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Singer/Songwriterin Aimee Mann
Sanftes mit Biss

Aimee Mann veröffentlicht ihre Alben in Eigenregie, sie kommt ohne Videos, Marketingkampagnen und Selbstinszenierungen aus. Ihr Markenzeichen: melancholisch-romantische Leisetreter mit lyrischem Tiefgang. Ihr neues Album "Mental Illness" enthält eine sanfte Kampfansage an die Trump-Administration.

Von Marcel Anders | 25.06.2017
    Aimee Mann auf einem Schwarz-Weiss-Foto in nachdenklicher Pose
    Aimee Mann (Picture Alliance / Oktober Promotion / Sheryl Nields )
    Diese Sendung können Sie nach Ausstrahlung sieben Tage nachhören.
    Musik "Simple Fix"
    Los Angeles im März 2017. Aimee Mann beendet eine lange kreative Auszeit. Ausgeruht und angriffslustig präsentiert sie ihr neuntes Studio-Album: "Mental Illness", zu Deutsch: Geisteskrankheit. Ein zynisches, bissiges Statement heutigen Zustand der Welt und ihrer politischen Führer.
    Ein Thema so ganz nach dem Herzen der 56-Jährigen Wahl-Kalifornierin, die als Expertin für sanfte, leise Töne mit Tiefgang gilt. Mann verteilt schallende, während sie gleichzeitig hochmelodische Stücke auf der Gitarre anstimmt und einen ausgeprägten Sinn für Humor besitzt. Der zieht sich wie ein roter Faden durch ihre vier Dekaden umfassende Karriere: Sei es als Duett-Partnerin von Raumschiff Enterprise - Käpt’n William Shatner oder die Progrockband Rush. Als Stand-up-Comedian. Als Schauspielerein in TV-Serien und Kultfilmen. Charmant kokettiert sie aber auch mit den Erwartungen ihres Publikums.
    Musik "Goose Snow Cone"
    Auf "Mental Illness" ist sie so langsam, leise und traurig wie noch nie. Und das ganz bewusst: Sie spielt mit ihrem Image als Trauerkloß, indem sie den Ansatz auf die Spitze treibt.
    Aimee Mann: "Es ist schwer zu sagen, was die Leute über mich denken. Aber ich schätze, sie halten mich für extrem melancholisch. Von daher war meine Idee: Genau das gebe ich ihnen jetzt – und noch ein bisschen mehr. Einfach, weil ich das lustig finde. Und es ist sehr befreiend, einfach mal zu machen, worauf ich gerade Lust habe."
    Merke: Das Leben ist schon ernst genug. Nicht nur in der Ära Trump, sondern auch sondern auch schon in den der 1980-ern, als Aimee erste musikalische Gehversuche unternimmt.
    Musik "Til Tuesday–Love In A Vacuum”
    Die Anfangsjahre
    Bon Air, im amerikanischen Bundesstaat Virginia, ist nicht sonderlich Rock´n´Roll. Wer hier - zwischen Golfplätzen, viktorianischen Holzhäusern und gigantischen Einkaufszentren - aufwächst, entspringt der ist privilegiert. So wie Amimee Elizabeth Mann. Die Tochter eines städtischen Angestellten wächst mit der Musik der Bee Gees, Beatles, Beach Boys, Elton John und Joni Mitchell auf. Wegen ihres jungenhaften Aussehens wird sie gehänselt und entscheidet früh, etwas Künstlerisches zu machen. 1978, mit 18 und nach Abschluss der Highschool, schreibt sie sich am Berklee College Of Music in Boston – ein. Eine mutige Wahl für ein Mädchen, das leidlich Klavier spielt und sich gerade einen Bass gekauft hat.
    "Ich dachte, Berklee wäre die perfekte Schule für mich als Anfängerin. Und tatsächlich habe ich dort viel über die Struktur von Musik gelernt. Genau wie über Theorie und wie man unterschiedliche Aspekte übt - also nicht nur sein eigenes Instrument. Was mich besonders interessiert hat, war aber das Aufnehmen und Produzieren von Musik. Leider wurde dieser Fachbereich gerade erst eröffnet, und ich habe schnell gemerkt, dass er nicht sonderlich gut war. Entweder hatte der Dozent keine Ahnung – oder er konnte sein Wissen nicht vermitteln."
    Also bricht sie ihr Studium nach der Zwischenprüfung ab und gründet eine Punk-Band: The Young Snakes. Ein Trio, das eher auf Lautstärke setzt als auf ausgefeilte Melodien, und dem Aimee als Sängerin und Bassistin vorsteht. Allerdings nur für ein Jahr und ein EP. "Bark Along With The Young Snakes", die heute als Sammlerstück gilt.
