"- "Ah, ok. Da bist du, sorry ich hab dich gar nicht gesehen! Willst du was trinken?"
- "Ja, Club Mate bitte, ich bin super fertig, ich brauche etwas, um wach zu werden."
- "Ja, musst du mir gleich erzählen, ich hole gerade mal was zu trinken."
- "Bis gleich!""
An der kreisrunden Bar warten einige recht junge Männer auf ihr Bier, andere stehen auf der kleinen Tanzfläche und unterhalten sich. Viele sehen aus wie Studenten, die ihre Vollbärte gerade erst zurechtgestutzt haben. Pinkfarbene Lichtpunkte flirren umher, die Discokugel wackelt defekt vor sich hin. Blicke schwirren durch den Raum. Anna ist die einzige Frau hier. Kaum ein Blick bleibt an ihr hängen. Unauffällig setzt sie sich auf eines der roten Kunstledersofas, die in Halbkreisen gegenüber der Bar stehen. Die Wände hinter ihr sind schwarz, Fernseher hängen von den Decken. Es ist Sonntagabend, aber hier läuft kein Tatort. Stattdessen flackern nackte Männer über den Bildschirm. Fast kulissenartig wirkt dieser Raum, als wolle er an dunklere Zeiten erinnern, ohne sich dabei selbst ernst zu nehmen.
Anna und Stephan sind erschöpft vom Wochenende. Stephan kommt fast jeden Sonntag hierher, in diesen Club in Berlin-Neukölln. So, wie viele andere auch. Übers Wochenende reisen sie an, um hier in eine andere Welt einzutauchen, die so gar nichts mit ihrem Alltag zu tun hat. Stephan steigt freitagabends in Hamburg in den Zug nach Berlin, um montags wieder zurückzufahren.
"Also, unter der Woche arbeite ich natürlich. Ich lebe in Hamburg, wobei ich eher in Hamburg wohne und arbeite. Ich habe das Gefühl, das Leben findet eher hier in Berlin statt. Ich bin fast jedes Wochenende hier in Berlin. In Hamburg habe ich halt den normalen Arbeitsalltag, von neun bis sechs arbeite ich in der Agentur. Und irgendwie habe ich am Wochenende dann das Gefühl, diesen freieren und ungehemmteren Ausgleich haben zu müssen."
Heute hat er sich mit Anna hier verabredet. An anderen Wochentagen würde der Türsteher Anna als Frau nicht reinlassen.
Stephan: "Ich weiß nicht, wie findest du es denn. Also, du bist zum vierten Mal hier, ich schlepp dich immer mit?"
Anna: "Total entspannt, ich bin müde vom Wochenende. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich woanders besser aufgehoben wäre, es ist gemütlich, jeder macht sein Ding, es gibt keine Regeln, an die ich mich halten muss."
Stephan: "Aber fühlst du dich unwillkommen, es läuft halt Schwulenporno im Hintergrund?"
Anna: "Ich bin halt einfach kein Mann! Ich habe gerade an der Bar was bestellt und wurde ein bisschen interessiert angeguckt, was ein Mädchen hier macht."
Es ist ein Club für Männer, die Männer treffen wollen. Das Ganze ist kaum größer als ein Wohnzimmer. Dennoch existieren auf diesem kleinen Raum zwei Welten, zwei Etagen. Es gibt oben. Und es gibt unten. Den Keller. Oben ist es hell. Unten muss man sich mit den Händen an den Wänden entlangtasten, so dunkel ist es. Oben ist es laut. Unten schweigt man. Oben ist es familiär. Unten kennt man sich nicht.
"Also, ich weiß noch das erste Mal, als ich in Berlin war, das war so vor drei Jahren, da bin ich mit dem Bus vorbeigefahren und habe die Regenbogenflagge gesehen, weshalb ich neugierig wurde. Aber ich bin lange Zeit nicht daraufgekommen, hier hinzugehen. Und irgendwann hat mich ein Freund mitgeschleppt. Glaube, wir hatten auch beide insgeheim Angst beziehungsweise Respekt davor. Wir wussten nicht, was uns erwartet. Wir sind zusammen hin und es war total zivil. Wir hatten natürlich auch gehört, dass es einen Darkroom gibt. Wir haben das am Anfang belacht, aber wir hatten beide total Lust darauf und waren auch nervös."
Es gibt Orte, an denen man Menschen begegnen kann, ohne sie zu grüßen, ohne mit ihren zu sprechen, ja sogar, ohne sie zu sehen. In den 80-ern wurden die ersten eingerichtet. Inzwischen gilt Berlin als die Hauptstadt der Darkrooms. Mehr als 30 sollen es inzwischen sein. Das hat sich im Ausland herumgesprochen. Auch deshalb reisen heute viele Männer nach Berlin.
