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Sinnesschärfe bei Bedarf

Neurologie. - Der menschliche Geruchssinn ist denkbar schlecht und dem von Hunden, Ratten und Katzen weit unterlegen. Dass sich auch unsere Nase in unerwartet hohem Maße trainieren lässt, belegt nun jedoch eine Studie, die amerikanische Forscher heute in der Fachzeitschrift "Science" veröffentlicht haben.

Von Kristin Raabe |
    Es roch nach Rosen - und zwar in beiden Fläschchen, die die Forscher ihren Versuchspersonen reichten. Die Substanz in den Flakons war reines Rosenoxid, ein ätherisches Öl, das eben nach Rosen duftet. Es kommt in der Natur in zwei Formen vor - als sogenannte Spiegelisomere. Beide Varianten bestehen aus derselben Anzahl von Kohlenstoff-, Sauerstoff- und Wasserstoffatomen. Ihre Anordnung ist allerdings spiegelverkehrt. Ob Menschen den winzigen Unterschied zwischen den beiden Spiegelisomeren riechen können, hat die Verhaltensforscherin Wen Li von der Northwestern University in Chicago untersucht:

    "”Viele solcher Spiegelisomere sind vom Geruch her nicht voneinander zu unterscheiden. Selbst Ratten können das oft nicht. Auch unsere Versuchspersonen haben die beiden Varianten des Rosenoxids zunächst nicht auseinanderhalten können. Dann haben wir angefangen, ihnen bei einem der beiden Spiegelisomere immer einen leichten Elektroschock zu geben. Wir wollten wissen, ob ihnen das hilft, dieses Spiegelisomer von seinem Gegenstück zu unterscheiden.""

    Tatsächlich gelang es den Versuchspersonen nach einigen Durchgängen, das für sie leicht "schmerzhafte" Rosenoxid eindeutig zu identifizieren. Sie waren in der Lage, die beiden spiegelverkehrten Duftmoleküle auseinander zuhalten. Bislang war nicht bekannt, dass die menschliche Nase zu solchen Höchstleistungen fähig ist. Wen Li und ihre Kollegen vermuteten allerdings, dass sich beim Duft-Lernprozess auch im Gehirn etwas getan hat. Deswegen untersuchten sie die Studienteilnehmer mit einem Kernspintomographen. Li:

    "Weil diese Düfte so ähnlich sind, müssen die Aktivierungsmuster, die sie im Gehirn – vor allem im Riechhirn – hervorrufen, eigentlich stark überlappen. Das war auch so, bevor wir angefangen hatten, unsere Studienteilnehmer mit einem leichten Elektroschock zu konditionieren. Nachdem sie gelernt hatten, die beiden Spiegelisomere voneinander zu unterscheiden, überlappte das Aktivierungsmuster der einen Variante nicht mehr so stark mit der des anderen Spiegelisomers."

    Es ist also nicht etwa ihre feine Nase, die den Versuchspersonen bei dem Lernexperiment geholfen hat. Vor allem die Anpassungsfähigkeit ihres Gehirns hat dazu beigetragen, dass sie schließlich die Düfte der zwei Spiegelisomere voneinander unterscheiden konnten. Li:

    "”Das ist Lernen durch Gefühl. Wir lernen sehr schnell durch eine negative Erfahrung oder auch durch etwas positives, wie eine Belohnung. Im Laufe der Evolution war diese Lernfähigkeit sehr wichtig für das menschliche Überleben. Wir müssen etwas, dass schlecht ist für uns, sehr schnell wahrnehmen und von anderen Reizen in der Umgebung unterscheiden können. Wenn es uns aber nicht gelingt, unsere Wahrnehmung und ihre mentale Repräsentation im Gehirn regelmäßig zu aktualisieren, dann kann eine regelrechte Überempfindlichkeit unserer Sinne die Folge sein.""

    So eine Überempfindlichkeit ist möglicherweise die Ursache für verschiedene Phobien. Zum Beispiel reagiert jemand, der Angst vor Spinnen hat, eigentlich ganz normal, denn Spinnen können beißen und manche Arten sind sogar giftig. Wenn die Angst aber schon beim Anblick des Photos einer Spinne auftritt, dann ist das krankhaft. Das Gehirn kann nicht mehr zwischen einer echten Gefahr und einem ähnlichen aber ungefährlichen Reiz unterscheiden. Solche Phobien bleiben zum Glück Ausnahmen. Die Fähigkeit des Menschen, seine eher mittelmäßigen Sinne, wenn es darauf ankommt, zu schärfen, hat ihm dagegen schon manches Mal das Leben gerettet. Welche Chance hätten wir sonst gehabt gegen das Auge des Adlers und die Spürnase des Wolfs?