - nach Russland, Albanien, in den Iran und lebt einige Zeit in Südfrankreich. Schritt für Schritt wagt er sich wieder in die Öffentlichkeit: Zwei Jahre spielt er Bass in der Band seines Freundes und Kollegen Olli Schulz. Erst im Winter 2015 nach drei Jahren beginnt er wieder mit der Arbeit an einem eigenen Album. Nach der kreativen Pause, ein Neuanfang - auch auf Bandebene.
    "Ja, ich habe die Band komplett ausgetauscht. Weil ich so das Gefühl hatte, dass ich gerne mal wieder was Neues ausprobieren will. Und zu gucken, wie meine Songs klingen, wenn ich die mit anderen Musikern arrangiere und aufnehme. Ich hatte eine Weile drüber nachgedacht mit den Musikern aus der Kid-Kopphausen-Band bisschen weiterzuarbeiten. Wir hatten ja auch noch einige Konzerte ohne Nils gespielt, das war so eine Art Trauerarbeit für uns. Aber irgendwie fühlte sich das dann nach der Tour dann so an als wäre der Kreis geschlossen. Und das da was Neues passieren musste."
    Knyphausen sucht sich eine neue Band zusammen. Die vier neuen Kollegen sind alles hervorragende, erfahrene Musiker. Mit ihnen kommen Klavier, Bläser, Vibraphon und sogar Synthesizer zum Einsatz. Zudem wurden die neuen Songs - im Gegensatz zu den ersten Alben - nicht mehr live eingespielt. Gisbert zu Knyphausen verbringt diesmal deutlich mehr Zeit im Studio.
    "Und diesmal haben wir einfach am Computer die Sachen zusammengestückelt und viele Arrangements ausprobiert. Und wieder verworfen. Da kommt man ganz oft auf andere Ideen als wenn man einfach ... im Proberaum war es oft auch einfach die erste Idee, die mich zufrieden gestellt hat. Da hat mich Jean auf jeden Fall ein bisschen zu gedrängt, irgendwie mich nicht so schnell zu frieden zu geben, sondern weiter zu suchen."
    Jean ist sein neuer Produzent und bringt reichlich Poperfahrung mit: Jean-Michel Tourette komponierte einen Großteil der Musik der Band Wir sind Helden. Die hatten den deutschsprachigen Pop-Rock vor allem Mitte der 2000er-Jahre nachhaltig geprägt. Die lange Zeit im Studio zeigt sich gleich im Eröffnungsstück von "Das Licht dieser Welt": Mit atmosphärischem Einstieg und zurückhaltenden Klavierakkorden entwickelt sich das Lied "Niemand" mit pulsierenden Bass- und Synthie-Klängen kontrastreich zu einem Stück mit vollem Bandklang.
    Musik: "Niemand"
    Die Trauer um Koppbruch und seine lange Schaffenskrise hat Gisbert zu Knyphausen nicht in einem traurigen Abschiedssong verarbeitet. Trotzdem ist sein Freund auf "Das Licht dieser Welt" präsent: "Etwas Besseres als den Tod finden wir überall" ist ein Song, den Nils Koppbruch ursprünglich für das Kid-Kopphausen-Album geschrieben hatte. Damals wurde das Lied verworfen.
    "Was ich immer ein bisschen schade fand und auf dem Weg zu diesem Album jetzt habe ich diese alte Proberaumaufnahme ausgekramt und dachte: man das ist eigentlich echt ein schöner Song, da will ich noch was draus machen."
    Würdigung von Nils Koppbruch
    Nun hat ihn Knyphausen fertiggestellt und eine Rückblende eingefügt: Am Ende ist die alte Aufnahme des verstorbenen Musikers zu hören.
    Musik: "Etwas besseres als den Tod finden wir überall"
    "Ich fand das jetzt irgendwie schöner, als ein Lied drüber zuschreiben, wie ich mich gefühlt habe wie ich mich gefühlt habe in der Zeit oder so. Nach dem er starb oder. Also das hat sich irgendwie alles so falsch angefühlt beim Texten. Und dann dachte ich, das ist eigentlich der perfekte Weg, ein Song von ihm zu nehmen und ihn da auch noch mit auftauchen zulassen."
    Musikalisch ist das Lied "Etwas besseres als den Tod finden wir überall" trotzig und beschwingt zu gleich. Rhythmisch rastlos treibt es voran - unüberhörbar, dass es einst aus Koppbruchs Feder stammte und damit ist es:
    "So eine kleine Würdigung seiner schönen verschrobenen Texte und Songs."
    Musik: "Etwas Besseres als der Tod finden wir überall"
    Am Ende war gerade Nils Koppbruch zu hören. Auch das Lied "Stadt Land Flucht" weist einige Reminiszenzen auf.
    "Die Hauptperson in dem Song hat immer so eine Jukebox im Kopf laufen, so wie ich auch, die ihm zu allen möglichen Situationen des Lebens die passenden Textzeilen liefert. Und deswegen kommt da ein sehr bekanntes Zitat von der Band Blumenfeld drin vor: 'Jeder Raum ist ein geschlossener Sarg'..."
    Knyphausens melancholische Brüder im Geiste
    Außerdem Verse von der norddeutschen Pop-Rock-Formation Element of Crime sowie den Experimental-Legenden Einstürzende Neubauten - alles melancholische Brüder im Geiste.
    "Finde ich schön, dass diese Bands dort verewigt sind, weil die mich auf jeden Fall geprägt haben."