"Die Darkrooms sind schon etwas sehr Berlinspezifisches, die Leute kommen extra deshalb hierher. Es ist eine ganz andere Form, Sexualität auszuleben. Es hat nichts mit Schönheit, nicht mit Intimität zu tun. Es hat etwas mit Anonymität, es hat auch was mit einer absoluten Verdinglichung zu tun, man hat nur Körper vor sich, man berührt nur Körper, man hat Gerüche."
Stephan blickt umher, schaut einigen direkt in die Augen, lächelt. Er geht zur Bar, begrüßt einen Bekannten, kommt zurück. Er sitzt so selbstverständlich auf diesem roten Sofa, als stünde es in seiner Wohnung.
"Ja, also ich gehe mal kurz runter."
Je weiter er die Treppen runtersteigt in den dunklen Keller, desto stiller wird es. Noch scheint nicht viel los zu sein hier unten.
"Ja, es ist sehr mau heute. Aber es ist mal voll, mal nicht voll, man kann das nicht vorhersagen. Es sind noch ein paar nette Leute da, dann unterhalte ich mich halt den Abend mal, das geht schon."
Stephan geht wieder nach oben, setzt sich aufs Sofa. Am Nebentisch unterhalten sich zwei Männer auf Englisch. Sie reden über Clubs in Berlin. Stephan kommt schnell mit ihnen ins Gespräch, gibt ihnen Tipps, wohin sie noch gehen könnten. Einer von ihnen ist für einen Kurztrip aus New York nach Berlin gekommen, der andere aus Saudi Arabien.
Der Saudi hat ist nicht älter als 35, trägt ein gebügeltes Hemd und eine schicke dunkle Jeans. Er ist zum ersten Mal hier.
"Ich bin nach Berlin gekommen, um das zu genießen, was Berlin bietet. Ich mag die Akzeptanz der Freizügigkeit, die in dieser Gesellschaft vorherrscht. Hier wird nicht auf einen herabgeschaut."
Der Saudi hat sich im Internet mit einem Mann aus New York verabredet, um die versteckten Seiten Berlins zu erkunden. Inzwischen ist es voller geworden, englische Wortfetzen dringen herüber. Am Nebentisch sitzt eine Gruppe junger Schweden mit Pelzmänteln, die sich neugierig umschauen. Der Saudi hat schon viel über Berlin gelesen, jetzt ist er hier, um es zu erleben.
"Wir werden das machen, was am Beliebtesten ist an einem Sonntagabend in Berlin: Hierhin kommen. Der Darkroom hier ist sehr dunkel und man weiß überhaupt nicht, mit wem man in Kontakt kommt, was sehr aufregend und beängstigend zugleich ist. Aber darin liegt gerade der Thrill. Das ist etwas, wofür ich in Saudi Arabien ins Gefängnis gehen müsste."
In sieben Tagen fliegt er zurück nach Riad.
"Es ist aufregend – es ist Berlin. Wir freuen uns, hier zu sein. Immerhin für zehn Tage können wir frei sein und dann in unsere normalen Leben zurückgehen und diese Erinnerung archivieren und das Gefühl haben, ein bisschen gelebt zu haben."
Stephan, Anna und der Saudi unterhalten sich noch ein bisschen, lachen manchmal. Männer aus der ganzen Welt kommen nach Berlin, kommen an diesen Ort, der von außen wie eine verkommene Kaschemme aussieht. Gerade hier, an diesem leicht verlebt wirkenden Ort, erzählt Stephan, ist etwas Neues entstanden.
"Ich glaube, Berlin hat eine ganz eigene Schwulenkultur. Sie ist sehr konsumorientiert in anderen Städten, sie ist in anderen Städten noch an antiquierten Männlichkeitsbildern orientiert. Irgendwie in den 90ern verhaftet, rasierte Brust und athletische Körper, wo in Berlin sich ein neuer Typus herausgebildet hat, gerade in Neukölln. Es ist um diesen neuen Typus des schwulen Mannes eine Art Sextourismus entstanden. Ich bekomme es immer wieder mit, meine Freunde aus Hamburg kommen auch immer gerne mit nach Berlin, einfach weil es hier eine ganz andere Atmosphäre ist."
Vier Uhr morgens. Stephan verabschiedet sich.
"Ja, heute Abend war eben weniger los, kann passieren. War immer noch nett oben, also Leute kennengelernt, war ganz witzig, im Darkroom war jetzt nichts."
"Ich gehe jetzt nach Hause und fahre dann morgen früh zurück, nächste Woche bin ich dann wahrscheinlich wieder hier."
