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Sisyphosarbeit für Moleküle

Physik. - Der griechische Sagenheld Sisyphos hatte kein leichtes Leben. Tag für Tag musste er denselben schweren Stein einen Berg hinauf rollen und, verschwitzt oben angekommen, zusehen, wie der Brocken wieder ins Tal kullerte. Sisyphos wurde jetzt zum Namenspatron eines neuartigen Kühlverfahrens, mit dem Max-Planck-Forscher aus München Moleküle einfrieren wollen.

Von Ralf Krauter |
    Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching. Die Physik-Doktorandin Rosa Glöckner hantiert im Labor an einer mannshohen Apparatur aus silbernen Stahlkesseln und Rohren. Das surrende Geräusch stammt von einer Vakuumpumpe.

    "Also hier ist eine Gasflasche, da ist Fluormethan drin. Dann geht dieses Gas in die Vakuumkammer rein. Dort wird es erst einmal mit Stickstoff gekühlt. Also wir haben hier einen großen Tank von flüssigem Stickstoff. Da werden die Moleküle eben vorgekühlt."

    Gemeinsam mit ihren Kollegen Martin Zeppenfeld und Barbara Englert erprobt Rosa Glöckner derzeit ein neuartiges Verfahren, mit dem sich Moleküle sehr effizient auf Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt herunter kühlen lassen.

    "Dann haben wir hier den Gaseinlass. Da sieht man so einen gebogenen Draht. Da werden unsere Moleküle dann mit Hilfe von elektrischen Feldern zur eigentlichen Vakuumkammer geführt."

    In dem luftleeren Stahlkessel steckt das Herzstück des Experiments. Eine elektrooptische Falle für Moleküle, untergebracht auf einem gläsernen Chip. Julia Glöckner holt eines der scheckkartengroßen Glasplättchen aus einer Schublade und zeigt auf die fächerartige Struktur filigraner Elektroden darauf. Sie erzeugt elektrische Felder, die die Moleküle spüren.

    "Das ist Glas, beschichtet mit Chrom – und man sieht da drauf schöne Strukturierungen. Mit Hilfe von diesen Platten können wir unsere Felder sehr, sehr genau kontrollieren und einstellen, wie wir das haben wollen."

    Den vorgekühlten Gasmolekülen, die in den Hohlraum im Inneren des Glasplättchens strömen, ergeht es ähnlich wie der griechischen Sagenfigur Sisyphos. Sobald sie sich aufgrund ihrer thermischen Bewegung vom Zentrum der Falle entfernen, müssen sie sich einen Berg hoch quälen. Genauer gesagt einen Potenzialberg, hervorgerufen durch die Elektroden auf dem Chip, erklärt die Doktorandin Barbara Englert.

    "Das ist im Endeffekt wie so ein Skateboarder in einer Halfpipe. Und wenn ein Molekül jetzt den Berg hoch läuft, also diesen elektrischen Berg, dann verliert es Geschwindigkeit. Und wenn es dann oben ist, kann es wieder zurück laufen und gewinnt dann wieder Geschwindigkeit. Was wir jetzt machen: Wenn das Molekül am Berg ist und wieder zurück laufen will, dann machen wir den Berg für das Molekül kleiner."

    Und zwar mit einem Radiowellenpuls, der die Orientierung des Moleküls so verändert, dass seine potenzielle Energie abnimmt. Die Folge: Beim Zurückkullern ins Zentrum der Falle, gewinnt das Molekül weniger Schwung zurück, als es zuvor beim Bergaufrollen verloren hatte. Englert:

    "Und dementsprechend hat es netto Geschwindigkeit, also Temperatur verloren. Also wir haben netto gekühlt. Und wenn es dann untern im Tal angekommen ist, dann machen wir die Berge wieder hoch. Und dadurch können wir dann den Prozess wiederholen und das Molekül immer weiter kühlen."

    Bei den jüngsten Experimenten gelang es den Forschern in Garching, ein Ensemble von rund 1 Million Molekülen des Gases Fluormethan in einer halben Minute auf 29 Milli-Kelvin herunter zu kühlen, also auf 29 Tausendstel Grad über dem absoluten Nullpunkt. Weiter verfeinert ließen sich mit der elektrooptischen Falle vermutlich sogar Temperaturen erreichen, die 1000 Mal dichter am absoluten Nullpunkt liegen. Englert:

    "Das Besondere an unserem Verfahren ist, dass es für eine breite Masse an Molekülen anwendbar ist. Wir können nicht nur ein spezielles Molekül mit einem speziellen Laser kühlen, sondern wir können prinzipiell jedes Molekül in die Falle laden und kühlen. Man kann zum Beispiel auch Wassermoleküle kühlen. Oder Formaldehyd-Moleküle. Und damit dann interessante chemische Reaktionen oder dergleichen anschauen."

    Chemische Reaktionen laufen knapp über dem absoluten Nullpunkt wie in Zeitlupe ab. Die Sisyphos-Kühlung für Moleküle eröffnet deshalb die Möglichkeit, sie genauer als je zuvor zu beobachten. Zum Beispiel, um besser zu verstehen, wie die Moleküle in interstellaren Gaswolken Verbindungen eingehen.