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Sissi tanzt im Golfhotel

Rund um den Starnberger See lassen sich Spuren und Märchen über Sissi und Ludwig entdecken: Es ist ein Refugium für Nostalgiker, Reiche, Schöne und Münchens edle Badewanne ist ein Paradies für Melancholiker.

Von Sven Ahnert | 26.08.2012
    Keine 30 Minute braucht die S-Bahn vom Münchener Hauptbahnhof Richtung Tutzing und man erreicht den Starnberger See, den Würm-See, wie er bei vielen Anwohnern immer noch heißt. Im Hintergrund leuchten majestätisch die Alpen. Das Wasser schimmert glasklar. Von der Kreisstadt Starnberg bis hin zum südlichen Ort Seeshaupt sind es gerade einmal 20 Kilometer. Dazwischen schmiegen sich idyllische Wälder an malerische grüne Hügel und proper herausgeputzte Dörfer. Immer blinzelt ein prächtiges Anwesen durch die hohen Bäume. Neben all den vielen Schauspielern, Malern, Dichtern und Neureichen, die sich hier niedergelassen haben, schwebt über diesem größten bayrischen See ein mythischer Schleicher, ein Schleier aus Dichtung und Wahrheit: Die Geschichte von Ludwig, dem tragischen Märchenkönig und Sissi, der Kaiserin von Österreich, die hier einst durch die Wälder ritt, ist allgegenwärtig.

    "Warum...Sissi"?"

    Sissi und Ludwig, Cousin und Cousine, die eine wurde zur tragischen Traumkönigin, die durch das Messer des italienischen Anarchisten Luigi Lucheni starb, der andere ein neurotischer Traumkönig, der Wagner, schöne Schlösser, die Natur liebte, seine Einsamkeit liebte und am Ende unter mysteriösen Umständen den Tod im Starnberger See fand. Beide waren seelenverwandte Wesen, die sich – folgt man der Lesart in Viscontis Ludwig Film – nicht nur platonisch liebten.

    15 Gehminuten von Schloss Possenhofen entfernt, da wo die bayrische Prinzessin Elisabeth ihre unbeschwerten Jugendjahre verbrachte, liegt das 1865 eingeweihte historische Bahnhofsgebäude, gleich gegenüber dem profanen Bahnsteig der S-Bahnlinie 6. Heute ist das in rosa Pastellfarben gestrichene Gebäude Museum: Das Kaiserin Elisabeth-Museum der Gemeinde Pöcking. Das ist das Reich von Rosemarie Mann-Stein die das possierliche Museum ehrenamtlich führt. Hier werden Ansehen und Legende der "Kaiserin" – wie man sie hier immer noch nennt – gepflegt und gehegt. Frau Mann-Stein führt mit einem Bambuszeigestock durch die drei kleinen Räume, dem ehemaligen adligen Wartesaal, und erläutert das Phänomen "Sissi":

    ""Sie wurde das "Zopf-Liesl" genannt."

    Rosemarie Mann-Stein, ehemalige Gemeinderätin aus Pöcking am Starnberger See, leitet das Kaiserin Elisabeth-Museum, das 1998, zu "Sissis" 100. Todestag eröffnet wurde, mit lokalpatriotischer Hingabe

    "Nicht nur Frauen kommen hierher, auch unser Pfarrer ist ein großer Sissi-Fan."

    Kleider, Bilder, Fotos, Bücher, Briefe, Speisekarten, Schmuckstücke, alles Originale aus einer privaten Sammlung werden hier gehütet.

    "Sie war ja urbayrisch."

    Aus heutiger Sicht hatte Sissi Depressionen, war magersüchtig, esoterisch veranlagt und eine Art adlige Emanze.

    "Es ist erwiesen: Sie hatte keine Magersucht. Sie war eher nonkonformistisch für damalige Zeiten!"

    Und eins ist für Rosemarie-Mann-Stein klipp und klar: "Sissi" hatte natürlich keine Affäre mit dem Königsvetter, aber sie schrieben sich Gedichte, lasen sich vor und waren überhaupt zwei verwandte Seelen – beide liebten die Kunst. Waren Sie nicht vielleicht doch ein heimliches Liebespaar?

    "Nein, sie waren kein Paar."

    Im ehemaligen Hotel Strauch, dem heutigen "Golfhotel Kaiserin Elisabeth", war die reife Sissi ein gern gesehener Gast. Tino von Gleichenstein, ein Nachfahre des Hotelgründers, wirbt mit dem Image von Ludwig und Sissi. Das in Feldafing gelegene Landhotel mit Alpenpanorama ist auch heute noch beliebtes Reiseziel des deutschen Hochadels.

    "Wir haben ja noch vor Jahren ein Original Menü-Buch gefunden. Lustiger weise, na nicht Lustiger weise, begann das im Todesjahr von Ludwig II, am Todestag von Ludwig, wo sie noch nicht Bescheid wusste. Diese Menüs kochen wir auf Wunsch nach. Nicht im Umfang, weil das zehn bis zwölf Gänge waren. Die Kaiserin war sehr auf Produkte aus der Umgebung bedacht, auf ausgewogene Ernährung. Ist ja heute ganz im Trend. Im Sommer hat man Produkte, die man direkt hier anbieten kann. Da gibt es eine Nachfrage nach den Original-Sissi-Menüs."

