Archiv


Sissaye Negussie (Äthiopien)

Es war noch nie besonders leicht, in Äthiopien als Journalist zu arbeiten. Schon unter Kaiser Haile Selassie hatte die Presse mit der Zensur zu kämpfen. Nachdem das kommunistische Dergue-Regime unter Mengistu Haile Mariam 1974 den Kaiser entmachtet hatte, ließen die Machthaber jeden Journalisten des Landes, der einen kritischen Gedanken niederschrieb, inhaftieren oder liquidieren. In äthiopischen Medien fand man also wenig über die Bürgerkriege, die das Militärregime gegen mehrere Befreiungsbewegungen gleichzeitig führte oder über den von Mengistu selbst so genannten Roten Terror, mit er den Vielvölkerstaat Äthiopien überzog. Doch dann mußte diese Regierung vor einem Bündnis von Befreiungsbewegungen kapitulieren. Wer in den Medien arbeitete, schöpfte Hoffnung, erinnert sich der äthiopische Journalist Getachew Kejela, der in der Bundesrepublik Deutschland politisches Asyl beantragt hat.

Dorothea Jung |
    Es war noch nie besonders leicht, in Äthiopien als Journalist zu arbeiten. Schon unter Kaiser Haile Selassie hatte die Presse mit der Zensur zu kämpfen. Nachdem das kommunistische Dergue-Regime unter Mengistu Haile Mariam 1974 den Kaiser entmachtet hatte, ließen die Machthaber jeden Journalisten des Landes, der einen kritischen Gedanken niederschrieb, inhaftieren oder liquidieren. In äthiopischen Medien fand man also wenig über die Bürgerkriege, die das Militärregime gegen mehrere Befreiungsbewegungen gleichzeitig führte oder über den von Mengistu selbst so genannten Roten Terror, mit er den Vielvölkerstaat Äthiopien überzog. Doch dann mußte diese Regierung vor einem Bündnis von Befreiungsbewegungen kapitulieren. Wer in den Medien arbeitete, schöpfte Hoffnung, erinnert sich der äthiopische Journalist Getachew Kejela, der in der Bundesrepublik Deutschland politisches Asyl beantragt hat.

    O-Ton Getachew Kejela Vor 1991 hat das kommunistische Dergue-Regime die Medien vollständig kontrolliert; es gab überhaupt keine Pressefreiheit. Aber als 1991 die neue Regierung an die Macht kam, da entstand so etwas wie eine Atmosphäre der Freiheit. Es war ein wirklich großer Durchbruch für die Presse. Aber, das war nur während der Übergangszeit, als sich verschiedene politische Organisationen zu einer Koalition zusammengefunden hatten, die alle unterschiedlich Standpunkte vertraten.

    Während dieser Zeit, als sich die neue Regierung unter Führung von Meles Zenavi bildete, gründet ein junger Journalist gemeinsam mit Kollegen in Addis Abeba die amharisch-sprachige Zeitschrift AGERE. Der Journalist heißt Sissaye Negussie. Sein unabhängiges Blatt erscheint wöchentlich und präsentiert den Lesern in etwa die Mischung an Themen, die Deutsche Tageszeitungen auch anbieten: Nachrichten, Hintergrundartikel, Reportagen, Sport und so weiter. AGERE etabliert sich gut im Markt und wird allgemein respektiert. Doch dann muß Sissaye Negussie erkennen: Die Demokratisierung Äthiopiens ist eine Täuschung. Das von Hungerkatastrophen, Bürgerkriegen und Willkür gebeugte Land hatte nur eine Atempause. Die verschiedenen Befreiungsbewegungen der einzelnen Volksgruppen werden keineswegs in die Regierung eingebunden, sondern statt dessen von Vertretern des Tigray-Volkes dominiert, zu dem Staatschef Meles Zenavi gehört. Nicht nur mein Oromo-Volk wird unterdrückt, erzählt Taye Teferra vom Berliner Oromo-Zentrum, sondern letztlich jeder, der sich als Opposition begreift.

    O-Ton Taye Teferra Die Sicherheitsbehörden Äthiopiens, die auch von westlicher Seite finanziert sind, dann, genau wie damals in der Militärdiktatur, verfolgen die Leute, die Familie. Verschwinden von der Straße, und manchmal auch, ohne Frage, die 'Auf-der-Straße-Tötung' ist ein Teil von dieser Unterdrückung.