    Musik: "Stadt Land Flucht"
    "Stadt Land Flucht" - ein Song mit dynamischem Aufbau: nach zurückhaltend gezupften Gitarrenakkorden, wird es lauter und endet abrupt. Eine der wenigen trotzigen Momente auf dem Album "Das Licht dieser Welt" und auch in seiner Sprache, nimmt sich der 38-Jährige mehr zurück.
    "Ja, es kommen keine Schimpfwörter mehr vor. Und ich schreie auch nicht so viel rum. Wobei so viel habe ich das auch nicht gemacht. Aber es gibt wenig so Wutausbrüche auf dem Album. Ich bin auf jeden Fall ein bisschen milder geworden. Gutmütiger bin ich geworden mit der Welt."
    Musik: "Theran Smiles"
    "Also meine ersten Gehversuche als Songschreiber waren schon Englisch, aber das habe ich nie jemandem gezeigt. Werde ich auch nicht tun."
    In den beiden Titeln "Teheran Smiles" und "Cigarettes and Citylights" singt er nun erstmals auf Englisch.
    "Ich wollte mal schauen, wie das eigentlich klingt, wenn ich Englisch singe. Und habe ein paar Songs auf Englisch geschrieben und mit den beiden war ich so zufrieden, dass ich mich getraut habe, die auf das Album zu tun."
    Es klingt ungewohnt, wenn Knyphausen mit deutschem Akzent singt. Doch es funktioniert, auch weil die beiden Stücke durch ihre beschwingte Musik tragen. Mit "Cigarettes and Citylights" offenbart Knyphausen zu Bläser-Sound eine lässige Seite.
    Musik: "Cigarettes and Citylights"
    "Ich hatte irgendwie keine Lust noch ein Album zu machen, das hauptsächlich aus der Ich-Perspektive erzählt, sondern ich wollte ein bisschen mehr der Geschichtenerzähler sein. Natürlich handeln viele von den Songs, von den Texten trotzdem auf eine Art von mir, aber das ist, aber irgendwie hat sich das nicht mehr richtig angefühlt immer nur ich, ich, ich zu singen. Das war bei meinen ersten Platten hatte ich da irgendwie Lust drauf, dass es möglichst ausgekotzt ist aus dem direkten Inneren. Und diesmal wollte ich das irgendwie ein bisschen über Umwege erzielen."
    Knyphausen schlüpft in die Rolle des Beobachters
    Während der Musiker auf seinen Vorgängeralben meistens sein eigener Protagonist war, schlüpft er nun oft in die Rolle des Beobachters. So zeichnet er mit dem Lied "Sonnige Grüße aus Kao Lak, Thailand" das Bild eines alten Menschen, der über seiner Einsamkeit zu zerbrechen droht. In "Kommen und Gehen" singt Knyphausen episodenhaft von Geburt und Leben. Und im Stück "Unter dem hellblauen Himmel" hinterfragt er die Freiheit des Menschen - bis zum Tod.
    Musik: "Unter dem hellblauen Himmel"
    "Das jetzige Album klingt für mich einigermaßen ausgewogen. Es gibt natürlich tiefe Tiefen auch dort, weil ich es auch einfach gerne mag, so traurige Lieder zu schreiben."
    Seine melancholische Seite hat Gisbert zu Knyphausen nicht abgelegt, aber auf das "Das Licht dieser Welt" feiert er mit dem Titelsong auch das Leben. Zwar singt Knyphausen, dass wir alle "Kaum ist die Nabelschnur ab" schon auf dem Schlauch stehen. Doch macht das Lied mit seiner dahinfließenden Melodie und mit warmem Bläserklang Mut, sich in der chaotischen Welt nicht in Zweifel und Wut zu verlieren.
    Musik: "Das Licht dieser Welt"
    "Die Kunst ist eben das Ventil, um den Weltschmerz loszuwerden. Und das ist bei mir nicht anders."
    Die zwölf Lieder auf "Das Licht dieser Welt" spiegeln diesen Schmerz und die Tiefen der vergangenen Jahre wider - aber eben auch Lebensfreude. Damit bekommt Gisbert zu Knyphausens aktuelles Album einen überraschend versöhnlichen Grundton und unterschiedet sich gerade dadurch von den beiden Vorgängeralben. Auch musikalisch hat der 38-Jährige sich geöffnet: Vom Sänger mit der Gitarre wurde er mehr zum Frontmann einer Band. Vielschichtiger ist seine Musik geworden: Er lässt mehr vollen Bandklang und gelegentlich elektronische Akzente mit Claps, Beats und atmosphärischen Klängen zu. Auch wenn der tiefe Schwermut seiner früheren melancholischen Lieder vielen versöhnlichen Momenten auf dem Album gewichen ist, suhlt sich der Musiker nicht im Wohlklang, gibt keine Ratschläge oder singt Durchhalte-Hymnen. Trotzdem: Die einstige Zerrissenheit scheint gewichen.
    Musik: "Carla Bruno"
    "Auf jeden Fall ja, dazu war auch die Auszeit sehr gut. Also da habe ich mich darum gekümmert, dass ich ein bisschen festeren Boden unter den Füßen hab. Das war ein großer Vorteil. Dieser eigentlich traurigen Zeit."
    Ab Januar auf Tournee
    Ab Januar ist Gisbert zu Knyphausen mit seiner neuen Band und seinem hervorragendem Album "Das Licht dieser Welt" auf ausgedehnter Deutschlandtour. Zu sehen und zu hören gibt es ihn unter anderem in München, Köln, Hamburg, Dresden und Erlangen.
    Musik: "Keine Zeit zu verlieren"