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Sittengemälde, Star-Tragödie und Historiendrama

Mit "Das Haus der Sünde" gelingt Bertrand Bonello ein düsterer Abgesang auf die Belle Époque in Frankreich. In Simon Curtis' "My Week with Marilyn" begeistert Michelle Williams als Star-Ikone, während Nikolaj Arcel in "Die Königin und der Leibarzt" einen Blick auf frühe Aufklärer in Dänemark wirft.

Von Hartwig Tegeler |
    "Das Haus der Sünde" von Bertrand Bonello

    "Wir bleiben eigentlich immer im Haus und beschäftigen uns hier."

    Erfährt die Neue im Bordell. 1899. Bertrand Bonellos Film "Das Haus der Sünde" ist Sittengemälde einer Epoche, die mit dem neuen Jahrhundert zu Ende geht.

    "Du wäscht dir jeden Tag den ganzen Körper und die Haare mit Seife und reibst dich mit Eau de Cologne ein."

    Das Leben im Edelbordell aus der Perspektive der Prostituierten.

    "Wir haben alle Schulden. - Aber du kannst die von dem, was du verdienst, abbezahlen. - Du träumst doch. Wenn du alles zurückgezahlt hättest, wärst du frei, um zu gehen. Aber sie wird das verhindern."

    Bertrand Bonello hat weder einen voyeuristischen noch romantisierenden Film gedreht; er macht sehr deutlich, dass die Frauen abhängig sind und der Willkür ihrer Kunden ausgeliefert. Weil er meint, er bezahle schließlich, schlitzt ein Freier einer der Frauen die Mundwinkel auf - eine grausame Episode, die den Film wie eine Klammer einrahmt. Dies ist ein Abgesang auf die Belle Epoque in grandios düsteren Bildern.

    "Das Haus der Sünde" von Bertrand Bonello - herausragend.


    "My Week with Marilyn" von Simon Curtis

    Die Dreharbeiten werden zur Qual …

    "8/1, die Siebzehnte."

    … für Shakespeare-Darsteller und Regisseur Sir Laurence Olivier. Denn "die Monroe", seine Hauptdarstellerin, ist 1957, als "Der Prinz und die Tänzerin" gedreht wird, schon ein Star mit Allüren, so scheint es am Anfang von Simon Curtis' Film "My Week with Marilyn".

    "Wieso können sie nicht pünktlich sein? Fuck! - Oh, dieses Wort kennt man in England also auch."

    Regisseur Olivier - dargestellt von Kenneth Branagh - geht schlicht durch die Hölle.

    "Auuuuus! Bitte sagen Sie mir, wie ich Ihnen helfen kann? - Ich weiß nicht, wer Elsie ist, und ich kann sie nicht spielen, wenn ich nicht weiß, wer sie ist. - Marilyn, ich möchte nur, dass Sie versuchen, ein bisschen sexy zu sein, das machen Sie doch sonst auch."

    "My Week with Marilyn" gelingt etwas, das man sich, bevor man den Film sieht, nicht vorstellen kann: Wie soll es möglich sein, eine Ikone wie Marilyn Monroe zu spielen, und das möchte man Marilyn-Darstellerin Michelle Williams tatsächlich fragen! Um nach zehn Minuten offenen Mundes im Kino zu sitzen, und dieser unfassbaren Michelle Williams zuzuschauen, wie sie vollkommen überzeugend die andere Unfassbare darstellt: Marilyn Monroe. In der Darstellung durch Michelle Williams gelingt es Simon Curtis, das Drama des Menschen und der Schauspielerin, des Stars Marilyn Monroe zu rekonstruieren.

    "Sie sind wie eine griechische Göttin für mich! - Ich bin keine Göttin. Ich will nur wie ein ganz normales Mädchen geliebt werden."

    Schauspieler - Menschendarsteller. Ja, Michelle Williams - an ihrer Seite Kenneth Branagh als Laurence Olivier -, Michelle Williams stellt einen Menschen dar, das, was der Star eben nicht sein soll für das Publikum.

    "Das Einzige, was die Leute sehen, ist Marilyn Monroe. Und sobald sie dann bemerken, dass ich überhaupt nicht sie bin, gehen sie."

    Michelle Williams erweist sich in "My Week with Marilyn" als ebenso magische Schauspielerin wie diese Monroe. Schön, erotisch, natürlich, verletzlich und zart, eindringlich. Und geliebt von der Kamera.

    "My Week with Marilyn" von Simon Curtis - ein Meisterwerk.


    "Die Königin und der Leibarzt" von Nikolaj Arcel

    "Werden wir jemals frei sein. Wird denn Ihre teure Aufklärung uns von Dummheit befreien und der Angst vor göttlicher Bestrafung. - Das glaube ich."

    Dänemark in den 1760er Jahren, bevor die bürgerliche Aufklärung sich etablierte: also Redefreiheit, Pressefreiheit, religiöse Toleranz, und das Verbot von Folter sich durchsetzten. Die Widersprüchlichkeit dieser historischen Epoche wird an dem Ausdruck der beiden männlichen Hauptfiguren im Film "Die Königin und der Leibarzt" deutlich. Mikkel Boe Følsgaard, für seine Darstellung zu Recht auf der Berlinale ausgezeichnet, spielt den dänischen König Christian VII. als kindliches Wesen, Marionette seines Regierungsrats. Der, der da neu an den dänischen Hof kommt, begreift dies sofort:

    "Ich trinke gerne. Ich habe Gefallen an Huren mit großen Brüsten. Und ich schlage mich gerne. - Was ist daran verwerflich?"

    Mads Mikkelsen spielt Christians neuen Leibarzt Johann Friedrich Struensee, die historische Figur. Wo Christian anarchisch, chaotisch, hedonistisch ist, wirkt der Aufklärer Struensee rational, kühl, kalkuliert. Ja, er will die Freiheit, aber bei seinem Kampf für die Aufklärung, den Sieg der Vernunft und die alles überwältigende Rationalität bedient er sich den Mitteln von Manipulation und Intrige, so wie seine adligen Gegner und ebenso rücksichtslos. Dann wird Struensee Geliebter der Königin; auch sie hat sich den Ideen von Freiheit und Aufklärung verschrieben:

    "Roussau! Dürfte ich mir das Buch ausborgen?"

    Doch am Ende scheitert Struensee; die Affäre mit der Königin …

    "Was hast du? - Ich erwarte ein Kind."

    … kostet ihn den Kopf. Bis die Aufklärung dann Dänemark erreicht, wird es eine weitere Generation dauern. In sorgfältig komponierten Bildern beschreibt Nikolaj Arcel die Widersprüche einer Epoche im Übergang.

    "Die Königin und der Leibarzt" von Nikolaj Arcel - herausragend.

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    "Die Königin und der Leibarzt" (Kultur heute)