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Sinnkrise nach dem Atomausstieg? Von wegen!

Wenn ein Atommeiler endgültig vom Netz geht, dann hat die örtliche Bürgerinitiative ihr großes Ziel erreicht. So auch in Brunsbüttel, das dortige schon stillgelegte AKW gehört zu den acht Reaktoren, die endgültig vom Netz gehen. Ziel erreicht – und was jetzt?

Von Dietrich Mohaupt | 06.06.2011
    Energiewende – Atomausstieg: Große Worte, bei denen Pastor Martin Storm aus Brunsbüttel aber doch immer ein wenig die Stirn runzelt. So ganz traut er dem plötzlichen Sinneswandel der schwarz-gelben Bundesregierung nicht. Seit Jahrzehnten wehrt er sich schon gegen die Kernkraft – dem plötzlichen Frieden mag er nicht so recht trauen.

    "Ich war damals 1986 auch hier vor Brokdorf gewesen, in Brokdorf und Hamburg waren große Demonstrationen, ich war in Wackersdorf dabei, dass jetzt dieser Atomausstieg in Sichtweite ist, ist, denke ich, ein großer Erfolg und eine große Chance. Die Frage ist, was daraus gemacht wird – so wendelastig wie die Regierungen bei uns sind, muss man einfach seine Zweifel haben, sonst wäre man blind."

    Die aktuellen Pläne der Bundesregierung für den Atomausstieg bis 2022 sind ihm immer noch zu schwammig – Zweifel sind angebracht, denen fällt schon rechtzeitig noch was ein, befürchtet Martin Storm.
    "Wir werden bis 2022 doch noch Atomkraftwerke laufen haben und vielleicht sogar noch ein Schattenkraftwerk für Notfälle oder so. Jetzt ist zwar ein Stufenplan vorgelegt, aber so ganz sehe ich das noch nicht – weil, am Ende laufen noch sechs Atomkraftwerke, wie das jetzt auch nach dem Stufenplan sogar konzipiert ist. Ich fürchte halt, dass das am Ende heißt wieder: Wir haben dann auf einmal eine Energielücke, wir müssen sie weiterlaufen lassen, dass die Konzerne da dran drehen werden."

    Also – weiterkämpfen für einen schnelleren und wirklich unumkehrbaren Atomausstieg ohne Hintertürchen, lautet die Devise auch für Stefan Klose. Der Unternehmer engagiert sich seit einigen Jahren in der Bürgerinitiative an der Unterelbe, vor allem gegen den geplanten Neubau von Kohlekraftwerken.

    "Hier in Brunsbüttel sind Kohlekraftwerke geplant, eins davon ein riesiges Doppelblock-Kraftwerk der Südwest-Strom – was die meisten in der Bevölkerung einfach nicht wissen, ist, dass diese Kohlekraftwerke nicht nur Unmengen CO2 ausstoßen, sondern auch Dioxin, Blei, Cadmium, Thallium, viele Schwermetalle, Quecksilber in sehr großen Mengen, 600 Kilo im Jahr, und darum kämpfen wir gegen die Ansiedlung von Großkraftwerken dieser Art in Brunsbüttel."

    Statt Anti-AKW also künftig verstärkt Anti-Kohle – aber nicht, wie allzu häufig vorschnell unterstellt, Anti-Alles. Die Bürgerinitiative an der Unterelbe muss sich sicher nicht den Vorwurf gefallen lassen, immer gegen alles zu sein, meint Stefan Klose:

    "Wir würden zum Beispiel in Brunsbüttel die Ansiedlung eines Gas- und Dampfkraftwerks begrüßen – auch wenn es fossil befeuert werden muss. Wir sind für Off-Shore-Windkraft, wir sind für Solarkraftwerke größeren Ausmaßes in Spanien oder Desertec. Wir sind überhaupt nicht gegen alles, was positiv ist, was erneuerbar ist, was nachhaltig ist."

    Aber eben gegen die Kohle als Alternative für Kernenergie – bei vielen Mitgliedern der Bürgerinitiative lösen solche Perspektiven echten Frust aus. Das gilt auch für Sven Wiegmann aus Glückstadt, der in solchen Dingen manchmal am gesunden Menschenverstand mancher Entscheidungsträger zweifelt:

    "Der Frust ist vor allen Dingen dann groß, wenn man schizophrene Ansichten vorgelebt bekommt – vor allen Dingen von Politikern, die einerseits den Kohlendioxidausstoß in Schleswig-Holstein deutlich senken wollen, andererseits aber ein Kohlekraftwerk befürworten, das den gesamten Ausstoß des Landes Schleswig-Holstein um 50 Prozent steigern würde, wenn es in Betrieb gehen sollte. Das kann man als normaler Mensch einfach nicht mehr nachvollziehen."

    Frust ja – aber deshalb klein beigeben? – niemals. Die Bürgerinitiative mit ihren mehr als 100 Mitgliedern ist und bleibt aktiv, von Sinnkrise angesichts eines sich abzeichnenden Atomausstiegs keine Spur. Warum auch, es gibt genug, für das es sich weiter zu kämpfen lohnt, meint Stefan Klose. Niemand muss also die aus alten Bettlaken und Tischtüchern gebastelten Transparente oder die Protestplakate einmotten:

    "Nein, überhaupt nicht – im Gegenteil. Also wir haben große Pläne, wir wollen weiterhin aufklären, wir wollen unsere Motivation als Schubkraft in die Bevölkerung geben an die Politiker geben. Von Pause machen, einrollen, einwickeln kann überhaupt nicht die Rede sein – im Gegenteil."

    Und immerhin – von ursprünglich vier geplanten Kohlekraftwerken in Brunsbüttel ist eins inzwischen vom Tisch, auch dank der lebhaften Proteste der kleinen Bürgerinitiative.
    Zum Thema auf dradio.de:
    Deutschlandradio aktuell: Atom-Aus bis 2022 beschlossen