    Aimees nächste Station ist die Band Til Tuesday, die sie mit ihrem Freund, Schlagzeuger Michael Hausman, startet – und nie geahnte Erfolge feiert. Das Debüt-Album "Voices Carry" erreicht Platz 19 der Billboard-Charts, die gleichnamige Single ist ein Top-10 Hit. Das Quartett passt perfekt ins MTV-Zeitalter. Eingängiger New Wave-Pop und eine adrette Sängerin mit stacheliger Wasserstoffoxid-Frisur sorgen für "heavy rotation".
    "Damals hat jeder versucht, irgendwie anders auszusehen - das gehörte dazu. Aber natürlich stand auch das für eine gewisse Konformität. Was man mit Anfang 20 vielleicht nicht erkennt. Es muss halt jeder durch diese Phase, in der man das Gefühl hat, gegen alles zu rebellieren und alles anders zu machen. Später erkennt man dann, dass viele Leute das genauso getan haben. Dass man längst nicht der oder die einzige war."
    Musik "Til Tuesday-"Voices Carry"
    Zu dieser Zeit spielt Aimee Mann in einer Liga wie Annie Lennox, Hazel O´Connor, Terri Nunn oder Nina Hagen. Dadurch wiederum wird sie selbstbewusster und schlüpft immer mehr in die Rolle der Songwriterin. Den Löwenanteil der nächsten beiden Alben schreibt sie selbst: "Welcome Home" und "Everything´s Different Now". Die Alben bekommen das Lob der Kritiker, sind aber kommerzielle Flops - trotz der Gastauftritte von Matthew Sweet und Elvis Costello. Der Mißerfolg, so Aimee Mann, sei auch durch ihr Plattenlabel bestimmt.
    "Da waren neue Leute, die bestimmte Dinge grundlegend verändern wollten. Und wie immer, wenn Entscheidungsträger gehen – und dann noch diejenigen, die dich unter Vertrag genommen haben -, haben die Nachfolger wenig Interesse, ein altes Projekt fortzuführen oder zu unterstützen. Dadurch sind eine Menge Bands auf dem Abstellgleis gelandet. In unserem Fall wurde alles daran gesetzt, uns in etwas anderes zu verwandeln und unsere Songs von diesen Hitlieferanten aus Hollywood schreiben zu lassen. Aber Stücke, die ich mit Elvis Costello komponiert habe, wurden abgelehnt. Das war einfach verrückt."
    1990 löst sich ihre Band Til Tuesday auf. Aimee Mann zieht nach Los Angeles zu ihrem neuen Freund Michael Penn, dem Bruder von Schauspieler Sean Penn. Drummer Michael Hausman wird ihr Manager – bis zum heutigen Tag.
    Musik "I Should´ve Known"
    Eine Frau steht auf einer Bühne, spielt Gitarre und singt.
    Gab im Hollywood "The Big Lebowski" ihren kleinen Zeh her: Aimee Mann. (picture alliance / dpa / Andrew Gombert)
    Aimees erste Gehversuche als Solistin sind schwierig. Ihre Plattenfirma will sie nicht ziehen lassen, besteht darauf, dass sie mit neuen Musikern unter altem Namen weitermacht, möchte sie aber auch nicht als selbständige beschäftigen. Während des folgenden dreijährigen Rechtsstreits darf AM keine neue Musik veröffentlichen. Am Ende stehen ein Vergleich und das Album "Whatever", das bescheidene Verkaufszahlen erreicht. Das gilt auch für ihr zweites Werk "I´m With Stupid". Was weniger an der Qualität der Songs liegt, als an der Musikindustrie der Mittneunziger. Ihr Label Imago wird von einem größeren geschluckt, dieses wiederum vom nächsten - die Künstlerin ist mit immer neuen Ansprechpartnern mit immer neuen Ansprüchen konfrontiert. Ihre Alben erhalten nicht die nötige Unterstützung und ihr Drittes wird sogar abgelehnt. Die Begründung: nicht massentauglich.
    "Ich habe mitbekommen, wie Jimmy Iovine, der Chef von Interscope, über Sheryl Crow geredet hat. Ihr damaliges Album hatte sich 1,5 Millionen Mal verkauft, doch er meinte, das wäre nicht genug. Was ich kaum glauben konnte. Sein Ziel war halt, mehrere Millionen Exemplare eines Albums umzusetzen. Und diese mittleren Umsätze, wie von Sheryl oder mir, interessierten ihn nicht."