    Da wo Sissi war, war auch der Ludwig nicht fern.

    "Es ist so eine Märchengeschichte. Es ist nachweislich, dass sie sich hier im Haus bei schlechten Wetter und bei schönem Wetter auf der Roseninsel getroffen haben. Es gibt sogar Augenzeugenberichte. Die Geschichte ist Realität und nachvollziehbar. Sissi und Ludwig haben die Romantik auf der Insel genossen. Wenn ein bisschen ein Märchen herum gemacht wird, kann es auch nicht schaden."

    Nicht nur die Wittelsbacher, Vertreter des europäischer Adel, sondern auch Thomas Gottschalk und Reinhold Messner sind Gäste im ehemaligen Sommerhotel der legendären Kaiserin. Dann und wann kommen auch die hart gesottenen Sissi-Fans und zelebrieren ihre Leidenschaft.

    "Da muss man aufpassen. Bei Hochzeitsfeiern, Jubiläen, Geburtstagen genießt man die Landschaft, die Menüs und macht etwas Spurensuche. Es gibt so Fälle: Wir hatten mal einen Härtefall aus der Schweiz. Die dachte, sie wäre eine Reinkarnation der Kaiserin und dann im Original-Sissi-Kostüm, Perücken. Hier Hof gehalten und die Gäste begrüßt hatte. Und wirklich dachte, sie sei hier die Kaiserin und alle müssten zum Hofstaat gehören .Im Stüberl die Leute als ihre Kutschfahrer bezeichnet hat. Es gibt noch andere, die sich da hineinsteigern."
    "Die haben den Kini umgebracht. Der war zu gut für Bayern."

    "Ja, ich war ein Märchenkönig,
    Saß auf hohen Felsenthrone,
    Schlanke Lilie war mein Zepter,
    Funkelnd´ Sterne meine Krone.

    Doch das feige Hofgesinde
    Und die Blutsverwandten spannen
    Tückisch, heimlich ihre Netze,
    Und auf meinen Sturz sie sannen.

    Schergen sandten sie und Ärzte,
    den 'Verrückten' einzufangen,

    Freiheit wollten sie mir rauben,
    Freiheit fand ich in den Fluten;
    Besser hier im Herz erstarren
    Als in Kerkerhaft verbluten!"


    Vom Sissi-Denkmal im Hotelgarten, da wo Sissi unter einer selbst gepflanzten Rotbuche ihre Gedichte schrieb, wie das zum Andenken ihres ertrunkenen Königsvetters, ist es nicht weit zum Bootsanleger von Feldafing. Von hier kann man zur 200 Meter entfernten Roseninsel mit dem Elektroboot übersetzten.

    Franz Schödl, der Fährmann, lenkt das Thema ungefragt auf den tragischen 13. Juni 1886. Der Tag an dem Ludwig II von Bayern nach offizieller Darstellung im Starnberger See ertrunken ist, zusammen mit seinem Psychiater Dr. Bernhard von Gudden. "Der König?" Franz Schödl sieht mich entschlossen an: "Den haben Sie umgebracht."

    "Er hat bei dieser Augenscheinnahme mindestens zwei Löcher im Rücken des Königs gesehen. Ich würde nicht sagen, dass das von langer Hand vorbereitet worden war. Es war eine spontane Aktion von einem Polizisten."

    "Ob Sissi und Ludwig ein Paar gewesen wären? Nicht nur ein platonisches ...?"

    "Der Mythos wird gepflegt. Im Hotel Strauch waren sie. Der Ludwig ist gelegentlich zur Tasse Tee hoch gekommen und dann und wann haben Sie sich auf der Roseninsel getroffen."

    Sissi und Ludwig, das war nur eine Episode in der langen Geschichte der von Rosen übersäten und von Gänsen bevölkerten Roseninsel.

    Von Possenhofen aus fährt die S-Bahnlinie 6 wieder nach München wieder zurück und eine weitere Attraktion darf man hier nicht versäumen: Die barrierefreie, blitzblanke öffentliche Toilette. Aus Lautsprechern hört man Hufgetrappel und an den geschmackvoll gekachelten weißen Wänden liest man Poesie aus Sissis Feder.

    "Wie selig sprengt ich alle Zügel... Oh Schwalbe leih mir Deine Flügel. Den Gott, den man die Freiheit nennt..."

    Zurück geht nun die Fahrt nach München, die Stadt, die König Ludwig ein Graus war und die Sissi gelegentlich zu Fuß besuchte. Im Hintergrund sieht der Starnberger See nun dunkel aus, Gewitter ziehen auf. Das Refugium für Nostalgiker, Reiche, Schöne und ganz profan: Münchens edle Badewanne ist manchmal ein trüber See, ein Paradies für Melancholiker. Von ganz oben aus dem verhangenen und sonst so weißblauen Himmel, schauen nun mit traurigen Augen– so könnte man träumen- Ludwig und Sissi herab. Ganz fern und nah zugleich.