"Ok, ich muss hier los, Ciao, mach's gut, ich melde mich nächste Woche."
- "Ja, Club Mate bitte, ich bin super fertig, ich brauche etwas, um wach zu werden."
- "Ja, musst du mir gleich erzählen, ich hole gerade mal was zu trinken."
- "Bis gleich!""
An der kreisrunden Bar warten einige recht junge Männer auf ihr Bier, andere stehen auf der kleinen Tanzfläche und unterhalten sich. Viele sehen aus wie Studenten, die ihre Vollbärte gerade erst zurechtgestutzt haben. Pinkfarbene Lichtpunkte flirren umher, die Discokugel wackelt defekt vor sich hin. Blicke schwirren durch den Raum. Anna ist die einzige Frau hier. Kaum ein Blick bleibt an ihr hängen. Unauffällig setzt sie sich auf eines der roten Kunstledersofas, die in Halbkreisen gegenüber der Bar stehen. Die Wände hinter ihr sind schwarz, Fernseher hängen von den Decken. Es ist Sonntagabend, aber hier läuft kein Tatort. Stattdessen flackern nackte Männer über den Bildschirm. Fast kulissenartig wirkt dieser Raum, als wolle er an dunklere Zeiten erinnern, ohne sich dabei selbst ernst zu nehmen.
Anna und Stephan sind erschöpft vom Wochenende. Stephan kommt fast jeden Sonntag hierher, in diesen Club in Berlin-Neukölln. So, wie viele andere auch. Übers Wochenende reisen sie an, um hier in eine andere Welt einzutauchen, die so gar nichts mit ihrem Alltag zu tun hat. Stephan steigt freitagabends in Hamburg in den Zug nach Berlin, um montags wieder zurückzufahren.
"Also, unter der Woche arbeite ich natürlich. Ich lebe in Hamburg, wobei ich eher in Hamburg wohne und arbeite. Ich habe das Gefühl, das Leben findet eher hier in Berlin statt. Ich bin fast jedes Wochenende hier in Berlin. In Hamburg habe ich halt den normalen Arbeitsalltag, von neun bis sechs arbeite ich in der Agentur. Und irgendwie habe ich am Wochenende dann das Gefühl, diesen freieren und ungehemmteren Ausgleich haben zu müssen."
Heute hat er sich mit Anna hier verabredet. An anderen Wochentagen würde der Türsteher Anna als Frau nicht reinlassen.
Stephan: "Ich weiß nicht, wie findest du es denn. Also, du bist zum vierten Mal hier, ich schlepp dich immer mit?"
Anna: "Total entspannt, ich bin müde vom Wochenende. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich woanders besser aufgehoben wäre, es ist gemütlich, jeder macht sein Ding, es gibt keine Regeln, an die ich mich halten muss."
Stephan: "Aber fühlst du dich unwillkommen, es läuft halt Schwulenporno im Hintergrund?"
Anna: "Ich bin halt einfach kein Mann! Ich habe gerade an der Bar was bestellt und wurde ein bisschen interessiert angeguckt, was ein Mädchen hier macht."
Es ist ein Club für Männer, die Männer treffen wollen. Das Ganze ist kaum größer als ein Wohnzimmer. Dennoch existieren auf diesem kleinen Raum zwei Welten, zwei Etagen. Es gibt oben. Und es gibt unten. Den Keller. Oben ist es hell. Unten muss man sich mit den Händen an den Wänden entlangtasten, so dunkel ist es. Oben ist es laut. Unten schweigt man. Oben ist es familiär. Unten kennt man sich nicht.
"Also, ich weiß noch das erste Mal, als ich in Berlin war, das war so vor drei Jahren, da bin ich mit dem Bus vorbeigefahren und habe die Regenbogenflagge gesehen, weshalb ich neugierig wurde. Aber ich bin lange Zeit nicht daraufgekommen, hier hinzugehen. Und irgendwann hat mich ein Freund mitgeschleppt. Glaube, wir hatten auch beide insgeheim Angst beziehungsweise Respekt davor. Wir wussten nicht, was uns erwartet. Wir sind zusammen hin und es war total zivil. Wir hatten natürlich auch gehört, dass es einen Darkroom gibt. Wir haben das am Anfang belacht, aber wir hatten beide total Lust darauf und waren auch nervös."
Es gibt Orte, an denen man Menschen begegnen kann, ohne sie zu grüßen, ohne mit ihren zu sprechen, ja sogar, ohne sie zu sehen. In den 80-ern wurden die ersten eingerichtet. Inzwischen gilt Berlin als die Hauptstadt der Darkrooms. Mehr als 30 sollen es inzwischen sein. Das hat sich im Ausland herumgesprochen. Auch deshalb reisen heute viele Männer nach Berlin.