    Absage auf dem kommerziellen Höhepunkt
    Die Ironie: Zum Zeitpunkt der Absage befindet sich Aimee auf ihrem kommerziellen Höhepunkt. Ihr Soundrack zu Paul Thomas Andersons Drama "Magnolia" ist ein internationaler Bestseller. Der Film wird für Oscar und Grammy nominiert und enthält einen der bekanntesten und erfolgreichsten Songs ihrer Karriere: "Save Me".
    Musik "Save Me”
    Der "Magnolia-Soundtrack" zeigt Aimee Mann, dass ihre Musik sehr wohl ein Publikum hat und dass sie es auch ohne Hilfe eines Musikmultis erreichen kann. Sie kündigt ihren Vertrag und gründet eine eigene Firma mit dem ironischen Namen "Superego Records". Sie erwirbt die Rechte an ihrem dritten Album zurück verkauft es bei Konzerten und über ihre Webseite. Zu Beginn der 2000er ein echtes Novum - der Internethandel war gerade erst in den Startlöchern. Und vielleicht gerade deshalb so erfolgreich. Nach 25.000 online verkauften CDs schließt sie einen Vertrag über weltweiten Vertrieb ab und wird zur neuen Königin des Indie-Rock.
    "Das Album hat sich 200.000 Mal verkauft – was ein großer Erfolg für mich war. Heute musst du schon ein Superstar sein, um so viele Einheiten umzusetzen."
    Musik "Borrowing Time"
    Die One-Woman-Show
    In den folgenden Jahren geht Aimee Mann ihren Weg - konsequent und selbstbewusst. Sie veröffentlicht alle zwei bis drei Jahre ein neues Album, spielt in ausverkauften Theatersälen vor 2000-4000 Zuschauern. Sie kommt mittlerweile bestens über die Runden, dazu braucht sie keine Videoclips, keine Marketingkampange, keine Auftritte in Talkshows. Aimee Mann funktioniert nach ihren eigenen, bescheidenen Gesetzen. Und sie hat ihre Nische gefunden - unabhängig, unaufgeregt und bodenständig.
    "Es funktioniert - in dem Sinne, dass ich weiter Alben machen, Songs schreiben und meinen Lebensunterhalt mit Musik bestreiten kann. Worüber ich mich sehr glücklich schätze. Außerdem bin ich der Meinung, dass man ein bestimmtes Temperament haben muss, um eine berühmte Person zu sein. Denn es ist ein verrückter Job. Einige Leute sind gut darin, andere nicht. Und ich bin definitiv nicht dafür geschaffen. Ich weiß nie, was ich sagen soll, wenn mich Leute ansprechen. Außerdem mag ich es nicht, angestarrt zu werden. Einige Menschen kriegen nicht genug davon, aber das gilt nicht für mich."
    Musik "31 Today"
    Nebenbei gründet AM kurzlebige Bands wie "Acoustic Vaudeville" mit ihrem Ehemann Michael Penn. Oder sie nimmt Weihnachtsalben auf. Oder sie spielt im Duo "The Both" mit Gitarrist Ted Leo. Außerdem arbeitet Aimee Mann gerne mit Musiker-Kollegen, Darunter Cyndi Lauper, Steve Vai, Death Cab For Cutie oder Elton John. Sie singt Backgound und Duett oder spielt Gitarre. Einige Stücke - wie "My Father´s Gun" von Elton John - übernimmt sie auch in ihr eigenes Bühnenprogramm.
    "Es ist ein wunderbarer Song. Und ich schätze, Elton hat mehr Einfluss auf mich, als jeder andere Künstler. Als ich ein Kind war, habe ich seine ersten sieben Alben fast täglich gehört. Er hat einen tollen Sinn für Melodie. Und er beherrscht diesen bittersüßen Mix aus Melancholie und Euphorie - mit sehr interessanten Harmonien."
    Musik "My Father´s Gun"
    Vielleicht liegt es an ihrem berühmten Schwager Sean Penn, vielleicht an ihrer eigenen charmanten Art. Aimme Mann hat hervorragende Kontakte nach Hollywood - zu Film- und TV-Produzenten und zu den Menschen, die Soundtracks zusammenstellen. So kann sie Songs in Serien wie zum Beispiel "Buffy The Vampire Slayer" oder "Vinyl" unterbringen - und in verschiedenen Hollywood-Blockbustern.