    Amnesty International wirft der äthiopischen Regierung ungesetzliche Hinrichtungen und Verhaftungen außerhalb jedes juristischen Rahmens vor. Ein politisch wacher Journalist wie Sissaye Negussie kann an dieser Wirklichkeit nicht vorbeischauen. Doch Negussie weiß: Wenn er im AGERE etwas von den Menschenrechtsverletzungen im Land veröffentlicht, läuft er Gefahr, verhaftet zu werden. Denn die verfassungsmäßig garantierte Pressefreiheit besteht nur auf dem Papier, beklagt der in Deutschland lebende äthiopische Journalist Jilma Haile Michael. Die unabhängige Presse erhalte überhaupt keinen Zugang zu Regierungsinformationen.

    O-Ton Jilma Haile-Michael Sie können nicht über die Regierung schreiben, sie können aber die Stimmung der Bevölkerung, was sie über die Regierung denken, schreiben. Oder sie können über zweite und dritte Hand was veröffentlichen, das die Regierung betrifft; ansonsten versuchen, bestimmte Schritte oder Maßnahmen zu kritisieren. Und das hat aber eine verheerende Konsequenz in der Regel.

    Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty international und 'Reporter ohne Grenzen' hält das Land einen traurigen Rekord: In keinem Staat der Erde sitzen mehr Journalisten im Gefängnis als in Äthiopien.

    O-Ton Jilma Haile-Michael In Äthiopien dürfen Journalisten schreiben, aber wenn das nicht der Regierung paßt - unter irgend einem Vorwand - weil es Verrat des Staates ist, weil es Verleumdung ist - kann ein Journalist sogar sein Leben riskieren.

    Sissaye Negussie hat etwas riskiert. Er hat nicht geschwiegen. Er hat in seiner Zeitung einen regierungskritischen Artikel veröffentlicht. Im Dezember 1995 wird er verhaftet. Nach vier Monaten verurteilt man ihn zu einer unbezahlbar hohen Geldstrafe. Wahlweise gilt ein Jahr Haft. Sissaye Negussie verschwindet im Gefängnis.

    'Negussies Schicksal erinnert mich an mein eigenes,' meint Teferra Asmare, der Herausgeber einer unabhängigen Zeitung in Addis Abeba war und heute politisches Asyl in den Niederlanden erhalten hat. Teferra Asmare wurde in Addis Abeba direkt vom Schreibtisch weg verhaftet.

    O-Ton Teferra Asmare Während der Arbeit betraten Polizisten in Zivil mein Büro, umzingelten mich und brachten mich in das berüchtigte Untersuchungsgefängnis in Addis Abeba. Dort steckten sie mich für vier Monate in eine Dunkelzelle. Da durfte mich niemand besuchen, weder meine Familie noch mein Anwalt. Die ganzen vier Monate über gab es keine Dusche, ich durfte meine Kleidung nicht wechseln, und mit keinem Menschen reden. Eigentlich bestimmen die Äthiopischen Gesetze, daß man 48 Stunden nach der Verhaftung einem Gericht vorgestellt wird. Aber dieses Menschenrecht wurde verletzt. Und die ganze Zeit habe ich in vollständiger Dunkelheit zugebracht.

    Teferra Asmare ist sicher, daß sein Kollege Sissaye Negussie ein ähnliches Schicksal erlitten hat. Der kann das nicht bestätigen; denn obwohl Sissaye Negussie vor einem Jahr bereits hätte frei sein müssen, hat seit seiner Verurteilung nie wieder jemand etwas von ihm gehört. Freunde und Verwandte erhielten an den Gefängnistoren keine Auskunft. Sissaye Negussie ist in irgend einem Gefängnis des afrikanischen Landes verschollen. 'In den Haftanstalten von Äthiopien hat man Gelegenheit, die Regierung von Meles Zenavi wirklich gründlich kennenzulernen,' sagt Teferra Asmare.

    O-Ton Teferra Asmare Sie schlugen mich, sie spuckten mit ins Gesicht, sie demütigten mich. Und sie haben mich in Schrecken versetzt, indem sie mir ankündigten, morgen oder übermorgen würden sie mich umbringen - und niemand würde mein Leben retten. Nachts luden sie mich zum Verhör. Und zweimal in der Woche kam ein offizieller Beamter ins Gefängnis, um mich zu überprüfen. Sie wollen, daß du bereust, was du getan hast. Und wenn du dich weigerst, greifen sie dich an. Von allen Seiten. Allein um deinen Charakter zu brechen, deine Identität, deine Entschlußkraft. Diese schlimme Erfahrung machen zur Zeit alle Journalisten in den Gefängnissen.

    Sessaye Negussies Schicksal ist ungewiß. Seine Freunde befürchten, ihm könnte das Gleiche passiert sein wie seinem Redaktions-Kollegen Abay Hailu. Abay Hailu starb im Februar an einer Lungenentzündung, die er sich im Gefängnis zugezogen hatte. Die Haftanstalt hatte nicht für die notwendige medizinische Behandlung gesorgt.