"Die Darkrooms sind schon etwas sehr Berlinspezifisches, die Leute kommen extra deshalb hierher. Es ist eine ganz andere Form, Sexualität auszuleben. Es hat nichts mit Schönheit, nicht mit Intimität zu tun. Es hat etwas mit Anonymität, es hat auch was mit einer absoluten Verdinglichung zu tun, man hat nur Körper vor sich, man berührt nur Körper, man hat Gerüche."
Stephan blickt umher, schaut einigen direkt in die Augen, lächelt. Er geht zur Bar, begrüßt einen Bekannten, kommt zurück. Er sitzt so selbstverständlich auf diesem roten Sofa, als stünde es in seiner Wohnung.
"Ja, also ich gehe mal kurz runter."
Je weiter er die Treppen runtersteigt in den dunklen Keller, desto stiller wird es. Noch scheint nicht viel los zu sein hier unten.
"Ja, es ist sehr mau heute. Aber es ist mal voll, mal nicht voll, man kann das nicht vorhersagen. Es sind noch ein paar nette Leute da, dann unterhalte ich mich halt den Abend mal, das geht schon."
Stephan geht wieder nach oben, setzt sich aufs Sofa. Am Nebentisch unterhalten sich zwei Männer auf Englisch. Sie reden über Clubs in Berlin. Stephan kommt schnell mit ihnen ins Gespräch, gibt ihnen Tipps, wohin sie noch gehen könnten. Einer von ihnen ist für einen Kurztrip aus New York nach Berlin gekommen, der andere aus Saudi Arabien.
Der Saudi hat ist nicht älter als 35, trägt ein gebügeltes Hemd und eine schicke dunkle Jeans. Er ist zum ersten Mal hier.
"Ich bin nach Berlin gekommen, um das zu genießen, was Berlin bietet. Ich mag die Akzeptanz der Freizügigkeit, die in dieser Gesellschaft vorherrscht. Hier wird nicht auf einen herabgeschaut."
Der Saudi hat sich im Internet mit einem Mann aus New York verabredet, um die versteckten Seiten Berlins zu erkunden. Inzwischen ist es voller geworden, englische Wortfetzen dringen herüber. Am Nebentisch sitzt eine Gruppe junger Schweden mit Pelzmänteln, die sich neugierig umschauen. Der Saudi hat schon viel über Berlin gelesen, jetzt ist er hier, um es zu erleben.
"Wir werden das machen, was am Beliebtesten ist an einem Sonntagabend in Berlin: Hierhin kommen. Der Darkroom hier ist sehr dunkel und man weiß überhaupt nicht, mit wem man in Kontakt kommt, was sehr aufregend und beängstigend zugleich ist. Aber darin liegt gerade der Thrill. Das ist etwas, wofür ich in Saudi Arabien ins Gefängnis gehen müsste."
In sieben Tagen fliegt er zurück nach Riad.
"Es ist aufregend – es ist Berlin. Wir freuen uns, hier zu sein. Immerhin für zehn Tage können wir frei sein und dann in unsere normalen Leben zurückgehen und diese Erinnerung archivieren und das Gefühl haben, ein bisschen gelebt zu haben."
Stephan, Anna und der Saudi unterhalten sich noch ein bisschen, lachen manchmal. Männer aus der ganzen Welt kommen nach Berlin, kommen an diesen Ort, der von außen wie eine verkommene Kaschemme aussieht. Gerade hier, an diesem leicht verlebt wirkenden Ort, erzählt Stephan, ist etwas Neues entstanden.
"Ich glaube, Berlin hat eine ganz eigene Schwulenkultur. Sie ist sehr konsumorientiert in anderen Städten, sie ist in anderen Städten noch an antiquierten Männlichkeitsbildern orientiert. Irgendwie in den 90ern verhaftet, rasierte Brust und athletische Körper, wo in Berlin sich ein neuer Typus herausgebildet hat, gerade in Neukölln. Es ist um diesen neuen Typus des schwulen Mannes eine Art Sextourismus entstanden. Ich bekomme es immer wieder mit, meine Freunde aus Hamburg kommen auch immer gerne mit nach Berlin, einfach weil es hier eine ganz andere Atmosphäre ist."
Vier Uhr morgens. Stephan verabschiedet sich.
"Ja, heute Abend war eben weniger los, kann passieren. War immer noch nett oben, also Leute kennengelernt, war ganz witzig, im Darkroom war jetzt nichts."
"Ich gehe jetzt nach Hause und fahre dann morgen früh zurück, nächste Woche bin ich dann wahrscheinlich wieder hier."
"Ok, ich muss hier los, Ciao, mach's gut, ich melde mich nächste Woche."