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Sittenbild des Biedermeier für die Gegenwart

Etwas "Feines, Gemütvolles" schwebte dem Komponisten Richard Strauß vor, ein "zweiter Rosenkavalier" sollte "Arabella" werden. Mit einer eigenen Inszenierung des operettenartigen Stücks hat sich nun der neue Chefregisseur Alexander von Pfeil vorgestellt. Am Ende aber gab es ein erbittertes Buhkonzert fürs Regie-Team und Beifall für Dirigent und Orchester.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Etwas in Richtung Operette sollte das werden. Vielleicht sogar den eigenen Rosenkavalier rechts überholen. Vom Sujet her wirkt das Stück ja auch wie eine Variante zu Lehárs Erfolgsoperette Die lustige Witwe: Durch Spielschulden verarmter Adeliger verschachert Tochter an den meist bietenden Reichen, um dem finanziellen Ruin zu entgehen.

    Und wie im Märchen findet sich in Hugo von Hofmannsthals letztem Libretto für Richard Strauss nach einigen Fast-Karambolagen sogar "der Richtige" für Arabella, und die zweite Tochter Zdenka kann gleich mit verheiratet werden. Indes der märchenhafte Erfolg, den Strauss sich für das 1933 uraufgeführte Stück erhoffte, stellte sich nie ein.

    Goebbels schrieb es seinem späteren kurzzeitigen Vorsitzenden der Reichsmusikkammer, als der mal wieder gegen Lehár in Geldsachen quengelte, auch noch ins Stammbuch: die "Massen" habe er nie.

    Alexander von Pfeil, neuer Chefregisseur der Deutschen Oper Berlin, verpflanzt diese Arabella aus dem Wiener Fiakermilieu des 19.Jahrhunderts in ein Luden- und Mafia-Biotop unbestimmter "Ostigkeit" von heute. Von Bernd Damovsky hat er sich dazu eine Bühne bauen lassen, die einem 1926 noch vor der großen Weltwirtschaftskrise in der Autometropole Detroit errichteten Riesentheater nachempfunden ist.

    In deren gruftigem Gewölbe ist eine Garage eingeparkt. Autos sind die Hauptdarsteller dieser neuen Arabella, hochmoderne mit offensichtlich flüsterleisem Hybridantrieb, jedenfalls nicht stinkend und lärmend. Der blaue Auspuffdunst der alles andere als pfeilschnell einrollenden Karossen wird künstlich hergestellt. Pfeil liebt offensichtlich Autos auf der Bühne und hat die auch schon anderweitig ausgestellt.

    Seine Waldners leben in einem weißen Station Wagon mit Schiebetür. Für Zdenka, die ja eigentlich um die Aussteuer zu sparen als Junge erzogen wird aber dann endlich auch ihr coming out haben will, ist das die ideale nächtliche Fickzelle. Mandryka, der reiche Witwer mit dem Geldköfferchen, kommt im schwarzen Benz, will aber zwischendurch doch mal lieber mit der Bahn abreisen. Aber auch ansonsten zwickt und zwackt es mit Text, Musik und Bühne permanent.

    Erfolgreich kann Regisseur von Pfeil das Muffige aus dieser Arabella weg retuschieren. Aber was öffnet er dem Stück an neuer Perspektive? Machen Autos sinnlich? Die Bühne lebt von Sinnlichkeit. Und würde nicht der Text in Übertiteln projiziert, man verstünde von der Handlung fast nichts.

    Pfeil inszeniert keine Vorgänge. Die Figuren stehen wie angewurzelt in ihren Pelzmänteln und Jacken – es ist Fasching und am Ende rieselt in die Garage sogar versöhnlicher Schnee; sie bewegen sich, wenn überhaupt, nur immer nach demselben Schema.

    Ulf Schirmer am Pult lässt die Strauss-Partitur mit dem Orchester der Deutschen Oper in voller Klangpracht erblühen. Freilich das Konversationsstück, das Hofmannsthal eigentlich vorschwebte für diese "Lyrische Komödie", erleben wir hier nicht. Der Mandryka der Aufführung, Jean-Luc Chaignaud, hat allergrößte Mühe über das Orchester "drüber" zu kommen.

    Michaela Kaune als Arabella hat es da einfacher. Ihre Stimme ist leicht und beweglich, sie hat nur noch nicht die große Kraft. Ihre Soli darf sie meist vorn an der Rampe singen. Darstellerisch wird sie hier entschieden unterfordert. Eine wandlungsfähige Zdenka ist Fionnuala McCarthy, Arnold Bezuyen ihr genasführter Liebhaber Matteo.

    Das Publikum quittierte die teils unfreiwillige Komik der Aufführung mit ironischem Beifall, zur Pause und dann insbesondere am Ende aber mit einem erbitterten Buhkonzert fürs Regie-Team. Auch der Mandryka musste viele Buhs einstecken. Umso mehr gefeiert die übrigen Sänger, der Dirigent und das Orchester.

    Insgesamt kein Traumstart für das neue Team an der Berliner Bismarckstraße. Leider.