    Legendäre Zeh-Szene
    Außerdem steht sie selbst vor der Kamera. Etwa als Stand-up Comedian, als gescheiterter Rockstar in der Serie "Portlandia" oder – ihr bislang größter Coup - als deutsche Nihilistin in "The Big Lebowski" von 1998. In dem Werk der Cohen-Brüder muss sie sich von ihrem kleinen Zeh trennen, um Lösegeld für eine vermeidliche Entführung zu fordern. Auf die Zeh-Szene wird sie bis heute immer wieder angesprochen.
    "Das war easy, denn ich habe jemanden gespielt, der emotional sehr eindimensional war. Insofern musste ich nicht groß schauspielern, sondern nur ein paar Sätze auf Deutsch sagen – eine Sprache, die ich sehr mag. Weshalb das Ganze ein ziemlicher Spaß war. Genau wie neben Flea von den Red Hot Chili Peppers und Peter Stormare (Stormär) aufzutreten. Ich glaube, Flea war die ganze Zeit betrunken."
    Neben der Schauspielerei hat Aimee noch zwei Hobbys, von denen sie nicht genug bekommt: Jahrmärkte, sogenannte Fairgrounds, die sie seit frühester Kindheit besucht. Und sie sieht gerne Boxkämpfe.
    "Einer meiner Comedy-Freunde erzählte mir, dass er total aufs Boxen steht und bei Freddie Roach trainiert. Ich sollte einfach mal mitkommen. Was ich getan habe und dann Stammgast wurde, mich mit Freddie angefreundet habe – und er anfing, mich zu trainieren. Er arbeitet auch mit Manny Pacquiao. (Pa-ki-au) Weshalb ich anfing, mir dessen Kämpfe anzuschauen. Es ist ein sehr anstrengender Sport, hinter dem viel Strategie und Bewegung stecken. Das alles zu lernen, dauert eine Weile. Aber es ist interessant."
    Der Boxsport inspiriert sie zum Konzeptalbum "The Forgotten Arm": Darin geht es um eine Boxtaktik, bei der nur ein Schlagarm eingesetzt wird - bis der Gegner sich darauf einstellt. Dann greift man auf den bis dato ungenutzten, zweiten Arm zurück und setzt ihn als Überraschungswaffe ein. Der Trick funktioniert fast immer - und er beschert Aimee Mann schließlich einen Grammy. Kurzzeitig denkt sie darüber nach, ein Musical aus diesem Stoff zu entwickeln - doch die Kosten sind zu hoch. Auch das Boxen hat sie inzwischen aufgegeben - die Songs dagegen spielt sie dagegen immer noch.
    "Einer meiner Comedy-Freunde erzählte mir, dass er total aufs Boxen steht und bei Freddie Roach trainiert. Ich sollte einfach mal mitkommen. Was ich getan habe und dann Stammgast wurde, mich mit Freddie angefreundet habe – und er anfing, mich zu trainieren. Er arbeitet auch mit Manny Pacquiao. (Pa-ki-au) Weshalb ich anfing, mir dessen Kämpfe anzuschauen. Es ist ein sehr anstrengender Sport, hinter dem viel Strategie und Bewegung stecken. Das alles zu lernen, dauert eine Weile. Aber es ist interessant."
    Musik "Going Through The Motions”
    Seit ihrem letzten Album "Charmer" von 2012 gönnt sich Aimee Mann eine lange musikalische Auszeit, während der sie sich politisch engagiert. Als eine der ersten Musikerinnen unterstützt sie BS und lehnt Trump ab. Sie steuert einen Song zum Anti-Trump-Sampler "30 Days 30 Songs" bei und hilft im Januar bei der Organisation der Frauenmärsche in Los Angeles. Auch ihr Album "Mental Illness" lässt kein gutes Haar am neuen US-Präsidenten. Da ist Trump wahlweise ein entflohener Patient aus einer geschlossenen Anstalt, ein Psychopath, ein geldgieriger Menschenfeind oder ein pathologischer Lügner. Vorwürfe, die sie zu gefühlvollem Softrock mit akustischen Gitarren, Streichern und Klavier erhebt, und auf die Kraft der ruhigen, sanften Töne setzt. Eben keine Botschaften mit dem Vorschlaghammer, sondern mit Streicheleinheiten und Wärme. Ein alternativer Ansatz gegen "alternative facts" und andere Lügen. Denn - so Aimee - die Zeit drängt.
    "Hier in Amerika haben die Patienten die Anstalt übernommen. Was eine Katastrophe ist – und ich habe keine Ahnung, wie wir Trump wieder loswerden sollen. Die Leute versammeln sich zwar, protestieren und fordern ein Amtsenthebungsverfahren - nur: Das muss von den Republikanern ausgehen. Sie sind die einzigen, die die Macht dazu haben."
    Musik "Patient Zero"