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Sinnloser Theaterabend

Franz Xaver Kroetz hat sich des Stückes "Der Gwissenswurm" von Ludwig Anzengruber angenommen. Herausgekommen ist ein Kroetz-Anzengruber-"Well-made"-Bauernmusical. Der Abend am Münchner Residenztheater enttäuscht.

Von Cornelie Ueding | 28.01.2007
    Das blitzsaubere, blonde, lebfrische Deandl, die Horlacher-Lies, hüpft Flöte spielend auf der grünen, grünen Wiese und neben ihr, hinter ihr her der blonde, frische Altknecht, dem vor lauter Liab glei die Hosn - huch! - runterrutscht. Am Ende kriegen sie sich, Gott sei dank. Nachdem sich herausgestellt hat, dass das ledige Deandl die leiblichte Tochter ist von dem Großbauern Grillhofer, den ob seiner Sünd da Gwissenwurm druckt.

    So druckt, dass er den hundsgemeinen Einflüsterungen des Tiroler Tartuffe Nikodemi Dusterer zu erliegen droht, dem es natürlich nur darum geht, an dessen Hof und Geld zu kommen und der den parkinsonzitternden Bauern, seinen Schwager, mit den alten Geschichten seiner ehelichen Untreue (die betrogene Frau ist vor Kummer längst verblichen), wo er geht und steht, erpresst. Und dann gibt es noch die lustige Köchin, die Rosl, die immer vom Essen redet, wenn es oam schlecht geht; und zwoa Buam und an Voda, der ins Wirtshaus gehen möcht und seine alte Frau, die glei schießt, wenn ein Fremder bei ihr in den gelben Bergen vorm roten Himmel auftaucht, und die in Wahrheit die Mutta ist von der Horlacher-Lies und vom Grillhofer geschwänget und sitzengelassen wurde. Wie eben das Leben so spielt. A bsuffna Kutscha ist auch mit von der Partie mit zwoa Kunstpferden vor einer Bierkutsche, die gejagt wird von am feuerspeienden Gwissenswurm. Und am End klaut der Dusterer den Jesus vom Kreuz in der Bauernstube, und dafür steigt dann Jesus überlebensgroß wie Kai aus der Kiste auf.

    Ich gestehe, dass ich mich selten so deplaziert in einem ernstzunehmenden Theater gefühlt habe wie an diesem Abend nicht nur wegen des in Vorabinterviews als "Kunstdialektsprache" mit Dada-Anklängen gepriesenen, angestrengt Tirolerischen Idioms, in dem sich die jodelnden, singenden, blökenden, woll-wohl-wohlig-niedlichen Darsteller mehr oder weniger knarzend und mehr oder weniger gekonnt äußern, sondern weit mehr noch wegen dieses Kroetz-Anzengruber-"Well-made"-Bauernmusicals als ganzem.

    Gut, München mag auf allen Ebenen eine Stadt mit hohem Unterhaltungswert sein, tagsüber der Komödiantenstadl der Stoiber-Nachfolge, nachts Massenschlägereien mit der Uschi-Obermeier-Clique im Nobelhotel Bayerischer Hof. Da will Staatsschauspielintendant Dieter Dorn nicht nachstehen. Und da mag es auf der Hand liege, Harmlos-Provokateur Kroetz anzuheuern, um einen schon zu Anzengrubers Zeiten grenzwertig urigen Alpentartuffe nochmal an- und aufzuwärmen. Freilich ist der ehemalige Kir-Royal-Akteur Baby Schimmerlos (der sich schon die Haare wachsen lassen soll für die Dreharbeiten zum - ein offenbar dringendes Desiderat! - endlich nachgetragenen Film zur alten Fernseh-Kult-Serie) inzwischen erschreckend schimmer-und glanzlos geworden, so dass es dem Münchner Premierenpublikum schon ein wenig klamm ums Promi-Herz geworden sein mag. Doch die will Kroetz gar nicht erreichen. Nein, das Fernseh? - na, jedenfalls das Volk soll ins Resi drängen und Schlange stehen - mehr als bei Polt! Ob Kroetz sich wohl deshalb in der letzten Minute doch noch an sein einstiges Provokateur-Image erinnert hat? Da lässt der Regisseur Kroetz nämlich, nach dem happy end, die frommen Älpler unter Zucken, Schäumen, Kreischen und Selbstzüchtigungen, sich windende Winzlinge unter den strengen Blicken des überdimensionierten Papp-Erlösers, in religiöse Hysterie und apokalyptisches Heulen und Zähne-klappern verfallen.

    Aber diese vermutlich kirchenkritisch gemeinte Wendung kam so gnadenlos holzhammerartig , dass keiner sie mehr recht für ernst nehmen konnte und einer der sinnlosesten Theaterabende frei von irgendwelchen auch nur ansatzweise spürbaren kritischen Prozessen zu Ende ging. Also buntes Kindertheater für Erwachsene? Eine solche Einschätzung würde alle ernsthaften Versuche, freches Kindertheater zu machen, diskreditieren. Komödiantenstadl im Resi, warum? Volkstheater gibt es schon, auch in München - und als Dutzendware, nicht nur im Privatfernsehen. Also mit Akzent auf Well-made-Bauernplay? Das eben gerade nicht. Leider. Es ist kaum auszuhalten, wenn Profischauspieler Laien spielen, die Theater spielen. Zur Parodie, meinetwegen vermuffter Gläubigkeit, reichts auch nicht. Dazu gehörte, dass man das Parodierte erstmal ernst nimmt. Und das geschieht nur in Gregor Knabls Vertonung der Liedtexte.

    Die Figuren fuchteln nur lächerlich und vage drauflos. "Seit ich mit dem Schreiben aufgehört habe, geht's mir besser", hat Kroetz seine Interviewer wissen lassen. Hier hat er dennoch 50 Prozent des Textes und manchen Song neu dazu geschrieben. Vielleicht aus der Einsicht, dass es ihm auch finanziell besser geht, wenn er einfach aufhört zu denken.